: „Mittlerweile ist Darmstadt zigeunerfrei“
Satirische Plakataktion gegen den Darmstädter Oberbürgermeister Metzger läßt Polizei zuschlagen / Hintergrund ist die Vernichtung sozialen Wohnraums in der Provinzmetropole / Metzger ließ ein von Roma bewohntes Haus abreißen ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Darmstadt/Frankfurt (taz) – Der Zivilpolizist richtete seine Dienstwaffe direkt auf den Kopf des festgenommenen Studenten. Es folgten Schläge im Polizeiwagen, Fußtritte und Beschimpfungen „übelster Art“. So traktiert wurden in der Nacht zum 1.Februar in Darmstadt insgesamt sechs Menschen in Handschellen auf das Darmstädter Polizeipräsidium verbracht und dort – „unter weiteren Mißhandlungen und Demütigungen“ (ein Be- und Getroffener) – erkennungsdienstlich behandelt.
Was war geschehen in der Provinzmetropole Darmstadt, die in städtischen Publikationen als „Tor zum Odenwald“ bezeichnet wird? Darmstadts Polizei klinkte aus, weil ihr oberster Dienstherr, der Oberbürgermeister Günther Metzger, in einer fingierten „amtlichen Bekanntmachung“ – die als Plakat im Martinsviertel verklebt worden war – angeblich „verächtlich gemacht“ worden war. „Satire ist in Darmstadt strafbar“, kommentierte der AStA der Technischen Hochschule in einer eilig gedruckten Sondernummer der AStA-Zeitung die „mit einer beispiellosen Brutalität“ vorgenommenen Festnahmen der sechs Personen, die verdächtigt werden, die Plakate geklebt zu haben.
Dabei – so der AStA – sei in diesen mit dem Briefkopf der Stadt versehenen und mit der Unterschrift des Oberbürgermeisters gezierten „amtlichen Bekanntma chungen“ nur der Wahrheit die Ehre gegeben worden: „Mittlerweile ist Darmstadt zigeunerfrei“. In der Tat hatte Oberbürgermeister Metzger (SPD) 1983 für bundesweites Aufsehen gesorgt, als er ein von Roma bewohntes Haus abreißen ließ, während die Mieter gerade im Urlaub weilten. Proteste von Heinrich Böll bis zu Eugen Kogon, von den Grünen bis zu Metzgers Genossen aus der südhessischen SPD beeindruckten den „Hardliner“ der sozialdemokratischen Rechten nicht im geringsten. Denn der OB setzte – Ende 83 – noch einen drauf: Nach einem Marsch von 15 wohnungslos gewordenen Roma zum Rathaus, in dessen Verlauf es zu Konfrontationen mit der Polizei kam, wurde den Betroffenen die Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigungen verweigert. Kommentar des Bürgermeisters: „Das Roma-Kapitel ist damit beendet.“
Daß sich die Plakatierer von heute in ihrer „amtlichen Bekanntmachung“ auf die Vorgänge von 83 bezogen, hat seinen Grund. Denn die Stadt Darmstadt ist zur Zeit dabei, das Martinsviertel nach dem bewährten „Roma- Muster“ zu sanieren. Preiswerter, sozialer Wohnraum wird zugunsten von Eigentumswohnungen und Luxusappartements vernichtet. Doch Wohnraum, so der AStA, dürfe nicht zum Spielfeld „geldgieriger Spekulanten“ verkommen, die Hand in Hand mit den „Parteibonzen“. Die „Parteibonzen“, das sind die Mitglieder des sogenannten Metzger-Clans, der die Stadt beherrscht. Für die gestandenen, rechten Sozialdemokraten um den Oberbürgermeister, die auch die einzige Darmstädter Tageszeitung – das Darmstädter Echo – fest im Griff haben, sind selbst die Jungsozialisten nur dazu da, um die „Klappe zu halten“. Metzger selbst gilt innerhalb der hessischen SPD als „Grünfresser“ par exellence. Die Darmstädter Szene ist für diese Kreise eine „notorische Querulantenbrut“.
OB Metzger weigert sich übrigens bis heute, der Presse den Text der satirischen „amtlichen Bekanntmachung“, die Auslöser für die brutalen Festnahmen der PlakatiererInnen war, zugänglich zu machen. Auch die Pressestelle des Polizeipräsidiums verweigerte selbst der FAZ eine Stellungnahme zum Thema. Daß man die Verdächtigen mit gezogenen Waffen festgenommen habe, sei dagegen „aus Eigenschutzgründen“ nachts als „durchaus üblich“ zu bezeichnen.
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