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Österreichs kollektive Nekrophilie

Zwei Tage nach der Übergabe des Berichts der Historikerkommission über Waldheim  ■ Aus Wien Walter Oswalt

Soll Waldheim zurücktreten? „Ja, aber nicht deshalb, weil er Kriegsverbrechen gemacht hat, sondern weil er ein Würschtel ist“, antwortet ein 25jähriger Bürokaufmann im Vorrübergehn. „Zurücktreten? Nein! Ich bin von der SPÖ, jede Partei ist schlecht“, und macht mit dem Finger ein Zeichen, daß alle sowieso bestochen sind. Eine 70jährige Frau beim Einkaufen: „Mi dürfen Sie so etwas net frogn.“ Das Meinungsforschungsinstitut Gallup hat vier Tage vor der Veröffentlichung des Historikerberichts eine Blitzumfrage gemacht. Danach waren 72 glaubten nicht, daß Waldheim an Kriegsverbrechen beteiligt war. 52 Waldheims an der Spitze des Staates eintreten. Aber inmitten der Kaffeehausgemütlichkeit kommt Unruhe auf. Der Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums Wiesenthal zur taz: „Es wird Zeit, daß diejenigen, die bisher geschwiegen haben, anfangen zu reden.“ Auf die Frage, warum die meisten Intellektuellen Österreichs sich auf östliche Lyrik und postmodernes Parlieren zurückziehen, antwortet er: „Die meisten österreichischen Intellektuellen sind abhängig. Jeder sitzt in einer Schachtel mit einem Etikett. Und aus einer Schachtel kommt man nicht so schnell heraus.“ Trotzdem glaubt er der Gallup-Umfrage nicht und rät, abzuwarten: „Der Bericht hat Österreich wie eine Keule getroffen.“ Am Nebentisch sitzt einer der wenigen unabhängigen Wiener Intellektuellen, Alfred Hrdlicka (Bildhauer): Zum Historikerbericht sagt er: „Das ist Leichenschänderei. Waldheim ist eine Leiche, eine, die schon Aasgeruch hat.“ Die Zustimmung der Mehrheit der Österreicher zu Waldheim nennt er „kollektive Nekrophilie“.

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