: „Nichts ist so alt wie ein Skandal von gestern“
Atom-Kehraus im Hanauer Bürgerhaus / Skandale waren Thema für die grüne Fachkompetenz / Joschka Fischer: „Am Aschermittwoch ist längst nicht alles vorbei“ / Zum Karnevalsumzug kein Motivwagen für Atomskandal ■ Von Antje Friedrich
Frankfurt/Hanau (taz) – Der Hanauer Nuklearskandal beschäftigt nicht nur bundesdeutsche Gemüter. Das weiß man spätestens, seit falsch deklarierte Fässer im belgischen Mol aufgetaucht sind, oder über die (bombensichere) Möglichkeit von Plutoniumverschiebung in „Krisengebiete“ wie Pakistan oder Libyen orakelt wird. Daß nicht nur diese Länder betroffen sind, wissen die wenigsten, dennoch: „Die ganzen Fäden der Atommafia laufen über Luxemburg zusammen und verknüpfen sich teilweise“, so Guy Bock, Vertreter von „Dei Greng Alternativ“, den großherzoglichen Grünen.
Beim „Atom-Kehraus“ zum Aschermittwoch versammelte sich grüne Fachkompetenz in Sachen Nuklearskandal im Bürgerhaus von Hanau-Wolfgang. Neben Guy Bock bilanzierten Rupert von Plottnitz (Mitglied des Untersuchungsausschusses im Hessischen Landtag), Elmar Diez (Initiative Umweltschutz Hanau/ Grüne) und Joschka Fischer die bisherigen Ereignisse, und – „nichts ist so alt wie der Skandal von gestern“ – versuchten eine Einschätzung dessen, was noch kommen kann.
Zuvor lieferte Hilde Wackerhagen eine Parodie auf die Sachlage (“... die sich nicht ändern muß. Was sich ändern muß, ist das Vertrauen in dieselbe“) und produzierte damit auf dem Podium und in der 400köpfigen ZuhörerInnenschar eine spöttische Atmosphäre.
Hanau ist in die Schlagzeilen geraten. Der Hanauer Oberbürgermeister fürchtet aufgrund der Ereignisse um den Ruf „seiner“ Stadt. Zum traditionellen Karnevalsumzug wurde eine stille städtische Vereinbarung „keinen Motivwagen zum Skandal“ laufen zu lassen, eingehalten. Die Grünen plagen derweil ganz andere Sorgen. Joschka Fischer: Schon jetzt werde bei den zuständigen Stellen und bei der NUKEM überlegt, „wie die ganze Sache umorganisiert werden kann. Schließlich will man, daß alles so weiterläuft wie bisher.“ Mehrere Indizien für diese Annahme scheinen die luxemburgischen GRÜNEN inzwischen entdeckt zu haben. Im Vor stand einer „Briefkastenfirma“ der NUKEM, der „NUKEM Luxemburg G.m.b.H.“ finden sich laut Guy Bock just die Herren wieder, die bei der „Transnuklear“ zurückgetreten wurden. Bock: „Die NUKEM hält 60 Prozent an der NuLux, dazu kommen 10 Prozent der Dresdener Bank, sowie 30 Prozent einer Schweizer Firma, der RTZ Mineral Services Limited.“ Frei nach der Devise „Was du hier nicht kannst besorgen, das verschiebe doch nach nebenan“, scheint auch in einem anderen Fall verfahren worden zu sein. So baute eine luxemburgische Gesellschaft, die SCN (Societe Luxembourgeoise de Centrales Nucleaires SA) in Deutschland das Atomkraftwerk Mülheim-Klärlich und verpachtete es anschließend über einen Leasingvertrag an die Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE).
So weit, so schlecht. Die vielzitierte Spitze des (bundesdeutschen) Eisberges, die bisher zum Vorschein gekommen ist, biete laut Elmar Diez „für uns nur die Perspektive, als Bürgerinitiativbewegung in der Opposition zu bleiben“. Dazu gehöre auch, wie Joschka Fischer es formulierte, „nicht hinzunehmen, daß 6,6 Tonnen Uran sich einfach verlaufen“, zumal sich „die Fässer blähen, vielleicht pupsen sie auch, aber es weiß ja keiner, was drin ist“.
In Hanau gebe es noch viele düstere Ecken. Es werde sie auch in Kalkar, Wackersdorf und anderswo geben. Joschka Fischer ist „optimistisch, daß der Wille zur Verabschiedung der Atomenergie vorhanden ist, aber das heißt auch, daß am Aschermittwoch längst noch nicht alles vorbei ist“.
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