: „Wie rede ich mit besorgten Bürgern?“
■ Initiativgruppe der „Eltern für unbelastete Nahrung“ bei Töpfer / Weisheiten und Sprichwörter aus des Umweltministers Mund / Töpfers ganzes Sinnen und Trachten gelte weltweitem Sicherheitsstandard der Reaktoren
Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Von den sonst kahlen Wänden des Saals 202 im Umweltministerium lächelt Bundespräsident Weizsäcker an diesem Nachmittag besonders milde. Nicht ohne Grund: Den Kurs „Wie rede ich mit besorgten Bürgern“ braucht sein Minister Töpfer nicht mehr zu absolvieren. Am langen Konferenztisch im Saal 202 bringt er gerade wieder den Beweis. Ihm gegenüber sitzen sechs Frauen und Männer der Initiative „Eltern für unbelastete Nahrung“, ein Dachverband von immerhin 16.000 nach Tschernobyl aktiv gewordenen Müttern und Vätern. Es ist die erste Bürgerinitiative, die direkt den Weg an den Ministertisch gefunden hat - auf Einladung und auf Kosten des Hauses. Klaus Töpfer gruppiert Kaffeetasse, Löffel, Uhr und Terminkalender akkurat um seine Kladde: Seine Zeit sei knapp, aber er wolle mehr tun als nur eine Verpflichtung erfüllen: „Ich habe nicht die Illusion, daß wir uns am Ende einig wären, aber wir wollen Argumente austauschen und ich will mir Ihre Besorgnis anhören.“ Das klingt gut, nicht anbiedernd und nicht schroff, eine Mischung aus Minister und Konfliktberater. Dann werden eine Reihe von Umweltthemen abgehandelt, die von den Bürgerinitiativlern unsicher und zaghaft über den breiten Konferenztisch geschoben wer den. 16.000 haben sie hinter sich, aber hier sind sie ziemlich allein - und bekommen gegenüber dem Skat–Profi Töpfer kaum einen Stich. Niedrigstrahlenbelastung: Natürlich solle die Lebenszeitdosis als ergänzende Größe in die neue Strahlenschutzverordnung - „dafür werden wir von anderen kritisiert“, so etwas betont Töpfer immer wieder gern. „Wenn die Novelle fertig ist, werde ich Sie Ihnen zusenden, damit Sie ihre Meinung dazu sagen könnnen.“ Und das Forschungsprogramm zur Radioaktivität, ob denn da auch „kritische Wissenschaftler“ beteiligt seien, wollen die Eltern wissen. Für den Minister ist das Stichwort eine glänzende Vorlage für einen Ausflug in die Wissenschaftsphilosophie: „Das müssen Sie mal bei meinem Freunde Karl Popper nachlesen. Für mich ist ein Wissenschaftler immmer kritisch. Er soll doch nicht bestätigende, sondern widerlegende Argumente suchen.“ Und die Atomenergie überhaupt - da kommt Töpfer erst richtig in Schwung: „Ich sage immmer: Wir müssen eine Zukunft ohne Kernergie erfinden. Aber wir können doch heute nicht verzichten, wenn diese Zukunft noch nicht da ist.“ Den Weg in die Zukunft pflastert er mit einem chinesischen Sprichwort: „Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt.“ Sein ganzes „Sinnen und Trachten“ - dabei ballt er so gar dezent die Faust - gelte einem weltweiten Sicherheitsstandard der Reaktoren, doch dürfe das kein Alibi sein, die Alternativenergien zu vernachlässigen. Daß die Kernergie selbst das größte Sicherheitsrisiko sei, wie ihm sein Gegenüber entgegenhält, kontert der Minister routiniert: „ Aber denken Sie doch nur an die dramatische Perspektive der Gentechnologie.“ Unter der Kaskade von Weisheiten, Sprichwörtern und hineingestreuten Kompetenzbeweisen kommen die Bürgerinitiativler zusehends ins Schwimmen. Zaghaft spricht noch einer die Gülle–Vergasung an. Töpfer: „Werden Sie dann vor Ort auch alle dafür sein, daß diese Anlagen gebaut werden? Was meinen Sie, was es da noch für Probleme mit den Anwohnern gibt!“ Schon hat er seine Kontrahenten dahin gezogen, wo er sich selbst gern sieht: Auf der Schnittstelle zwischen Sachzwängen, widerstreitenden Interessen, Machbarem und Wünschenswertem. Schließlich: „Man ist doch selbst ein Bürger in dieser Republik.“ Und der Bürger Minister will nicht als einer gelten, so sagt er am nächsten Tag im Journalistenkreis, „der so in der Interssenverflechtung steckt, daß er gar nicht anders kann, als für die Kernernegie zu sein“. Mit dem Versprechen, sich bei den Norderstedter CDU–Parteifreunden zu erkundigen, warum sie den „Eltern für unbelastete Nahrung“ Schwierigkeiten bei der Einrichtung einer Meßstelle machen, eilt der Minister zum nächsten Termin. Er hatte einen schwachen Gegner bei diesem Bürgerdialog - ein Grund mehr zur Leutseligkeit: „Gönnen Sie mir doch auch mal einen schwachen Gegner.“
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