: Ein Feminismus in verschiedenen Farben
■ Gloria Joseph gehörte in den USA zu den ersten Kritikerinnen eines „weißen“ Feminismus / Heute arbeitet sie an einem Konzept „schwarzer, feministischer Pädagogik“ / Politisch engagiert sie sich besonders für die schwarzen Südafrikanerinnen
taz:Gloria Joseph, Sie haben mit ihrem Buch über die unterschiedlichen Perspektiven von schwarzem und weißen Feminismus ein Grundlagenwerk geschaffen. Was hat sie und ihre Co-Autorin Jill Lewis dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Gloria Joseph: Wir hätten die feministische Bewegung ebenso gut eine weiße Bewegung nennen können, denn schwarze Frauen wurden in den Aktivitäten und Schriften weißer Feministinnen meist ausgeklammert. Zum Beispiel in Nancy Fridays Buch über Mütter- Töchter-Beziehungen „My mother myself“. (deutsch: „Wie meine Mutter“, d.Red.)
Ich hab das Buch angeschaut und mir gesagt: das bin ich nicht, das sind wir nicht, wir stehen außerhalb. In Diskussionen fragte ich immer wieder, wen meint ihr mit wir? Über wen redet ihr, wer ist wir? Dann wurde mir vorgeworfen, daß ich die Frage der „Rasse“ in alles mit hineinbringe, und ob ich das immer machen muß. Diese Erfahrungen brachten mich und meine weiße Kollegin darauf, ein Buch über die Unterschiede und Konflikte zwischen Schwarzen und weißen Frauen zu schreiben. Im ganzen Land haben dann schwarze Frauen begeistert mitgemacht. Die intensivsten Diskussionen zwischen uns gab es über Sexualität: Jill Lewis hat Sexualität von der problematischen Seite gesehen. Schwarze Frauen sprachen mehr über ihre Freude an Sexualität und darüber, was sie genießen. Das wichtigste Kapitel in dem Buch ist jedoch das Kapitel über Mütter und Töchter. Ich habe unzählige Kommentare von schwarzen Frauen und Männern dazu bekommen. Schwarze Frauen haben sich in den Aussagen der zitierten Frauen, über Mütter, über Männer, über das Heiraten, wiedererkannt. Für weiße Mütter und Töchter ist die Erfahrung, sagen zu können, „ich haße meine Mutter“ wichtig gewesen. Aber für Schwarze Frauen war das anders. Für sie war die Mutter oft diejenige, die das Geld nach Hause gebracht hat, sowie die Hauptbezugsperson. Viele von ihnen hatten schon von ihrer Erziehung her eine realistischere Einstellung zur Zukunft. Für sie war das Kapitel ein Ausgangspunkt, die Theorien über weiße Mutter-Tochter-Beziehungen für sich selbst zurückzuweisen. Für schwarze Frauen war es wichtig, den Dingen aus ihrer Sicht einen Namen zu geben.
Zum ersten Mal lag ein Buch vor, mit dem sich schwarze Frauen identifizieren konnten. Die Interviews haben mir sehr viel Spaß gemacht, die Frauen hatten auch keine Hemmungen, zu reden... Der unterschiedliche Stil der Kapitel reflektiert schon die Differenzen: Jill hatte mehr theoretische Erklärungen und Argumente, während ich gesagt habe, ich muß nehmen, was ich von den schwarzen Frauen zu hören bekomme. So können zum Beispiel nicht-akademische Frauen meinen Teil des Buches ohne Probleme lesen.
Sie sind Protagonistin einer schwarzen feministischen Pädagogik, die auf afrikanischer Erkenntnistheorie beruht. Was heißt dies für die Praxis?
Das schwarze oder afrozentrische Denksystem ist eine Reise zur Ganzheit hin, die erfordert, die Welt nicht als schwarz oder weiß zu sehen, sondern in ihrem vollen Spektrum. Gegensätze stehen nicht in Konflikt miteinander, sondern sind Extreme derselben Sache. Wenn du schwarz und weiß, männlich und weiblich völlig voneinander trennst, fängst du schon an, darüber deine Urteile zu fällen, anstatt sie als ein Kontinuum zu betrachten. Schwarze feministische Pädagogik beruht auf der Idee einer kollektiven Geschichte. Das Curriculum in Schulen und Universitäten heute kann man jedoch als „Weiße Studien und Männerstudien“ bezeichnen. Daran wurden nur oberflächliche Veränderungen vorgenommen. So wurde die sexistische Ausdrucksweise „der Pionier nahm seine Frau und Familie nach Westen mit“ in „die Pionierfamilie zog nach Westen“ umgewandelt. Die Erfahrungen der Pionierfrauen bleiben dabei jedoch weiterhin ebenso unbeachtet wie die von einheimischen Frauen und Männern, Native Americans bzw. US-IndianerInnen, deren Land überfallen wurde. Damit SchülerInnen und StudentInnen diese kapitalistische Gesellschaft und ihre eurozentristische Ideologie verstehen lernen und somit zu ihrer Veränderung beitragen können, müssen sie die Geschichte der Erfahrungen von Frauen kennenlernen, von der Cherokee Großmutter auf dem trail of tears (1938 wurde die Cherokee Nation aus ihrer Heimat Mississippi nach Norden vertrieben. Auf einem langen Wintermarsch starb jede/r vierte Cherokee. d. Red.). Über die schwarze Sklavin bis zu den jungen weißen Frauen in den Textilfabriken Anfang des 19.Jahrhunderts und asiatisch-amerikanischen Frauen in den Sweatshops heute.
Diese Herangehensweise ist Teil Ihres Konzepts eines „globalen Feminismus“. Können Sie hierzu noch etwas sagen?
Zwei Drittel der Menschheit sind farbig – das müssen weiße Feministinnen sich bewußt machen. Sie müssen sich die Bedingungen ansehen, unter denen Menschen leben und über Machtverhältnisse sprechen. Wer hat die Macht, Unterdrückung durchzusetzen? In welcher Position befinden sich farbige Frauen? Jede unterdrückte Gruppe muß ihren Weg zur Befreiung selbst definieren und beschreiten. Aber weiße Feministinnen sollen erkennen, daß sie Teil des ökonomischen, kulturellen Imperialismus und einer ethnozentrischen Sichtweise bilden und häufig meinen, ihr Intellekt stünde über dem aller anderen Bevölkerungsgruppen. Wieviele der weißen Feministinnen wären bereit, die intellektuelle Führung von afrikanischen Frauen zu akzeptieren? Wie können Frauen über irgendeine Art Freiheit oder sexueller Rechte sprechen, ohne nach Südafrika zu blicken? Feminismus muß sich mit Imperialismus, mit Fragen von Landrechten, mit den Maoris, den Native Americans, den schwarzen südafrikanischen Frauen befassen – sonst ist es ein kurzsichtiger Feminismus mit kurzfristigen Zielen und ohne eine globale Vision.
Häufig meinen weiße Frauen, daß farbige Frauen sich nicht mit dem Sexismus in ihrer eigenen Kultur auseinandersetzen. Was sagen Sie dazu?
Wie können weiße Frauen so etwas behaupten? Schwarze Frauen können sich nicht von Rassismus oder Sexismus distanzieren. Für mich gibt es vier Hauptprobleme: Rassismus, Sexismus, Heterosexismus und Klassenausbeutung und –vorurteile. Sexismus gibt es überall auf der Erde. Die universale Grenze sehe ich in bestimmten Verhaltensweisen, denen keine Frau ausgesetzt sein sollte und gegen die alle angehen müßten, d. h. Vergewaltigung und Mißhandlung von Frauen. Aber wie wir die Situation ändern ist eine andere Sache. In Bezug auf die Schwarze Gemeinde in den USA ist es z. B. wichtig, die Existenz und Funktion der rassistischen weißen Polizei mit in Betracht zu ziehen.
Sie haben 1984 in den USA die Organisation SISA (Sisters in Support of Sisters in South Africa) mit anderen afrikanisch-amerikanischen Frauen ins Leben gerufen. Die Organisation soll einer aktiven, lebendigen Solidarität mit Schwarzen Frauen in Südafrika Ausdruck geben. Können Sie uns darüber etwas mehr erzählen?
SISA besteht aus einer Kerngruppe von sieben schwarzen Frauen, alle langjährige politische Aktivistinnen, so z. B. Andre Lorde. Der Mitgliedschaft der Organisation gehören auch weiße Frauen an. Wir verfolgen mit un serer Arbeit drei Ziele: Erstens die Frauen von Zamani Soweto Sisters und dem Maggie Magaba Trust in Soweta, die Selbsthilfeprojekte wie Textilarbeit und ein Gemeindezentrum mit Trainings- und Bildungsprogrammen aufgebaut haben, finanziell zu unterstützen. Zweitens Öffentlichkeitsarbeit zu machen, d. h. die verheerenden Lebensbedingungen schwarzer südafrikanischer Frauen, Männer und Kinder in das Bewußtsein der Menschen zu bringen und Fakten über das Apartheid-System zu verbreiten; drittens einen direkten, persönlichen Kontakt mit den Frauen in Soweto zu unterhalten. Es ist sehr wichtig für sie zu wissen, daß ihre Schwestern in den USA sie unterstützen. Und wir haben in unseren Begegnungen mit ihnen, z. B,. bei einer Ausstellung ihrer Arbeiten in London, so viel gelernt, insbesondere von ihrer Fähigkeit, Freude in einer Zeit des Aufruhrs in angemessener Weise auszudrücken. Wir sammeln Gelder mit besonderen Veranstaltungen zu Südafrika, und die Autorinnen und Künstlerinnen, die SISA angehören, widmen ihre Lesungen und Auftritte den Frauen in Soweto, nehmen Spenden ein, geben einen Teil ihres Honorars ab. Diese Arbeit ist für uns ein konkretes Beispiel für schwesterliche Solidarität. Anjuli Gupta, Dagmar Schultz
Auch hier in Berlin gibt es ein Spendenkonto für die Zamani Soweto Sisters und den Maggie Magaba Trust, über den Orlanda Frauenverlag eingerichtet. Konto Nr.: 10040117020, Dagmar Schultz, Kennwort „Zamani Soweto Sisters“, Sparkasse der Stadt Berlin-West, BLZ 10050000.
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