Golfkrieg: Atempause oder der Anfang vom Ende?

Ruhe im Tankerkrieg nach irakischen Pannen / Iranische Großoffensive ausgesetzt / Syrien macht Weltsicherheitsrat Konkurrenz / Iran und Irak schöpfen während der Kampfpausen neue Kraft / Die Friedensinteressen der Supermächte sind erlahmt / Fonds zur Finanzierung von Kriegsschäden!  ■ Aus Manama William Hart

Es war ein Volltreffer: Vor 15 Tagen explodierte kurz nach Mitternacht eine Rakete in den Aufbauten des dänischen Supertankers „Kate Maersk“. Der Bordfunker starb sofort, drei Matrosen wurden verletzt. Für den Angriff auf den 339.000-Tonnen-Tanker vor der arabischen Golfküste wurde Iran verantwortlich gemacht. Untersuchungen der Raketensplitter ergaben jedoch, daß irakische Piloten wieder einmal ein falsches Ziel mit ihrem Bordradar angepeilt hatten. Nur wenige Stunden später schlugen irakische Raketen in der Nähe eines US-Kriegsschiffes ein.

Die Unfähigkeit irakischer Piloten, wie befohlen iranische Erd öltransporte in die Luft zu jagen, hatte ein Gutes: Irak mußte die Angriffstaktik überarbeiten. Seither herrscht Pause im Tankerkrieg, in dem es seit Neujahr 14:12 für Iran steht.

Daß diese Pause bis heute anhält, ist nicht nur fehlgeleiteten irakischen Raketen zuzuschreiben. An der Landfront ist die Zahl der Angriffe deutlich zurückgegangen. Erstmals seit 1982 hat es keine Winteroffensive gegeben. Die am 13. November vergangenen Jahres begonnene Großmobilisierung im Iran ist unter der Hand wieder eingeschränkt und der angekündigte entscheidende Angriff erst einmal vertagt worden. Die ersten Kriegsfreiwilligen, die für diese sogenannte entscheidende Schlacht rekrutiert worden waren, kehrten nach dreimonatigem Aufenthalt in den Schützengräben wieder in die Klassenzimmer ihrer Schulen in den iranischen Großstädten zurück. Aber das berechtigt noch nicht zu Hoffnungen auf einen Waffenstillstand und erst recht nicht auf einen Frieden im Golfkrieg.

Ein Zusammentreffen mehrerer Faktoren hat zu dem Rückgang der Kämpfe geführt. Es ist nicht nur der Kriegsmüdigkeit der iranischen Bevölkerung und dem zunehmenden internationalen Druck zuzuschreiben, daß der An griffsbefehl für die Großoffensive bisher ausgeblieben ist. Die Proteste und der Aufstand in den von Israel besetzten Gebieten hat eine Art ideologische Lähmung der iranischen Kriegsbefürworter ausgelöst. Syrien hat die palästinensische Revolte und deren Auswirkungen in Teheran für eine stille Diplomatie genutzt. Wenige Tage nach Beginn der Palästinenserproteste sandte Präsident Assad seine Boten nach Teheran und an den Golf. Zum Jahreswechsel war ein erster Erfolg zu verzeichnen: Während einer Gipfelkonferenz des Golfkooperationsrates (GCC) gab es nur Tadel, keine Verurteilung für die Islamische Republik Iran.

Diese veränderte Atmosphäre führte bereits zu einer knapp zwei wöchigen Pause im Tankerkrieg. Iran signalisierte damals bereits ein Aussetzen des angekündigten Großangriffs, weigerte sich jedoch weiterhin, einem Waffenstillstand zuzustimmen. Irak reichte das nicht, und Präsident Saddam Hussein ließ seine Piloten wieder Jagd auf Tanker mit iranischem Öl machen. Die Teheraner Vergeltungsangriffe auf Schiffe neutraler Staaten vor der arabischen Golfküste führten dann aber nicht zum Rückschlag in den Beziehungen zwischen den GCC- Staaten und Iran. Im Gegenteil, zwischen Teheran und den Hauptstädten auf der anderen Seite des Golfes begann ein reger diplomatischer Reiseverkehr.

Anfang Februar war in der Presse der Golfstaaten erstmals von einem umfassenden syrischen Friedensplan die Rede. Danach soll ein Verhandlungskomitee gebildet werden, das als erstes auf die Einstellung des Tankerkrieges und aller Luftangriffe auf Industrielle hinwirken soll. Eine Feuereinstellung an der Landfront soll dann den Auftakt zu Verhandlungen bilden. Zur Finanzierung der Beseitigung der Kriegsschäden in beiden Ländern solle ein Fond gebildet werden. Syriens Auftreten und Ersterfolge als Friedensstifter sind nicht zufällig. Vor dem Hintergrund der immer stärkeren antiiranischen Stimmung in der arabischen Welt seit Sommer vergangenen Jahres lief Syrien Gefahr, sich als einziger Bündnispartner Teherans im arabischen Lager zu isolieren.

Präsident Assad machte aus der Not eine Tugend und bot sich als Vermittler an. Teheran ging nicht nur wegen der Entwicklung in den besetzten Gebieten auf diese Vorschläge ein, sondern auch, um ein drohendes UN-Waffenembargo zu verhindern. Monatelang war es iranischen Diplomaten bereits gelungen, einen Embargobeschluß des Weltsicherheitsrates hinauszuzögern. Mal ließen sie Bonner Kollegen, mal Vertreter Moskaus im Sicherheitsrat auf die Bremse treten. Vor dem Hintergrund der Alternative, ein Waffenembargo zu riskieren oder die UN-Resolution 598 zum Waffenstillstand im Golfkrieg zu befolgen, entschied sich Teheran dafür, auf die syrischen Vermittlungen einzugehen und sich zunächst einmal gegenüber den arabischen Staaten auf der anderen Seite des Golfes zurückzuhalten.

Damit ist eine Entwicklung eingetreten, gegen die es weder von der Sowjetunion noch von den Vereinigten Staaten echte Einwände gibt. Moskau und Washington können und wollen Teheran nicht verprellen. Die Kreml- Riege ist bei einer Afghanistan- Lösung auf das Wohlwollen der islamischen Führung angewiesen, die bedeutenden Einfluß auf die fundamentalistischen Modjahedin in Afghanistan hat. Und die Mannschaft des Weißen Hauses möchte Komplikationen im Golf vermeiden, was nur bei einer Zurückhaltung seitens der iranischen Revolutionswächter möglich ist. Eine mehr als kuriose Situation. Der Golfkrieg spielte bei den Shultz-Gesprächen in Moskau so auch nur eine untergeordnete Rolle, und der Weltsicherheitsrat werkelt im Verborgenen an einer Embargo-Resolution. Gemütern, die auf Eile drängen, werden iranische Ankündigungen vorgehalten: Freitagsprediger Rafsanjani habe erklärt, ein Embargo werde eine Großoffensive auslösen und der stellvertretende Außenminister habe gesagt, ein Embargo werde den Konflikt anfachen.

Als ob es nicht genau umgekehrt sein könnte. Eine absurde Situation. Galt der Golfkrieg vor Monaten noch als Bedrohung zumindest für die gesamte Region, so wird heute kaum noch über ihn geredet. Ruhe im Tankerkrieg und weniger Angriffe zu Lande werden genutzt, um den Krieg in Vergessenheit geraten zu lassen und Friedensbemühungen zu vertagen. Gehässig könnte man auch sagen, beiden Ländern soll Zeit gegeben werden, die inneren Verhältnisse zu stabilisieren, um dann im gegebenen Moment wieder an der Eskalationsschraube drehen zu können. Im Iran konzentrieren sich die Politiker wieder stärker auf die Sozial-und Wirtschaftspolitik und im Irak ist es ähnlich. Aber Ziel dieser Anstrengungen ist weniger ein Frieden, sondern die Erhöhung der Kampfkraft.