„Keiner weiß, was der will, das macht uns Angst“

Shamirs Besuch bringt Roms jüdische Bevölkerung in eine zwiespältige Situation / „Wenn die Regierung in Tel Aviv Mist baut, hagelt es hier antisemitische Parolen“ / Ein Rundgang durch Roms „Hebräisches Viertel“  ■ Aus Rom Werner Raith

„Eigentlich dachten wir schon vor drei Wochen, daß es schlimmer für uns nicht mehr kommen kann“, stöhnt Eziel Kirszenstein, Kleiderverkäufer am Lungotevere dei Cenci gleich neben dem „hebräischen Viertel“ von Rom, „aber nun fliegt dieser Besucher ein und raubt uns die letzten Sympathien...“ Weit liegt Eziel damit nicht mehr entfernt von einer Karikatur in La Repubblica: Da kniet Jesus am Ölberg, hinter ihm ein Gängstertyp mit Keule. Jesus: „Wer da?“ – Der Typ: „Judas.“ – Jesus: „Gott sei Dank, ich dachte schon Shamir...“

Die Zeichnung erschien unmittelbar nach Schüssen israelischer Soldaten auf palästinensische Demonstranten, forderte heftige Kritik heraus, und der Karikaturist Forattini erhielt eine „Abmahnung“ vom Chefredakteur; doch „heute fühlen sich viele ein bißchen so wie der Jesus auf dem Bild dort“, bekennt Eziels Nachbarin Ethel vom Gemüseladen, „wir werden Jahre brauchen, bis wir Shamirs Beleidigungen hier wieder wettmachen“.

„Ich nehme an, jetzt hat er bald alle durch, die er vor den Kopf stoßen will“, stöhnt Tullia Zevi, Präsidentin der „Union israelitischer Gemeinden“, als endgültig feststeht, daß Shamir weder den Papst treffen noch wie üblich mit allen Parteiführern sprechen will – neben den Neofaschisten sind auch die Demoproletarier auf dem Index. Ein Sprecher der israelitischen Gemeinden sarkastisch: „Hätte nur noch gefehlt, daß er auch uns nicht empfängt.“

Wahrscheinlich hat tatsächlich nicht viel gefehlt, denn Shamir hatte vorab erfahren, daß ihm bei der Gelegenheit auch ein Dokument übergeben würde, das von mehr als 500 prominenten Juden Italiens unterzeichnet ist und das „trotz der derzeitigen Paralyse der Regierungskoalition in Israel, trotz der schlimmen Vorgänge in Westbank und Gazastreifen und trotz der Übergriffe beider Seiten absolute Entschlossenheit auf dem Weg zu einem friedlichen Zusammenleben aller Völker und Menschen im Nahen Osten“ fordert. „Eine glatte Provokation dieser Schwächlinge“, soll Shamir getobt haben.

Und dennoch: Der Schwung, mit dem die jüdische Linke in Italien vor fünf Jahren gegen die Be setzung des Libanon auf die Straße gezogen war, ist heute nicht mehr drin. Viele führende Vertreter der Gemeinden haben den Aufruf gegen die israelische Regierungs- Politik in den besetzten Gebieten diesmal nicht unterschrieben. So etwa der Journalist Luca Fiorentino von Il Manifesto: „Mich beschleicht das unangenehme Gefühl, daß die Unterzeichner des Anti-Regierungs-Dokuments vor allem der inneritalienischen Reaktion vorbeugen und ansonsten nicht recht wissen, wie sie zu den Vorgängen in Israel selbst stehen.“ „Immer, wenn die Regierung in Tel Aviv Mist baut, hagelt es hier antisemitische Parolen“, schimpft Eziel und räumt seine Kleider vom Bürgersteig, denn „jetzt kommen die Demoproletarier bald vorbei, die gegen Shamir demonstrieren, und mit denen hab ich mich schon vor drei Wochen geprügelt. Die Welt steht auf dem Kopf“.

In der Tat: Nach den Schüssen im Gazastreifen wollten die traditionell araberfreundlichen Demoproletarier zusammen mit Linksintellektuellen der israelitischen Gemeinde gegen die Regierung in Israel protestieren – doch am Ende mußten Regierungskritiker wie Eziel „unsere eigenen reaktionären Holzköpfe, mit denen ich ständig streite“, in Schutz nehmen vor dem offenen Antisemitismus der Demoproletarier, „mit denen ich noch immer gut konnte“. Sonst stets zum Schimpfen auf Shamir bereit, hat die Prügelei Eziel – und nicht nur ihn – „mächtig zum Nachdenken“ veranlaßt: „Wenn die Roten in Afghanistan Partisanen niedermähen, wenn Pinochet die Oppositionellen zusammenschießt, wenn die Amis ihre Minderheiten unterdrücken – dann schimpfen alle auf die jeweilige Regierung in Moskau, in Kabul, in Santiago, in Washington. Aber wenn in Israel ein Shamir Mist baut, wird sofort Antisemitismus daraus.“

Die Schmierschriften mit Ausrottungsparolen gegen die „jüdische Pest“ (Graffiti im Dora Pamphili-Park), den „Todfeinden der Kultur“ (in Trastevere), den „Christusmördern“ (auch das noch – neben dem Justizpalast) sprießen seit Wochen nur so an den Wänden, und zwischen das „Waldheim raus“ von vor vier Monaten hat jemand ein „wirf die Juden“ geprüht: „Waldheim wirf die Juden raus.“ Ethel breitet die Arme aus: „Und das soll einen dann nicht mit den Shamirs zwangssolidarisieren.“

Die Spannung, den nervösen Zwang zum Stillhalten, sieht man dem gesamten „Hebräischen Quartier“ an: Nicht nur, daß die Polizeiwachen vor allem rings um die Synagoge – sie war schon einmal Ziel eines mörderischen Anschlags von Palästinensern – mächtig verstärkt wurden: Aus nahezu allen Geschäften tönen, sonst ungewohnt, Radios und Fernsehgeräte, immer auf die aktuellen Nachrichten gestimmt. Das Skurrile an der Situation: Keiner weiß so ganz genau, was der Israel-Premier in Italien wirklich will, keiner weiß, was sich in der Sache bewegen soll. Shamir hat schon vom Flugzeug aus durchgefunkt, er „denke nicht daran, auch nur ein Zollbreit besetzten Bodens gegen den Frieden einzutauschen“, die Italiener sind für eine Friedenskonferenz unter Einschluß der PLO, was Shamir partout nicht will – was soll sich da also bewegen? „Das ist ja das Schlimme“, sagt Eziel, „daß es eigentlich gar keinen Sinn macht, daß er kommt. Aber wenn Shamir kommt, dann steckt ein Sinn dahinter. Irgendeiner. Und der macht uns eben allen Angst.“