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P O R T R A I T Ciriaco de Mita - Intellektueller des Südens

■ Italiens wahrscheinlicher neuer Regierungschef ist ein eher untypischer Christdemokrat

Aus Rom Werner Raith

Seine Stimme schwillt kaum einmal über den Pegel leidenschaftslosen Gemurmels an, sein Dialekt - in der Aussprache u von Griechen besetzten Süditalien), was seine Gegner weniger vornehm mit „Terrone“, Südlicht übersetzten - und dennoch hält sich der allseits Geschmähte seit nunmehr sechs Jahren munter im Sattel des christdemokratischen Parteisekretärs: ein Rekord. Ciriaco de Mita, trotz seiner 60 Jahre noch immer als Vertreter der „jungen Generation“ signiert, ist eine Art Antityp zu den machthungrigen, intrigenfixierten Politikern, die das Land sonst regieren. Seit der Ermordung Aldo Moros, der in seiner Verhandlungszähigkeit und mit seinem Geschick für allseits akzeptable Formeln der große Lehrmeister de Mitas war, sind solche Leute ziemlich rar geworden. Mit großer Beharrlichkeit hat sich de Mita seit seiner Wahl als Verlegenheitskandidat 1982 daran gemacht, seine Partei vom Zerfall in ein halbes Dutzend „Strömungen“zu befreien, aufgebaut jeweils um Platzhirsche wie Guilio Andriotti (derzeit Außenminister), Amintore Fanfari (Innenminister) und Arnaldo Forlani (Parteipräsident): de Mita wollte eine moderne Volkspartei formen, den Vorsitzenden vom Parteivolk wählen und nicht mehr von den Strömungshäuptlingen ausmauscheln lassen und ansonsten eine strikte „Selbstreinigung“ der Partei durchsetzen. Die notorisch mafios durchsetzte palermitanische DC stellte er unter kommissarische Leitung und förderte dort eine Koaltion mit Linksunabhängigen und Grünen, in mehreren Dutzend großen Städten sorgte er für die Einrichtug von Großen Koalitionen aus DC und PCI. Systematisch suchte er auch den seit fünf Jahren geradezu ins Unermeßliche gestiegenen Einfluß des machtbewußten Sozialisten Bettino Craxi einzudämmen - was lange Zeit danebenzugehen schien, nunmehr aber offenbar gewisse Erfolge zeitigt: de Mita setzt systematisch seine öffentlich zur Schau getragene Skrupulosität dem „Dezisionismus“, der „Entschlossenheit“ Craxis entgegen - und bindet damit inzwischen beträchtliche Arbeiterschichten und auch einen Großteil der Intellektuellen stärker an sich als alle anderen Parteien. Offenbar kommt seine Bereitschaft, Fehler zuzugeben und auch mal eine Antwort schuldig zu bleiben, ebenso an wie sein oftmaliger Rückzug in seine Heimat bei Avellino (im neapolitanischen Hinterland), „zum Reflektieren und Ausspannen“. Die Frage ist freilich, ob de Mita seinen Teamgeist und seine Freude am Diskutieren vor dem Entscheiden auch auf eine Regierungsmannschaft übertragen kann. Und spätestens mit seinem Regierungsbeginn - wenn er die Leitung seiner Partei abgeben muß - werden die alten Strömungen wieder zu neuer Blüte gelangen und ihm das Leben sauer machen.

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