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Zensur in Bayern: Haltbar alle Ewigkeit?

■ Großveranstaltung des Anti–Atom–Plenums zu „Versammlungsfreiheit und Widerstandsperspektiven, die „Tour de Terror“, in München untersagt Verbotsgründe reichen weiter als beim Buko–Verbot 1986 / Strategische Diskussion über eine radikale Opposition wurde damit rigide unterbunden

Von Oliver Tolmein

Zur „Tour de Terror“ hatte vergangene Woche das Anti–Atom– Plenum in München geladen. Die neue bayerische Polizeisondergruppe nahm den Titel wörtlicher, als es den Knochen der VeranstalterInnen lieb war: Kaum hatte der direkt an der „Münchner Freiheit“ postierte Polizeilautsprecher verkündet: „Die Versammlung zur Versammlungsfreiheit ist verboten“, griffen sich die Gauweilerschen Horden, wen sie wollten. Mehr als zwanzig Festnahmen und kein Hauch von Widerstandsperspektive waren die traurige Bilanz des 9.März. Hatte es in dem Aufrufblatt noch selbstbewußt geheißen „Der Genuß dieser Veranstaltung gefährdet ihre innere Sicherheit“, blieb danach nur als schaler Nachgeschmack die Erkenntnis: Die innere Sicherheit verhindert jeden Genuß.In einem ersten bayerischen Diskussionspapier wird der harsche Polizeiangriff auf die potentiellen TeilnehmerInnen der Veranstaltung als „keineswegs mehr rational im Sinne konkreter staatlicher Zielsetzung“ bezeichnet, er sei viel mehr „auf Demoralisierung und politische Zersetzung ausgerichtet gewesen. Die versammelten potentiellen Veranstaltungsteilnehmer sollten nicht einmal erhobenen Hauptes aus der tiefen Niederlage entlassen werden, sogar den Weg zum Bier sollten sie gebückt und in Angst gehen. Eine solche Politik soll Resignation erzeugen - eine andere Funktion hat sie nicht. Rigider Angriff auf die Meinungsfreiheit Die politische Fastenkur, die der Linken in Bayern durch dieses Verbot verordnet worden ist, hat Tradition: Im Herbst 1986 verhinderte die Stadt Regensburg die Durchführung der Bundeskonferenz der Anti–AKW–Initiativen (Buko). Die Buko wurde dann im Januar 1987 mit den gleichen Inhalten von einem breiten politi schen Bündnis durchgesetzt - ein Vorgehen, das in München derzeit diskutiert wird. Juristisch ist das Verbot der „Tour de Terror“ dem Buko–Verbot auch tatsächlich vergleichbar - es reicht sogar noch deutlich weiter. Die Idee der Veranstaltung zu „Versammlungsfreiheit und Widerstandsperspektiven“ war es, angesichts der drohenden Verschärfungen des Versammlungsrechts durch zum Beispiel das Vermummungsverbot und der rigiden bayerischen Zensurpraxis dem staatlichen Angriff auf die Meinungsfreiheit linke Meinungsvielfalt entgegenzusetzen. Rainer Trampert von den Grünen war eingeladen, die Autonomen der „Lupus“–Gruppe aus dem Rhein– Main–Gebiet sollten auf dem Podium sitzen und MitarbeiterInnen der anarchistischen Zeitung „Freiraum“, gegen die etliche Verfahren laufen. Walter Moßmann, die bayerische Musikgruppe Guglhupfa und die Kabarettisten von Los Becquerellos hatten die Aufgabe, kulturelle Kontrapunkte zu setzen. Am Abend vor der Veranstaltung erließ die frühere Dienststelle von Peter Gauweiler, das Kreisverwaltungsreferat der Stadt München, das Verbot. Grundlage dafür waren ein im Anti–Atom–Plenum zwar einmal verteiltes, aber nie diskutiertes, geschweige denn jemals beschlossenes Papier „Interne Militanz–Debatte“ und die von der Gruppe „Lupus“verfaße Analyse „Stand autonomer Bewegung, Langlauf oder Abfahrt im Sturz“, die sowohl auf den Libertären Tagen 1987 in Frankfurt als auch seitdem auf etlichen Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet und zum Beispiel in der taz diskutiert wurde. Dem für das Verbot zuständigen Sachbearbeiter Geyer ist dabei das Kunststück gelungen, aus dem „Lupus“–Papier, das ausgesprochen scharf das „Putz–Verhalten“ und den Hang zur „militärischen Auseinandersetzung“ im autonomen Spektrum kritisiert, einen hochgefährlichen Aufruf zu strafbaren Handlungen, bis hin zum Mord, zu machen. Bemerkenswert an der Argumentation des Kreisverwaltungsreferats, die bezüglich des „Lupus“–Papiers sowohl vom Verwaltungsgericht München als auch vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof übernommen wurden (das „Interne Militanz– Papier“ wurde aus der Verbotsbegründung herausgenommen), ist die Anlehnung an den bereits gültigen erweiterten Paragraphen 129a, aber vor allem an den noch nicht verabschiedeten Paragraphen 130b (Befürwortung von Gewalt): „Diese Äußerungen enthalten“, heißt es im Verbotsbescheid vom 8.3., „insbesondere in ihrem Gesamtzusammenhang die Aufforderung zu bzw. die Billigung von strafbaren Handlungen durch Befürworten von Gewalt“. Nehmt den Menschen die Gewalt und sie werden verkümmern... d.S–in Ein kurzer Blick in den Luchterhand–Alternativkommentar zum erwähnten Paragraphen 111 (“öffentliche Aufforderung zu Straftaten“) zeigt, wie weit entfernt von der wenigstens derzeit noch gültigen Rechtslage sein vorauseilender Gehorsam den zuständigen Sachbearbeiter getrieben hat: „Die bloße öffentliche befürwortende Darstellung strafbarer Handlungen ohne die als solche erkennbare Aufforderung zur Nachahmung enthält noch keinen hin reichenden Appell an die Motivation potentieller Täter“ wird dort unter Berufung auf ein Bundesgerichtshof–Urteil ausgeführt, „die Aufforderung muß die rechtswidrige Tat in ihren für die rechtliche Einordnung wesentlichen Konturen erkennen lassen.“ Genau darum geht es in den vom Kreisverwaltungsreferat zitierten Stellen aus dem „Lupus–Papier“, der Intention des Papiers, eine grundsätzliche Debatte führen zu wollen, entsprechend, überhaupt nicht. Das ist der Punkt, an dem sich das Münchner Kreisverwaltungsreferat und die das Verbot bestätigenden Verwaltungsgerichte qualitativ weiter vorgewagt haben, als das Rechtsdezernat der Stadt Regensburg beim Verbot der Bundeskonferenz von Anti– AKW–Gruppen in Regensburg. Das Kreisverwaltungreferat München sieht nämlich schon als hinreichend für ein Verbot an, daß „wie dies in der Broschüre der Gruppe Lupus als Ziel militanter Politik benannt ist, militante Perspektiven zu entwickeln und zu verbreiten“. Militant heißt aber, laut „Duden“ erstmal nichts anderes als „kämpferisch“, der „Große Brockhaus“ bietet immerhin zwei Bedeutungsmöglichkeiten an: „kämpferisch oder gewalttätig“. Und auch ein kurzer Ausflug ins Englische bestätigt, daß „militant“ keineswegs ein Synonym für strafbar ist: militant wird dort deutlich von „violent“ (gewaltsam) unterschieden. Während in Regensburg fast ausschließlich Texte zur Verbotsbegründung herangezogen wurden, die konkrete Aktionen, z.B. das Lockern von Schrauben an Strommasten befürworteten, ging den Münchner Oberen schon der Versuch, überhaupt eine radikale politische Strategie zu entwickeln, zu weit. Von „Lupus“ wird dementsprechend nur eine allgemeine, zudem noch aus ihrem Zusammenhang gerissene, Passage zitiert, die sich mit unterschiedlichen Formen militanter Politik auseinandersetzt: „...daß die Sabotagewelle nicht Ausdruck unserer Stärke, sondern unser letztes Mittel ist, überhaupt noch unseren Widerstand wirksam zur Geltung zu bringen. Denn geradezu zwangsläufig werden unsere militanten Angriffe in dem Maß Symbole von Widerstand, wie sie Ersatz und nicht Mittel militanter Strategie werden. Und so sehr wir uns über 150 gefällte Strommasten freuen, so gefährlich halten wir es, Sabotage als militante Politik zu begreifen, mit der man/frau - nicht selten pädagogisch - in soziale Bewegungen hineinwirkt, anstatt zuallererst innerhalb sozialer Bewegungen militante Perspektiven zu entwickeln und zu verbreiten. Nicht anstelle militanter Perspektiven Sabotage zu organisieren kann unser Ziel sein, sondern aus ganz klaren Perspektiven heraus Sabotage als ein Mittel von vielen zu entwickeln und politisch einzubinden.“ Eingebettet ist diese Passage im Originalpapier in eine Absage an „militärische Auseinandersetzungen“, der „die Entwicklung von sozialer Gegenmacht“ als Perspektive entgegengestellt wird und die Erkenntnis: „...daß es letztendlich nicht darauf ankommt, wieviel Strommasten fallen. Politisch entscheidend wird es sein, in wievielen Köpfen die Masten fallen.“ Das Verwaltungsgericht München mag sich der Dürftigkeit der Verbotsbegründungen bewußt gewesen sein und brachte deshalb zu schlechter Letzt den Veranstaltungstitel in die Diskussion. „Im übrigen ist nach Ansicht der Kammer schon der in den Plakaten ausgedruckten Bezeichnung der streitgegenständlichen Veranstaltung, nämlich als „tour de terror“, ein Indiz für den Unrechtsgehalt der dort beabsichtigten Meinungsäußerungen zu sehen.“ Das Urteil ist in dieser Tour unzweifelhaft ein Etappensieg. Die Richter haben sich das gelbe Trikot unredlich verdient. Das Anti–Atom–Plenum hat nach durch das Verbot entstandenen Kosten erhebliche Schulden. Spendenkonto: Rebecca Luther, Stichwort: Tour, Kto.–Nr. 446 660–809 Postgiroamt München, BLZ 700 100 80

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