: „Tabula rasa“ auf dem Basler Marktplatz
■ Wegen „Sinnesentfremdung“ zieht der Schweizer Chemie–Gigant Sandoz ein Brunnengeschenk an die Stadt Basel zurück / Die Bildhauerin Bettina Eichin hatte die Brand–Katastrophe vom 1.November 1985 einbezogen / Sandoz hatte versucht, Einfluß auf den Entwurf zu nehmen
Aus Basel Thomas Scheuer
Der Brunnen sollte am nördlichen Ende des Basler Marktplatzes, schräg gegenüber vom historischen Rathaus, plaziert werden. Hier, wo derzeit noch ein Müllcontainer die Reste des täglichen Marktgeschehens schluckt und ein Fahrradparkplatz für einen wenig gelungenen Abschluß des Platzes sorgt, so befand eine beamtete Runde aus Stadtbild–, Denkmal– und Kunstexperten, sei der geeignete Standort für das Geschenk an die Basler Bevölkerung, mit dem sich der Chemie–Multi Sandoz zum 100. Firmengeburtstag im Zentrum der Stadt ein plätscherndes Denkmal setzen wollte. Entwurf und Modell der Bildhauerin Bettina Eichin hatten das Placet der städtischen Entscheidungshosenträger wie des Donators erhalten. Die Künstlerin, die den Stifter zum Zeitpunkt der ersten Anfrage nicht kannte, hatte in ihrem Entwurf die Funktionen des Marktplatzes vereint: Im Zentrum ein schlichter Trog als Wasserstelle für Marktleute und Durstige, „Wasser ohne jeden Schmuck“. Links und rechts davon je ein in dunkler Bronze gegossener Tisch, „zwei Tische unter vielen auf dem Markt“. Der eine, üppig beladen mit einheimischem Gemüse, Früchten und Blumen, soll für das Marktgeschehen in der Herbstsaison stehen. Auf dem anderen stapelten sich Dokumente und Akten, dazu eine Trommel, darunter zusammenge rollte Transparente; er sollte die Regierungstätigkeit im benachbarten Rathaus ebenso wie die Manifestation des Bürgerwillens durch Demonstrationen (Transparent) symbolisieren und natürlich - in Basel obligatorisch - die Fasnacht (Trommel). Im Frühjahr 1986 wurde das Geschenk anläßlich der Jahreshauptversammlung des Konzerns offiziell der Stadt übergeben. Bettina Eichin machte sich ans Werk. Der Markttisch war, zumindest aus Modellwachs, bald fertiggestellt. Doch der „politische Tisch“ sollte der Bildhauerin heftige Bauchschmerzen bereiten. „Ins Zentrum“ traf sie nach eigenen Worten die Brandkatastrophe in der Nacht auf den 1. November 1986. Im ersten Moment „sprachlos und überfordert“, stellte sie die Arbeit an ihrer Brunnen–Komposition „Herbst 86“ (!) vorläufig ein. „Ein halbes Jahr hat die Verbindung Kopf–Hand nicht funktioniert“, erinnert sie sich, wußte sie nicht, ob sie „kneifen“ oder diesen Auftrag „erst recht als Herausforderung“ weiterführen sollte. Nach langem Überlegen kam sie zu dem Schluß, „daß ich mit dem Brunnen auf dem richtigen Weg war“. Die Kombination aus Nahrung, Wasser, Politik, Demonstration war plötzlich voll brand–aktueller Symbolik. Dazu setzte sie um, was die Brandnacht in ihrem Kopf zurückgelassen hatte: „tabula rasa“. Tabula rasa also auf dem „politischen“ der beiden Tische. Der aktualisierte Ent wurf: Akten, Dokumente und Flugblätter sind jetzt unter dem Tisch verstaut. Auf der abgeräumten Tischplatte steht das Datum „1.November 1986“. Das Datum der Katastrophe als in Bronze gegossenes Mahnmal? Dieses mitten im Zentrum der Stadt plaziert? Und auch noch bezahlt vom Katastrophen–Konzern selbst? Solcherart öffentliche Vergangenheitsbewältigung ent sprach mitnichten dem Geschmack des Sandoz–Managements. Schon im Modellstadium geriet der Brunnen zur sprudelnden Konfliktquelle. Mehrmals erhielt Frau Eichin Besuch aus der Sandoz–Vorstandsetage; der Vizepräsident himself versuchte ihr nahezubringen, daß der aktualisierte Entwurf für die Konzern– Mitarbeiter unzumutbar sei. Bettina Eichin pochte auf ihre künstlerische Freiheit. Am Donnerstag dieser Woche gab die Konzernleitung nun einen Entschluß bekannt: Wegen „Sinnesentfremdung“ zieht die Sandoz AG ihr bereits getätigtes Geschenk an die Stadt Basel wieder zurück. Die Bildhauerin wird für ihre bisherige Arbeit entschädigt. Offen ist, ob eventuell öffentliche oder private Initiativen in die Spender–Lücke springen.
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