Das Ende einer Invasion

■ Das Treffen von Gorbatschow und Najibullah in Taschkent brachte den Durchbruch für Afghanistan

Noch ist das Abkommen in Genf nicht unterzeichnet. Doch für den Vertrag über den sowjetischen Truppenabzug scheint alles klar. Noch geht der Krieg weiter, Waffenlieferungen an beide Seiten werden im Vert

Das afghanische Zollhäuschen an der Grenze zum Iran an der Straße nach Herat lag friedlich im gleißenden Sonnenlicht. Wer sich näherte, war überrascht. Kein Lebenszeichen von Zöllnern oder Polizisten. So setzte man sich in den Schatten und wartete. Endlich, um vier Uhr nachmittags, öffnete sich eine Tür, und ein Zöllner machte eine Handbewegung, um die Reisenden in den Raum zu bitten. Zuerst wurde Tee gereicht, gefolgt von einem Haschischpfeifchen. Die Zöllner hatten es nicht eilig. Ein bißchen erzählen mußte man schon, über das Woher und Wohin, über das Wetter, die Trockenheit, die Karakoulschafe und die Preise der Hotels. Irgendwann lagen wie von Zauberhand die gestempelten Papiere auf dem Tisch. Jeder konnte, noch anfang der siebziger Jahre, diese Erfahrung machen: Afghanistan war in. Tausende zog es in den friedlichen Staat am Hindukusch, in dieses Vielvölkergemisch der Sprachen und Kulturen - dahin, wo alle Männer mit urtümlichen Gewehren bewaffnet waren und die Kriminalstatistik zur niedrigsten der Welt gehörte, wo die Preise so billig waren, daß es sich mit hundert Dollar monatelang gut leben ließ. Doch die Idylle hatte schon damals ihre Schattenseiten. Für die Reisenden oftmals verborgen entwickelten sich in der afghanischen Gesellschaft Widersprüche, die zu heftigen politischen Auseinandersetzungen führten. 1973 putschte sich mit Unterstützung linksorientierter Gruppierungen Daud Khan an die Macht, die er zehn Jahre zuvor verloren hatte. Dieser Vetter des Königs paßte in das außenpolitische Konzept der Sowjets. Er hatte sich schon in seiner ersten Regierungsperiode der Sowjetunion angenähert, nachdem die USA versucht hatten, Afghanistan in die westlichen Verteidigungssysteme SEATO und CENTO zu zwingen. Daud belohnte die Hilfe der Linken durch Posten in der Regierung, vor allem die kommunistische Parcham– Gruppe kam an die Hebel der Macht. Doch der Widerstand der islamisch–fundamentalistischen Bevölkerung führte in den folgenden Jahren zu einer Abkehr Dauds von der prosowjetischen Linken und eine Hinwendung zu den islamischen Staaten des arabischen Raums. Als sich auf Druck Moskaus die Parcham–Fraktion unter Babrak Karmal und die Khalk– Gruppe unter Mohammed Taraki 1977 zusammengeschlossen hatten, war es bald soweit: Mit einem Putsch brachten sich die Kommunisten 1978 an die Macht und bildeten die Regierung Taraki. Angetreten waren sie mit einem Programm der radikalen Bodenreform, der Schuldenbegrenzung für Bauern, der Gründung von Kooperativen und der Enteignung des Grundbesitzes. Doch damit überforderte die Regierung die afghanische Gesellschaft. Der Widerstand gegen diese radikale Politik breitete sich aus und mündete in bewaffnete Aktionen. Als dann noch der mit brutalen Methoden auftretende Hafizullah Amin Premiermninister wurde, gewann der Widerstand den Charakter eines Volksaufstands. Die Absicht der Sowjets, Amin durch Tarakitreue Gefolgsleute ersetzen zu lassen, führte zu einem Konflikt zwischen der afghanischen und der sowjetischen Führung, die schließlich in die Intervention zur Jahreswende 1979/80 mündete. Amin wurde ermordet und durch Karmal ersetzt. Die Stationierung von über 100.000 Soldaten hat in den acht Jahren, die seitdem vergangen sind, das Land weder befriedet noch für die Regierung in Kabul beherrschbar gemacht. Der Verlust des letzten Restes an moralischer Autorität für die afghanischen Kommunisten, die seither nur als Marionetten der Sowjetunion angesehen werden, hat zu dem ungeheuren Widerstandswillen der afghanischen Bevölkerung beigetragen. Trotz des Flüchtingsstroms nach Pakistan (über drei Millionen Menschen), in den Iran und das westliche Ausland, durch den mehr als ein Drittel der Bevölkerung Afghanistan verlassen hat, gelang es den konkurrierenden Organisationen der Mudjahedin, befreite Gebiete aufzubauen sowie wichtige Regionen und strategische Punkte des Landes zu kontrollieren. Als Babrak Karmal dann 1986 durch den Chef des Geheimdienstes Najibullah abgelöst wurde, dachte man zunächst an eine Verschärfung des Krieges. Doch im Kreml hatte ein Umdenkprozeß eingesetzt. Seit Gorbatschows Amtsantritt mehrten sich die Anzeichen, daß man in Moskau den Krieg in Afghanistan für nicht gewinnbar hielt. 1986 sprach Gorbatschow in einer Rede in Wladiwostok über die Beendigung des Konflikts und verband damit eine Offerte an den Westen wie auch an die chinesische Führung. Seither mußte Najibullah eine „Politik der Nationalen Aussöhnung“ verfolgen, die in einem Angebot an den afghanischen Widerstand gipfelte, in eine Koalitionsregierung einzutreten. Die Organisationen des Widerstands, die vom pakistanischen Peschawar und vom Iran aus operieren, sind darauf zwar nicht eingegangen, haben sich aber bisher noch nicht einigen können. Die zu einer Siebenerkoalition zusammengeschlossenen Gruppen im pakistanischen Peschawar unter dem Führer der größten Widerstandsgruppe Hesb–e–Islami, Hekmatiar, mußten sich zwar mit der pakistanischen Regierung über die Verhandlungen in Genf abstimmen. Zu einem einheitlichen Programm und einer gemeinsamen Politik für die Zeit nach dem sowjetischen Truppenabzug haben sie sich noch nicht durchringen können. „Sie haben für den Rückzug der Sowjets gekämpft. Seit er aber wirklich in Aussicht steht, sind sie noch nicht in der Lage, ihre unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen unter einen Hut zu bekommen“, schätzt der Afghanistan– Experte Jan–Heeren Grevemeier die Lage des afganischen Widerstands ein. „Es gibt jede Menge Ideen, wie der Staat aufgebaut werden könnte. Sicher ist, daß sich ein künftiges Afghanistan an das islamische Recht binden wird. Aber in einem Land, in dem sich die Zentralgewalt niemals durchsetzen konnte, muß es schwerfallen, sich auf einheitliche Konzepte zu einigen.“ Wenn man sich vorstelle, daß noch vor Jahren 300 Organisationen entstanden waren, dann sei der Zusammenschluß auf einige Dutzend schon eine Zentralisierung. Erschwerend komme aber noch hinzu, daß die Hauptquartiere im Ausland nicht unbedingt mit der Treue der militärischen Führer im Inland rechnen können. Niemand weiß wirklich, wie weit die Autorität der Auslandsorganisationen wirklich reiche. Klar aber sei, daß die islamischen Strömungen dominieren werden, und daß es nur noch darum gehe, ob unter ihnen die fundamentalistischen Strömungen gegenüber den tradionalistischen Orthodoxen die Oberhand gewännen. Zu vermuten ist also, daß mit dem sowjetischen Truppenrückzug die politischen Kämpfe zwischen den einzelnen Organisationen verschärft werden. Das sind keine Aussichten, über die die Afghanen frohlocken dürften. Afghanistan wird auch nach dem 15.Mai, wenn die Sowjets den Abzug beginnen, nicht wieder zur Idylle werden. Erich Rathfelder