: Schwule dürfen nicht erziehen
Das Berliner Landgericht hält homosexuelle Paare für ungeeignet, Kinder zu erziehen / Gefahr für Persönlichkeitsentwicklung bei Jugendlichen unterstellt / Entführung eines Kindes durch die Polizei ■ Aus Berlin Jutta Kramm
Das Berliner Landgericht hält es für „unverantwortlich“, ein Kind „im noch schulpflichtigen oder gar pubertären Alter von einem homosexuellen Paar erziehen zu lassen“. So lautete ein Beschluß des Gerichtes vom 14.12.1987, der erst jetzt bekannt wurde. Das Gericht mußte sich mit der Beschwerde eines homosexuellen Pflegevaters, Günter K., auseinandersetzen. Günter K. hatte im Februar 87 vom Jugendamt des Berliner Bezirks Schöneberg ein 5 Monate altes HIV-infiziertes Kind zur Pflege übertragen bekommen. Die Mutter des Kindes war zu Beginn der Schwangerschaft drogenabhängig, der Aufenthaltsort des Vaters unbekannt. Die Großmutter wollte sich damals des HIV-infizierten Kindes nicht annehmen. Zwei Monate später übernahmen Günter K. und sein Lebensgefährte ein zweites Pflegekind. Im Juli 87 starb die Mutter des ersten Pflegekindes. Einen Monat später beantragte dessen Großmutter zusammen mit dem Amtsvormund die Pflegschaft. Am 4.Dezember forderte der Amtsvormund gerichtlich die Herausgabe des Jungen, die Richter lehnten dies jedoch ab. Trotzdem wurde das Kind am nächsten Tag in einer Berliner Schwimmhalle von zwei Polizeibeamten, dem Vormund sowie zwei Sozialarbeitern des Jugendamtes entführt. Günter K. legte gegen dieses Vorgehen der Beamten Beschwerde ein. Die Richter des Landgerichts, Brakebusch, Fertig und Schmidt, tadeln in ihrem Beschluß vom 14.12. zwar das Vorgehen des Vormundes als rechtswidrig: „Die Sanktionierung rechtswidrigen Verhaltens kann aber nicht zu Lasten des Kindeswohls geschehen.“ Sie befinden, daß die abrupte Trennung des Kindes von seinem Pflegevater einer späteren Beendigung des Pflegeverhältnisses vorzuziehen sei. Und die steht für die Richter außer Frage: Denn eine langfristige Betreuung, so heißt es in ihrer Begründung, gefährde „zwangsläufig die Integration in die Gesellschaft“ und stelle eine „Gefahr für die Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung eines Jugendlichen“ dar. Worum geht es denn eigentlich? Darum, den Nachwuchs der Gesellschaft in die bestehenden Schemata zu pressen und sich keine „Rebellen von morgen“ zu schaffen! d.s.in Richter Brakebusch mochte gestern der taz das Urteil nicht weiter erläutern. Er bezeichnete die Urteilsbegründung als ausreichend. Für den Sprecher der Berliner Jugendsenatorin Schmalz-Jacobsen aber ist die Entscheidung der Richter „hinderlich“: „Wir teilen die Meinung des Landgerichts nicht.“ Legner bedauerte, daß sich der Senat nun mit dem Urteil der Richter auseinandersetzen müsse. Er betonte, es gebe in der Stadt inzwischen viele homosexuelle Paare, die Pflegekinder betreuten. Die Pflegeväter haben beim Kammergericht weitere Beschwerde eingelegt. Die Entscheidung soll noch diese Woche gefällt werden. Gegen die Beamten, die das Kind widerrechtlich entführten, sind bisher noch keine Ermittlungen eingeleitet worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen