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Bücher für den Staatsanwalt

■ In der Türkei wird die Pressefreiheit immer noch mit Füßen getreten / Enthüllungen über das Ausmaß und die innenpolitische Funktion von Folterungen brachten ihm Prozesse, Morddrohungen und das bundesdeutsche Exil: Der Fall Kürsat Istanbullu / In der Bundesrepublik zur Untätigkeit verdammt

Von Manfred Moos

Daß er noch lebt, verdankt Kürsat Istanbullu einem Kollegen. Im Sommer 1987 erhielt der heute 37 Jahre alte türkische Journalist einen Wink, sich schleunigst ins Ausland abzusetzen. Kürsat Istanbullu, der in der Türkei unter der Anklage steht, „die Sicherheitskräfte des Staates beleidigt und zersetzt“ zu haben, sollte mit einem inszenierten Unfall aus dem Weg geschafft werden, weil er zuviel wußte. Zuviel wußte über die Folterkeller der Polizei und des Militärs und über die Hintermänner der Folterknechte. Die Aussicht, daß der unbequeme Journalist für seine Enthüllungen über die Folter in der Türkei von einem Schwurgericht zu mehreren Jahren Haft verurteilt werden sollte, genügte den Feinden Istanbullus offenbar nicht. Sie fürchteten, so vermutet er heute, daß der Druck der demokratischen europäischen Öffentlichkeit bei einer tatsächlichen Verurteilung die türkische Regierung zum Nachgeben gezwungen hätte. Unbeliebt bei Polizei und Militär machte sich Kürsat Istanbullu zuletzt mit seinem 1986 erschienen Buch „Verhaftet und verschwunden“. Das Buch schilderte exemplarisch an fünf Fällen, daß die Folter und das Verschwindenlassen von Menschen nicht nur untergeordneten Schergen anzulasten sind. Diese Repressionsmaßnahmen gehören vielmehr zum Instrumentarium der türkischen Innenpolitik beim Umgang mit der linken Opposition. Daß er seine Fakten zum Großteil offiziellen Erklärungen des Generalstabs über Todesfälle im Polizeige wahrsam entnahm, nützte Istanbullu dabei nicht. Die Recherchen Kürsat Istanbullus und anderer türkischer Journalisten ergaben, daß auch zwei Jahre nach der Aufhebung des Ausnahmezustandes in der Türkei systematisch gefoltert wird. Die türkische Generalität duldet diese Praxis nicht nur, einzelne Mitglieder werden sogar verdächtigt, direkt an Folterungen teilzunehmen. Die Anschuldigungen, die Kürsat Istanbullu gegen hohe Militärs und Polizeibeamte erhob, führten nicht zu einer Untersuchung der Vorwürfe. Die Staatsanwaltschaft Istanbul nahm sie vielmehr zum Anlaß, gegen Istanbullu und seinen Verleger Isfendiyar Erzik wegen „Beleidigung und Zersetzung des Militärs und der Sicherheitskräfte“ zu ermitteln. Nach einem Bericht der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet vom 8. April 1987 forderte die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von sieben Jahren für die „Vergehen“ Istanbullus. Diese Strafe kann nach türkischem Recht verdoppelt werden, wenn ein Journalist der „Beleidigung der Staatsgewalt“ beschuldigt wird. „Verhaftet und verschwunden“ stieß in der türkischen Öffentlichkeit auf großes Interesse. Obwohl das Buch in keiner Zeitung oder gar im staatlich kontrollierten Rundkunk besprochen wurde (bzw. besprochen werden durfte), stand es über mehrere Wochen hinweg an der Spitze der türkischen Bestseller–Liste für Sachbücher. Die Erstauflage des im Istanbuler Yalcin–Verlags erschienen Buchs war innerhalb von drei Monaten vergriffen. Kurz nachdem eine zweite Auflage er schienen war, wurde von der Staatsanwaltschaft ein Verbot des Buches beantragt. Das Zweite Schwurgericht in Istanbul gab dem Antrag am 14. Januar 1987 statt. Die Verantwortlichen genannt Im August 1987 gelang Kürsat Istanbullu die Flucht aus der Türkei in die Bundesrepublik. Seitdem lebt er als Asylbewerber in Wiesbaden. Wir treffen uns dort zum Gespräch in einem Cafe in der Innenstadt. „Natürlich war der Vorwurf der Beleidigung und Zersetzung der Sicherheitskräfte nur formaler Natur, um mich anklagen zu können. Im westenlichen ging es aber darum, daß ich in meinem Buch die Namen von Verantwortlichen für Folter in der Türkei genannt habe.“ Zum Beispiel den des Instanbuler Polizeipräsidenten Tayar Sever: „Sever ist als Leiter der ihm persönlich unterstellten Politischen Abteilung der Polizei einer dieser direkt Verantwortlichen.“ Vieles von dem, was Kürsat Istanbullu an Beweismaterial für die staatlich legitimierte Folterpraxis seit dem Militärputsch vom 12. September 1980 in der Hand hatte, mußte er bei seiner Flucht in der Türkei zurücklassen. Unterlagen etwa über geheime Versammlung von Richtern, Staatsanwälten und Polizeifunktionären, die nach dem Putsch unter Beiteiligung des inzwischen pensionierten Generals Haydar Saltuk stattgefunden haben soll. „Bei diesem Treffen wurde eine Namensliste zusammengestellt. Jeder der auf dieser Liste aufgeführten politischen Gefangenen wurde praktisch für den Tod im Folterkeller freigegeben.“ Die Namen der fünf getöteten oder verschwundenen Gefangenen, deren Schicksal Kürsat Istanbullu in seinem Buch nachzeichnete, standen alle auf dieser Todesliste. Insgesamt sollen auf ihr mehrere hundert Oppositionelle verzeichnet sein, darunter auch Kürsat Istanbullu selbst. „General Haydar Saltuk hat nicht nur maßgeblich an dieser Liste mitgewirkt, er hat sich auch persönlich an Folterungen beteiligt“, ist sich Kürsat Istanbullu sicher. Da die Türkei bei ihrem Werben um Militär– und Wirtschaftshilfe der NATO– und EG–Staaten keinen Anlaß für eine Menschenrechtsdiskussion auf internationaler Ebene bieten möchte, hat sie Saltuk inzwischen offensichtlich aus der politischen Schußlinie genommen. Aus dem Militär wechselte er in den diplomatischen Dienst der Türkei. Ständig verfolgt Die Anklage im Zusammenhang mit seinem Buch über die Folter war nicht der erste Kontakt Kürsat Istanbullus mit der politischen Justiz. Gleich nach dem Militärputsch von 1980 wurde er mehrfach verhört und verhaftet, 1982 verlor er deshalb seinen Arbeitsplatz als Lehrer für Literatur und Philosophie an einer Instanbuler Grundschule. In den Jahren danach arbeitete Kürsat Istanbullu als Journalist für Zeitungen und Agenturen, außerdem verlegte er den 1985er Bericht von amnesty international über Folter in der Türkei. Zuletzt, von 1984 bis 1986, war er als Redakteur bei der linken Wochenzeitung Yeni Gündem (“Die neue Tagesordnung“) beschäftigt. Auch in dieser Zeit wurde er ständig von der Polizei überwacht. Die Flucht in die Bundesrepublik hatte für Kürsat Istanbullu zur Folge, daß er seinen Beruf praktisch nicht mehr ausüben kann. Als Asylbewerber ist ihm jede Erwerbstätigkeit verboten, außerdem darf er seinen Wohnort Wiesbaden grundsätzlich nicht verlassen. Selbst für eine Fahrt ins nur 40 Kilometer entfernte Frankfurt muß eine Sondergenehmigung beantragt werden. Mehrere Organisationen, darunter die Deutsche Journalisten–Union, haben die zuständigen Behörden inzwischen aufgefordert, Kürsat Istanbullu umgehend Asyl zu gewähren.

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