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Virtuosinnen des Überlebens

■ Vietnams Frauen sind Heldinnen der Arbeit, Meisterinnen der Schattenwirtschaft und noch heute die Trümmerfrauen eines 30jährigen Krieges / Im 12.Jahr des Friedens gibt es keine Zeit zum Ausruhen / Groß ist die Sehnsucht nach einer Zukunft ohne Überlebenskampf

Von Christa Wichterich

Für eine Apo–Oma ist eine Reise durch Vietnam eine Reise zurück in die eigene Politisierung: der Sieg Davids über Goliath war auch im Napalm– und Agent–Orange– Zeitalter möglich. Zu den Bildern des Kampfes gehörten jedoch nicht nur Bilder von David, sondern auch die von den „eisernen Schmetterlingen“: Frauen, die auf Fahrrädern Nachschub transportierten oder Bunker und Schutzgräben aushoben; eine Soldatin, die einen riesigen feisten GI abführte. Was hat diesen Frauen der Frieden und der Sozialismus gebracht? Im Stadtzentrum von Da Nang ist ihr ein Denkmal gesetzt: der Patriotin, der Mutter, die ihre acht Kindern in den Kampf für ein unabhängiges sozialistisches Vietnam schickte, alle acht dort verlor und schließlich auch selbst im Kampf fiel. Die dreißigjährige Kriegsgeschichte hat das arme Land reich an Heldinnen gemacht. Sie hat den konfuzianischen Verhaltensvorschriften für Frauen mit aller erdenklichen Brutalität ein Ende gesetzt. Jahrhundertelang galten im feudalen Vietnam drei Gehorsamkeitsregeln: eine Frau sollte niemals unabhängig sein, zuerst mußte sie dem Vater gehorchen, dann dem Ehemann und schließlich dem Sohn. Diesen Frauen wurde im Krieg gegen Franzosen und Amerikaner dann plötzlich Selbstständigkeit abverlangt und statt der „drei Gehorsamkeiten“ „drei Verantwortlichkeiten“ übertragen: sie mußten die Männer im Produktionsbereich ersetzen, ihren Platz in der Familie ausfüllen und den bewaffneten Kampf unterstützen. Der Bruch mit den herrschenden Normen wurde zum politischen Programm. Eine der „eisernen Schmetterlinge“ war Frau Tran. Heute arbeitet sie im Kultursekretariat der Provinz Cu Chi, unweit von Ho Chi Minh Stadt. Die eiserne Festung von Cu Chi, ein 200 km langes Netz unterirdischer Gänge ist ein Symbol des unbesiegt gebliebenen Davids - und heutzutage eine Touristenattraktion. Frau Tran erklärt die Konstruktion der Anlage, berichtet über die Giftgasattacken der Amis und die hohen Verluste unter den Kämpfern - so nüchtern als wäre dies nicht ein Teil ihrer eigenen Biographie. Botengänge für die Kämpfer, Versorgung mit Nachschub, Angst vor Entdeckung, regelmäßige Bombenangriffe - das waren ihre Kindheit und Jugend. Heute ist sie 35 und unverheiratet. Nicht alles für das Vaterland In den Medien werden Frauen wie sie als „soziales Problem“ bezeichnet. Mit dieser „Kriegshinterlassenschaft“ tut sich die sozialistische Gesellschaft schwer, denn unverheiratet zu sein ist in der stark familienorientierten Kultur Vietnams für eine Frau stets ein soziales Stigma gewesen, kein Wunder in einer Kultur, in der frau nur als Mutter eine vollwertige Frau ist. Der Staat hat Adoption nun auch für alleinstehende Frauen zugelassen, da ihm die wachsende Zahl nicht–ehelicher Kinder solcher Frauen offenbar ein Dorn in dem Auge war, das über Sitte und Ordnung wacht. „Alles für das Vaterland, alles für den Sozialismus“ prangt es in riesigen Lettern an einem Berghang nördlich von Hanoi. Für die Bäuerinnen, die am Fuß des Berges auf dicht bepflanzten Beeten Kohlköpfe gießen, gehört die Parole der Vergangenheit an. Auf diesem Stück „Gartenland“, das die Familien neuerdings ihr privates „Eigentum“ nennen dürfen, wirtschaften sie auf eigene Rechnung. Ihr Soll für Vaterland und Sozialismus leisten sie auf den Feldern der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG). Die vom Distrikt gesetzten Planziele konnten sie dank des fruchtbaren Bodens im Delta des Roten Flusses übererfüllen. Die Überschüsse werden unter den LPG–Mitgliedern aufgeteilt, wandern in deren Kochtöpfe und auf die neuerdings florierenden „freien“ Märkte. Die Straße von der LPG zum Roten Fluß wird von einer Reihe kleiner Steinhäuser gesäumt, viele noch im Rohbau. Die Jahreszahlen über den Haustüren zeigen, daß die Früchte der neuen Freiheit für die Privatinitiative hier rasch zu Stein geworden sind. Das ist für die Bäuerinnen der Wirtschaftsfrühling: ein Steinhaus, ein Fahrrad, ein paar Schweine, bei manchen ein Radio - für sie ein Leben in nie gekanntem Wohlstand. Was sie sich für die nächste Zukunft wünschen? Produktivitätssteigerung und Arbeitserleichterung. Deshalb sehnen sie einen Traktor herbei, Agrotechnik, Insektizide gegen den drohenden Schädlingsbefall, eine Dieselpumpe, bessere Transportmöglichkeiten. Bisher ersetzen die Frauen die fehlenden Transport– und technischen Hilfsmittel: an einer Bambusstange, die sie sich über die Schulter legen, hängen wie an einer Waage Eimer mit Wasser, hochbeladene Körbe mit Gemüse oder riesige Bündel von Reisstroh; nach dem Pflügen zerschlagen die Bäuerinnen die Erdbrocken mit einem Rechen und glätten die erneut unter Wasser gesetzen Felder schließlich mit der bloßen Hand, bevor sie die Saat ausstreuen; in Mittelvietnam, wo Reiswanzen die letzte Ernte gänzlich zu vernichten drohten, haben die Bäuerinnen Tonnen von Wanzen von den Reisstengeln abgepflückt und dann verbrannt. Da ist der Ruf nach arbeitserleichternder Technik nur zu verständlich. Überlebensvirtuosität Auch in der LPG Yen So, 30 km außerhalb von Vietnam, hofft man auf Technik. Hier wie in allen LPGs sind Frauen in der Mehrheit, 63 Prozent der 1.260 Arbeitskräfte. Frau Dingh ist die einzige Frau im fünfköpfigen Vorstand der LPG. „Während des Krieges“ , erzählt sie, „haben die Frauen alle Arbeit gemacht und sogar das alte Tabu gebrochen, daß nur Männer pflügen dürfen.“ Und wer würde für die Maschinen zuständig sein, falls die LPG denn je welche bekommen sollte? Das würden wohl die Männer machen, meint Frau Dinh, denn Maschinenarbeit sei ja meist schwere Arbeit. Frau Dinhs Mann ist seit zwanzig Jahren bei der Armee, und das bedeutet permanente Trennung. All die Jahre hat sie allein für die drei Kinder aus der Besuchsehe gesorgt und sie weiß sehr wohl, was sie geleistet hat. Doch auf die Frage, warum sie die einzige Frau im LPG–Vorstand ist, lächelt sie entschuldigend. „Die Frauen haben so viel zu tun, produktive Arbeit und Hausarbeit. Da haben die Männer mehr Zeit. Energischer reagiert auf dieselbe Fage Duong Thi Duyen, Vertreterin der zehn Milionen mitgliederstarken Frauenunion: „Viele Frauen sagen jetzt selbst: Wir machen die Arbeit, wir wollen auch in die politische und wirtschaftliche Führung. Deshalb propagieren wir eine neue Familienkultur. Demokratie zwischen Mann und Faru heißt Teilung der Hausarbeit.“ Die Verfassung der sozialistischen Volksrepublik verspricht den Frauen erstmalig in der Geschichte des Landes Gleichberechtigung. Mehr als gleich sind sie in vielen Wirtschaftsbereichen. Laut offiziellen Statistiken stellen sie mit 65 Prozent die Mehrheit der Erwerbstätigen. Der Wiederaufbau des Landes ist bis heute Frauensache. Ob Straßen geteert oder Kanalisation verlegt wird, ob Kohle aus Minen gefördert oder Nachtschicht in einer Textilfabrik geschoben wird - die Frauen sind das Rückgrat der gesamten Ökonomie. Stolz wird auch darauf verwiesen, daß einzelne den Einbruch in klassische Männerdomänen geschafft haben: die Zahl der Ingenieurinnen wächst, an der Universität von Hanoi unterrichtet eine Mathematik–Professorin, kürzlich wurde die erste Schaufelbagerführerin zu „Heldin der Arbeit“ gekürt. Ein Titel, der fast allen verliehen werdem müßte, ist „Virtuosin des Überlebens“. Die dreistellige Inflationsrate frißt das niedrige Erwerbseinkommen im Nu auf. Um über die Runden zu kommen, nehmen die Frauen jede sich bietende Chance für einen Zusatzverdienst wahr. Über Doppelbela stung können sei nur müde lächeln; sie sind mindestens dreifach belastet durch Haushalt, Haupt– und Nebenbeschäftigung, es kann aber auch gut noch eine zweite Gelegenheitsarbeit dazukommen. Der informelle Sektor blüht. Zur hohen Kunst des Alltagsmanagements gehört, daß die Frauen Lücken im Dienstleistungssektor, im Straßenhandel und der Kleinproduktion aufspüren. Die „freien“ Märkte, die an allen Ecken wie Pilze aus dem Boden schießen, sind fest in Frauenhänden. Als fliegende Händlerinnen verkaufen sie belegte Baguettes, bieten Zigaretten, aus Thailand eingeschmuggelte Kaugummi und Lotterielose an, kochen Nudelsuppe über einen Eimer mit Holzkohle oder brutzeln Fettgebackenes. Ein zweites finanzielles Standbein brauchen alle: die Bäuerinnen, die Lehrerinnen und Behördenangestellten. Viele betreiben auch in den Städten einen Rest von Selbstversorgungswirtschaft, halten ein paar Hühner oder Schweine und ziehen Gemüse in winzigen Gärtchen hinter den Häusern. Manche nutzen angesichts der wachsenden Touristenzahl neuerdings wieder die Prostitution als Chance, ein paar schnelle Dollars oder Jeans zu machen. Wie zu Kriegszeiten, so stopfen die Frauen die Löcher, die bei der Versorgung der Familien und der Gesamtgesellschaft aufklaffen, und räumen die Trümmer beiseite. Sie tun dies mit unvorstellbarem Fleiß und wahrhaft eiserner Disziplin, aber mit ebensoviel Selbstbewußtsein und Vorwärtsgerichtetheit. Trümmerfrau möchte niemand ein Leben lang sein. Als ich weiland 68 Ho–Ho–Ho– Chi–Minh schrie, war Huong zehn Jahre alt. Sie lebte in einem Dorf nördlich von Hanoi und wollte wegen der Bombenangriffe am liebsten jede Nacht unter dem Bett schlafen. Sie erinnert sich wie der Kindergarten des Dorfes zerbombt und die Kinder im Spiel zerfetzt wurden. Als Oberschülerin in Hanoi hatte sie einmal pro Woche Arbeitseinsatz beim Bau des Mausoleums für Onkel Ho. Nach ihrem guten Schulabschluß gehörte sie zu den Privilegierten, die ein Stipendium für die DDR bekamen. Sie brachte 1983 nicht nur das Juraexamen aus der DDR mit, sondern auch neue Vorstellungen von Lebensqualität. Mit ihrer Ein– Zimmer–Wohnung in der Trabantenstadt am Rande Hanois, die nach Schema F des sozialistischen Realismus erbaut wurde, ist sie unzufrieden: Wasser– und Stromversorgung sind unzureichend, die Bausubstanz ist schlecht. Und die Transportmöglichkeiten mit den klapprigen, total überfüllten Bussen ins Stadtzentrum sind miserabel. Mit den 3.000 Dong, die Vater Staat ihr im Monat für den Job in einem Ministerium zahlt, fühlt sie sich stiefväterlich behandelt: sie reichen nur für zehn Tage. Die Suppenverkäuferinnen auf dem Bürgersteig um die Ecke des Ministeriums nehmen ein Vielfaches von ihrem Akademiker–Verdienst ein. „Unproduktive Arbeit wird bei uns schlecht bezahlt, sie ist nicht so wichtig“, sagt Huong entschuldigend. Sie bezeichnet sich als „Kader“ und stellt den Sozialismus nicht in Frage - aber zu den Verlierern des Systems möchte sie nicht gehören. Huong strickt und häkelt nebenbei Babysachen und verkauft sie in ihrer Bekanntschaft wie auch all das, was sie aus der DDR mitgebracht hat und nicht unbedingt braucht. Sie ist müde, immer weiter für den Wiederaufbau verzichten und opfern zu müssen - und auch ungeduldig. Ja, sie ist patriotisch, aber sie denkt auch an sich selbst, an ihr Kind, das bald zur Welt kommt, und ihren Mann. Sie hat ein Anrecht auf sechs Monate Mutterschutz bei vollem Lohnausgleich; die medizinische Versorgung für sie und ihr Kind ist kostenlos; wenn sie wieder arbeitet, kommt das Baby in eine Kinderkrippe. Doch die Sozialleistungen, die ihr als Staatsangestellte zustehen, stopfen, auch nicht das finanzielle Loch, das sich allmonatlich auftut. „Es muß besser werden, ganz schnell“, sagt sie, als wolle sie sich selbst Mut machen. Der letzte Ausweg wäre, daß ihr Mann als sozialistischer „Gastarbeiter“ in die DDR ginge, wie Tausende von Vietnamesen, die in den Fabriken sozialistischer Bruderländer arbeiten und damit die Arbeitslosigkeit und die Staatsverschuldung reduzieren. Huong will an diese Möglichkeit gar nicht denken. Der Stoff, aus dem die Träume sind Jeans und ein Moped - das sind in Ho–Chi–Minh–Stadt die Vorboten der neuen Zeit. Die Mädchen, die beides haben, fahren mit Siegermiene durch das Fahrradgewühl. Die Selbstgenügsamkeit der Kriegsgesellschaft liegt weit hinter ihnen. Nicht tastend, sondern rasend bewegen sie sich in die Konsumwelt hinein. Fasziniert von den Glücksversprechungen der westlichen Waren– und Kulturherrlichkeit, versuchen sie den Anschluß wiederherzustellen, der über ein Jahrzehnt abgeschnitten war. Sie schlecken Eis, tanzen zu Rockmusik und knutschen mit ihren Freunden an der Uferpromenade des Saigon–Flusses als hätten sie viel nachzuholen und ebenso viel Angst, etwas zu verpassen. Hier zählt nur das private Glück. Die schicki–micki–Frauen sind die Exponentinnen einer Gesellschaft, in der sich längst wieder das Verteilungsroulette dreht, das einige Frauen zum Betteln zwingt, andere glücklich macht, wenn sie sich eine Dauerwelle leisten können, und wieder andere auf importierten Hondas in den Konsumrausch düsen läßt. Die schicki– micki Frauen sind selbst in Ho– Chi–Minh–Stadt eine Minderheit, aber sie sind doch auch Modell: wie sie stehen für den Hunger nach Genuß, Freiräumen und Lebensfreude, für die Sehnsucht nach einer Zukunft, in der das Überleben kein Kampf mehr ist. Für die meisten Vietnamesinnen ist das Überleben immer noch ein Balanceakt, dessen Ende noch nicht in Sicht ist. Was für David gilt, gilt doppelt für die eisernen Schmetterlinge: den Krieg haben sie gewonnen, den Frieden noch lange nicht.

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