: Für die einfachen Leute ist die Lage bitter
■ Der seit dem 21. März anhaltende Streik des panamaischen Mittelstands zum Sturz von Armeechef Noriega beutelt das Land / Liquiditätskrise macht es besonders den Arbeitern schwer, an Lebensmittel zu kommen / Dennoch keine Hungersnot
Aus Panama Ralf Leonhard
„Seit drei Tagen hab ich nichts im Bauch und meine drei Kinder auch nicht.“ Sanchez knallt einen Lotterieschein auf den Ladentisch: „Wieso zum Teufel kann ich damit nicht zahlen?“ Die Verkäuferin schüttelt den Kopf. Früher hätte jeder das Los als Zahlungsmittel angenommen. Seit die Konten der panamaischen Nationalbank in den USA eingefroren wurden und Panamas Banken am 4. März ihre Pforten schlossen, leidet das ganze Land unter einer Liquiditätskrise. Von der Regierung bis zum letzten Straßenhändler jammert jeder, daß er kein Geld mehr habe. In San Miguelito, einem proletarischen Vorort von Panama– Stadt, ist die Krise greifbarer als in anderen Gegenden. Ein staubiger Pfad führt von der Transisthmus– Straße hinunter in die Gemeinde von gut 200.000 Leuten, die großteils aus den Provinzen eingewandert sind. Die meisten sind Schwarze oder Mulatten. Bescheidene, wellblechgedeckte Steinhäuser kleben eins am anderen. Aus den offenen Abwasserkanälen stinkt es. Am frühen Nachmittag sitzen Männer vor dem Haus und spielen Domino. „Was sollen wir denn den ganzen Tag machen?“, fragt Rudy Mendoza. Die Versicherungsgesellschaft, für die er als Kassierer arbeitet, hat ihn eine Woche früher in die Osterferien entlassen. „Bezahlt haben sie mich mit Gutscheinen für den Supermarkt. Aber seit Tagen ist alles geschlossen.“ Am 21. März begann ein Unterneh merstreik, der 90 Prozent des Geschäftslebens lahmgelegt hat. Ziel des Streiks ist der Sturz von Armeechef Noriega. Rudy hat nur drei Kinder, „sonst hätte ich mir schon die Kugel gegeben“. Die meisten Familien essen nur noch einmal am Tag. Hunger hat es in Panama nie gegeben. Auch jetzt ist niemand vom Hungertod oder auch nur gravierender Unterernährung bedroht. Doch für die Panamaer, die zwar an bescheidenes Leben gewohnt sind, aber nie mit einer Existenzkrise konfrontiert waren, ist die Lage bitter. Yepez, der ein kleines Lebensmittelgeschäft betreibt, kann seinen Kunden keinen Kredit mehr geben. „Ich muß meine Be stände mit dem ergänzen, was ich einnehme.“ Und das ist immer weniger. Mit ihren letzten Reserven gehen die Leute sehr sparsam um. „Sie geben ziemlich genau halb so viel aus wie früher“, schätzt Yepez. Daß die Regierung manche Angestellte in Naturalien bezahlt, wirkt sich auch auf das Geschäft aus. In den letzten Wochen wurden 23.000 Säcke mit Nahrungsmitteln, die auf den Lohn angerechnet werden, ausgegeben. Unter einem großen Transparent „Öffentliche Ausspeisung der PAPO“ sind ein paar Frauen damit beschäftigt, Yuca (Manioc) in Stücke zu hacken und Hühnerfüße zu reinigen. Alles landet in einem großen Suppentopf. „Die Wurzel der Krise ist die Halsstarrigkeit eines Tyrannen“, erklärt ein eleganter Mann mit Sonnenbrille, der sich als Dr. Morales, Organisationssekretär der PAPO, der Populistischen Partei, vorstellt. 300 Personen sollen sich täglich an der PAPO–Suppe laben, und jeden Tag würden es mehr. Tatsächlich tauchen dann etwa 50 Kinder mit Blech– oder Plastikschüsselchen auf und nehmen ihren Schöpfer Hühnersuppe in Empfang. „Die Leute, die hier helfen, sind alle Freiwillige aus dem Bezirk“, sagt Morales, „keiner gehört der Partei an“. Das stimmt. „Die PAPO hat zuletzt in San Miguelito ganze vier Stimmen bekommen“, erheitert sich Luis Salazar, der seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Fruchtsäften verdient. An Noriega läßt auch er kein gutes Haar. Überhaupt ist es schwierig, unter den Arbeitslosen und Lohnarbeitern jemanden zu finden, der den General verteidigt. Manche gehen sogar soweit, eine Intervention der USA herbeizusehnen: „Die bringen nur Dollars.“ Auch die Kirche ist aktiv. Die Caritas, die Hilfsorganisation der Katholischen Kirche, verteilt über 150 Pfarreien täglich Lebensmittel im Wert von 35.000 Dollar an 7.000 Familien. Das meiste sind Spenden von Unternehmern, die die Protestbewegung gegen Noriega organisieren. Jetzt hat die US–Regierung, die durch das Einfrieren der panamaischen Gelder die Liquiditätskrise ausgelöst hat, 25.000 Dollar für humanitäre Hilfe an Panamas Bevölkerung freigemacht. Auf dem Treppenabsatz eines Holzhauses im alten Zentrum Panamas sitzt die 19jährige Marisol in einem abgetragenen Baumwollkleid. Sie ist arbeitslos, seit sie ihre Schwangerschaft nicht mehr verbergen konnte. Von den sieben Brüdern hat keiner Arbeit. Der Vater, früher auf einem Krabbenkutter beschäftigt, paßt jetzt gelegentlich auf Boote im Hafen auf. Mit den paar Dollars, die er damit verdient, kann er gerade Reis und ein paar andere Grundnahrungsmittel für die Familie kaufen. An Milch ist nicht zu denken: viel zu teuer. Die Zukunft für Marisols Baby? „Wenn die Geschäfte wieder aufmachen, finden meine Brüder vielleicht Arbeit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen