: „Eine Obrigkeit muß es schon geben“
■ Steuerparadies nennt man den Biberacher Landkreis zwischen Lindau und Ulm. Hier herrscht nur einer, feudalistisch und uneingeschränkt: Wilfried Steuer, der Landrat. 69
Aus Biberach Dietrich Willier
Die Bauern haben zu murren begonnen. Trotz Blasmusik, Frühschoppen und kernigen Sprüchen über Frauen und Minderheiten gibt es leere Plätze bei den Wahlveranstaltungen des Herrn Landrat. Der aufmüpfige Teil der Jugend versucht seit Jahren, sich den Schergen des katholischen Saubermanns zu entziehen. Ihre Kneipen, Landkommunnen und Alternativblätter gelten als konspirative Treffs. Buden, Hühnerställe und verlassene Schuppen, die kleinen Zufluchten der pubertierenden Landjugend werden an den moralischen Pranger gestellt. Wehe den Frauen und Mädchen, die ungewollt schwanger wurden. Auf Anordnung des Landrats wird in den katholischen Kliniken des Kreises noch jedes ungewollte Kind auch geboren. Bis heute ist Biberach ein von Tschernobyl meistbetroffener Landstrich, Panikmacher nennt der Landrat die Grünen. „Gott sei Dank gibts noch Träume, die ihr nicht niederreißen könnt“, steht an eine Hauswand der Altstadt gesprüht. Ein Mann des Volkes Stolz ist man im Landkreis auf andere Dinge: Die Kreisgrenze ließ der Landrat mit Steinen markieren, im vergangenen Herbst reiste eine große Delegation nach Rom, um die Kreisheilige Ulrika küren zu lassen, für die Blasmusik der Bürgerwehr gibt es einen Kreismarsch und zum Abschluß von Kreistagssitzungen wird gemeinsam das eigens gereimte Kreislied gesungen. Man hat Tradition im Landkreis Biberach, und so soll es bleiben. „Und eine gewisse Obrigkeit“, meint der Landrat, „muß es schon geben“ - damit es so bleibt. Als jüngster seiner Spezies war er vor zwanzig Jahren zu Amt und Wür den gekommen, heute ist er nicht nur Landrat und CDU–Abgeordneter im Stuttgarter Landtag, sondern sitzt als Vorsitzender oder Aufsichtsrat in den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken, der Energieversorgung Schwaben, in der Kernkraftwerk Süd GmbH, in den Aufsichtsräten der Atomkraftwerke Philippsburg und Wyhl und im Sparkassenverband. Ehrenamtlich ist sein Vorsitz beim Roten Kreuz und im Verband baden–württembergischer Blasmusiker. Ja, der Herr Landrat dieses schwärzesten aller schäbischen Länder ist halt populär. Kein Schützenfest läßt er aus, die Feuerwehr lobt er als „eigentliche Fiedensbewegung“, er mag den Wein, denn den „hat der Herrgott aus Wasser gemacht“, und er stiftet ein Kruzifix für Schwester Oberin. Und weil eine Ordnung sein muß, auch über Parteigrenzen hinweg, geht Landrat Steuer am 1. Mai auch zur Kundgebung, wenn sich SPD und Gewerkschaf ter verpflichten, hernach zur Andacht vor der „Schutzmantelmadonna“ zu kommen. Zu jedem Vereinszweck gibts einen landrätlichen Scheck, und für die Bereitschaftspolizei ein zweites Paar Stiefel. Auch die Industrie ist tugendhaft... Ja, populär ist er, der Landrat Steuer, und bescheiden dazu. Nach dem jährlichen Waldputz, - das ist wegen dem Umweltschutz, oder wenn man gemeinsam den sterbenden Wald durch ein paar Tannensetzlinge verjüngte, oder wenn eine Hundertschaft ihrem Landrat mit der Sense zum ökologischen Mähkurs folgt, dann endet das nie ohne Brotzeit, Blutwurst und Most. Er mag „seine“ Bauern, und die mögen ihn, und daß viele von ihnen vom Ertrag ihrer Höfe schon längst nicht mehr leben können, liegt an Brüssel und der EG. Dafür ist man tugendhaft, sparsam. Verschuldet ist der Landkreis Biberach nicht. Man hat ein kleines Freilichtmuseum mit alten Bauernhäusern und restauriertem Ackergerät, man hat Dörfer und Fachwerkfassaden saniert und in Biberach gibt es eine Fußgängerzone und ein Wiener Cafe. Kaufhäuser gibt es, und Landstraßen die Fülle, weil man den Zuschuß vom Bund nicht verfallen läßt. Aber vor allem gibts Industrie. Die Pharmafabrik Thomae macht nicht nur Thomapyrin gegen Kopfschmerz, und weniger Wirksames gegen Erkältungskrankheiten. Nein, die Gentechnologie verspricht ein gutes Geschäft, und an Tieren werden Blutversuche gemacht. Weit– und Umsicht, und einen echten Beitrag zum Frieden leistet die Firma Liebherr, Hersteller von Baumaschinen. Im Tross des baden–württembergischen Ministerpräsidenten waren die wackeren Schwaben erst jüngst nach Moskau gereist, hatten Michail Gorbatschow die Umrüstung seiner SS 20–Lafetten zu Baukranen versprochen, und den Zuschlag erhalten. Wo so viel Glück und arbeitsame Zufriedenheit herrscht, wo schon wegen der Beichte das Wahlkreuz fast immer an der richtigen Stelle sitzt, da ziehts, in den wenigen Mußestunden, die das Regieren in Stuttgart und Biberach läßt, den Landrat das Warmtal hinauf in die Einsamkeit. Eine alte Schule, gleich neben der Kirche, hat er sich dort wohnlich gemacht. Zwei Reitperde und vierzig Schafe dienen der Entspannung und ersetzen den Rasenmäher. Die Bäuerin nebenan sorgt sich ums Grobe, und laut wird es nur, wenn Freunde, Minister und Abgeordnete da sind, und die zwischen den vielen Geweihen und allgegenwärtigen Kruzifixen, nach Rauchfleisch und Most, auch noch singen. Nur Wahlen stören die Idylle All die Idylle wäre perfekt, gäbe es nicht doch hin und wieder Wahlen. Mit den Sozialdemokraten, mit den Freien Wählern und Freidemokraten lief ja bisher noch alles einvernehmlich und gut. Seit einigen Jahren aber gibt es die Grünen. Daß ein Osswald Metzger im benachbarten Bad Schussenried aus dem autonomen Jugendzentrum direkt in den Gemeinedrat zog, und dann fast Bürgermeister wurde, ging ja noch an. Daß aber die unabhängigen Grünen und Alternativen mittlerweile fast überall in den Räten sitzen, auch dem Kreisrat, dem der Herr Landrat vorsitzt, das war zuviel. Als alleinherrschender Demokrat hieß es da Fassung bewahren, und nur diffamieren, wo Minderheiten ausgemacht sind - bei der Abtreibung etwa oder beim Kindersex. Es hat nichts genutzt, der sicherste christdemokratische Wahlkreis kam in Bewegung. Seit Wochen zieht der Jungbauer und Biolaborant Elmar Bartun von Gemeindesaal zu Dortwirtshaus. Die Säle sind voll, und der sommersprossige, rotbärtige Jungbauer kommt an, wenn er im Ertinger Cafe–Restaurant Fensterle über EG–Beschlüsse, Flächenstillegung, Milchquoten, Sauenfleisch spricht. Wenn er erklärt, weshalb die Landesregierung kein Interesse hat, etwas gegen Industrialisierung der Landwirtschaft, gegen Dünger– und Chemieeinsatz zu tun, wenn er schimpft gegen das Bauernlegen. Es wird still im Cafe–Restaurant Fensterle, und zu den vielen Jungen hocken sich der Wirt und zwei Alte, wenn der Grüne von der Öffnung des EG–Binnenmarkts in vier Jahren berichtet, und daß es schlecht aussieht mit dem Imitationsverbot und dem Gewässer– und Umweltschutz, und daß dann genmanipulierte Riesenrindviecher ein Drittel mehr Milch geben. Da löst sich das Mißtrauen gegen die Chaoten, Abtreiber und Kinderschänder, wenn der grüne Kandidat auf aussichtslosem Posten von Regelungskompetenzen, Direktvermarktung und biologischem Anbau und Milchkuh–Leasing erzählt. Da sind bei der Vorstellung, daß wegen Hormonfleisch der Busen schwillt, für kurze Zeit Landrat und Klerus vergessen. Da fragen nur noch wenige, wie es die Grünen mit dem 218 so halten. Warum Abtreibung nicht Sache von Männern ist, erklärt eine Junge Frau aus dem Publikum. Und wies sich mit der Vergewaltigung in der Ehe verhält, diskutiert man bereits über die Tische. Und wenn der Elmar Braun müde ist, und alle auffordert, am Dienstag die CDU zu wählen, wenn sie am Sonntag zuvor ihn gewählt haben, dann bekommt er seinen Beifall, das nächste Weizenbier wird bestellt und die Diskussion geht erst richtig los.
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