: Loblieder ohne materielle Substanz?
■ Eine Nachlese zur Bonner Montankonferenz / Mehr als erwartet, aber weniger als notwendig
Aus Düsseldorf Walter Jakobs
„Das ganze Ruhrgebiet wird mit einer Milliarde abgespeist, dabei bekommt allein der Airbus sieben Milliarden Mark.“ Mit diesem Zahlenspiel illustrierte ein Rheinhausener Krupp–Betriebsrat das „Versagen“ der Bonner–Ruhrgebietskonferenz. Hat die Konferenz also „nichts gebracht“? Alles nur eine große Show, um von der ökonomischen und politischen Konzeptionslosigkeit abzulenken? Ein paar Zahlen: Von 1974 bis heute ist die Zahl der Arbeitnehmer in der Stahlindustrie in NRW nach Angaben der Düsseldorfer Regierung von 240.000 auf 140.000 zurückgegangen. 1957 waren in NRW im Steinkohlebergbau noch über 500.000 Menschen beschäftigt, 1986 noch 124.000. In der nordrheinwestfälischen Textilindustrie ging die Zahl der Beschäftigten von 260.000 im Jahr 1970 auf 102.000 im Jahr 1986 zurück. Diese gewaltige Umstrukturierung, wichtigste Ursache für die heutigen hohen Arbeitslosenzahlen in NRW, ist noch längst nicht beendet. Die Stahlunternehmen haben angekündigt, 30.000 Arbeitsplätze an Rhein, Ruhr und Sieg abzubauen, und im Bergbau ist die Verringerung von 25.000–30.000 Stellen vereinbart. „Berücksichtigt man die Auswirkungen auf die vor– und nachgelagerten Wirtschaftszweige, so gehen in den nächsten Jahren in den Montanregionen in NRW möglicherweise 100.000 Arbeitsplätze verloren“, heißt es in einem Papier der SPD–Landesregierung, das zur Vorbereitung den Montanrunden in Düsseldorf und Bonn diente. Allein, mit einer Milliarde Mark gegen diesen zusätzlichen Arbeitsplatzabbau an Rhein und Ruhr vorgehen zu wollen - die offizielle Arbeitslosigkeit im Revier beträgt 16,1 Prozent (300.290 Menschen) -, käme dem Versuch gleich - und da haben die Kritiker recht -, einen Hausbrand mit einer Wasserpistole zu bekämpfen. Selbst wenn man berücksichtigt, daß die Investitionssumme, die durch die Bonner/Düsseldorfer Finanzspritze gemäß der „Gemeinschaftsaufgabe“ (Art. 91a GG) ausgelöst würde, wesentlich höher läge - der Fördersatz liegt bei Betriebsneugründungen bei höchstens 15 Prozent, die ebenfalls möglichen kommunalen Infrastrukturinvestitionen werden erfahrungsgemäß zu 40–50 Prozent im Rahmen dieses Programmes finanziert -, könnten dadurch die Arbeitsplatzverluste in keinem Fall wettgemacht werden. Im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung sind laut „Halbzeit–Bilanz“ der Rau–Regierung in den Jahren 1980–86 „63.000 Arbeitsplätze neu geschaffen und 32.000 Arbeitsplätze gesichert worden“. Wieviele öffentliche Milliarden dort hineinflossen, steht dahin. Das Düsseldorfer Wirtschaftsministerium war nicht einmal in der Lage, innerhalb von zwei Tagen herauszufinden, wieviel für das 1979 aufgelegte „Aktionsprogramm Ruhr“ ausgegeben wurde und welchen Arbeitsplatzeffekt das hatte. Sicher ist, daß allein Bonn von 1980–84 hierfür 1,5 Mrd. DM zur Verfügung stellte. Auch wenn die Wirkungen der jetzt beschlossenen Milliarde noch nicht abschätzbar sind, so zeigen die zusätzlich beschlossenen Projekte doch, daß insgesamt für NRW in Bonn nicht nur heiße Luft produziert wurde. Die in der Nähe von Bonn geplante Ansiedlung der „Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten“ (DARA) mit etwa 300 Beschäftigten, gehört dabei zu den dicksten Brocken. In Dortmund wird die Bundesregierung die Elektronenspeicherringan lage „DELTA“, die etwa 28 Millionen Mark kosten soll, nach Aussage von Bundesforschungsminister Riesenhuber zu zwei Dritteln mitfinanzieren. Die Förderung weiterer „Hochtechnologien“ hat Kanzler Kohl bei der Revierkonferenz zugesagt. Ferner will die Bonner Regierung 20 Modellvorhaben im Rahmen des Programms „Investitionen zur Vermeidung von Umweltbelastungen“ mit einem Investitionsvolumen von 120 Millionen Mark in NRW „unterstützen“. Für Duisburg ist die Einrichtung eines Freihafens beschlossene Sache. Die Stadt am Rhein bekäme damit einen Sonderstatus wie Bremen, Hamburg oder Kiel. Vorteile brächte der Freihafen vor allem für Importeure, weil die Güter im Hafen unverzollt lagern könnten - der Zoll fällt erst bei Verlassen des Hafens an -, was die Lagerhaltung erheblich verbilligt. Eine „Freizone“ wird es auf dem Gelände des künftigen Freihafens wohl nicht geben. Diese, u.a. vom CDU–Oppositionschef Bernhard Worms immer wieder vorgebrachte Idee hält der Duisburger Hafendirektor in Duisburg für politisch nicht durchsetzbar. Vor allem das neoliberale Kieler Weltwirtschaftsinstitut hat die Errichtung von „Freizonen“, in denen tariffreie Zustände - sprich: gewerkschaftsfreie Räume - herrschen sollen, immer wieder gefordert. Die Deutsche Bundesbahn (DB) stellt in Duisburg die von der Stadt seit langem geforderte Fläche in Hohenbudberg zur Verfügung. Rangier– und Hauptbahnhof sollen in Duisburg umgebaut und das Revier an die geplante Schnellbahnverbindung Paris– Brüssel–Köln–Amsterdam angebunden werden. Zwischen den Flughäfen in Düsseldorf und Köln soll eine von der Lufthansa seit langem geforderte und von Umweltschützern bekämpfte Schnellbahnstrecke errichtet werden. In Kürze wird in Düsseldorf eine Arbeitsgruppe zusammengestellt, die sowohl die Rad–Schiene–Technik als auch das Magnetbahnsystem „Transrapid“ in ihre Prüfung einbeziehen soll. Um eine „Transrapid“–Verbindung buhlen derzeit mehrere Bundesländer. Bisher wurde die Magnetbahn, die über 400 km/Std. schnell ist, lediglich auf einer kurzen Probestrecke im Emsland getestet. Für die neuen Großraumflugzeuge sind die Düsseldorfer Start– und Landebahnen zu kurz. Ohne eine Anbindung an die ausreichend langen Start–und Landebahnen in Köln, so hat die Lufthansa wiederholt deutlich gemacht, werde der entsprechende Luftverkehr Anfang der 90er Jahre in den Süden zum Flughafen München 2 verlagert. Den Unternehmern reichen all diese Infrastrukturmaßnahmen allerdings noch längst nicht aus. Entsprechend dem CDU–Motto, das größte Investitionshemmnis in NRW sei die Sozi–Regierung, hat der Vorsitzende des CDU–Wirtschaftsrates, Horst Annecke aus Bielefeld, den Abbau von einschränkenden Bestimmungen im Arbeits– und Sozialrecht gefordert. Um Ansiedlungserfolge zu erzielen, sei „ein besseres wirtschaftliches Klima im Lande“ erforderlich, lautet das Lied, das die Unternehmer immer wieder neu intonieren. Noch besser? Was wollen diese Kapitalisten denn noch? Wissen sie denn nicht, was der sozialdemokratische Ministerpräsident Johannes Rau von ihnen hält? Rau wörtlich: „Ich freue mich über jeden Unternehmer, der auf anständige Weise ordentliche Gewinne macht, und ich wünsche mir davon noch viel mehr auch in unserem Land, damit die ökologische und ökonomische Erneuerung vorankommt und damit neue Arbeit entsteht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen