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Dieses leidenschaftliche Interesse an der Frau

■ Gespräch mit der Professorin Christina Thürmer–Rohr über die Folgen, die sich aus ihrer Theorie zur „Mittäterschaft von Frauen“ ergeben

taz: Christina, du betonst in deiner These zur Mittäterschaft der Frauen auch die politische Dimension. Willst du damit die Frauen auffordern, zu autonomen feministischen Strukturen zurückzufinden und die Zusammenarbeit in den Institutionen aufzukündigen? Thürmer–Rohr: Sicher enthält Mittäter schaft die Entsolidarisierung mit der Männergesellschaft. Aber das muß nicht heißen, daß Frauen alle in autonomen Projekten oder Zusammenhängen arbeiten müssen. Die Entsolidarisierung von den patriarchalen Selbstverständlichkeiten kannst du in der Männerinstitution versuchen zu leben oder in deinem Frauengrüppchen. Wie läuft diese Entsolidarisierung? Es gibt so viele Wege, wie es Frauen gibt. Du kannst innerhalb der Institution feministisch arbeiten oder woanders. Du kannst mit Männern ins Bett gehen oder nicht. Das ist letztendlich egal. Rigidität finde ich unproduktiv. Das hat ja auch die Frauenbewegung gezeigt, daß Formalismus und Gleichmacherei verheerend sind. Jede Frau sol experimentieren mit ihren Möglichkeiten der Entsolidarisierung. Du hast mal geschrieben, daß es auch darum geht, Wege nach einem Widerstand zu suchen, der weiß, wie, warum und wann er was tut. Gerade auch nach unseren Erfahrungen mit dem taz–Frauenstreik scheint es mir wichtig, mehr zu sagen als: Jede Frau soll experimentieren. Den Gedanken der Entsolidarisierung nimmst du erstmal als Ich auf. Du kannst also nicht vom Frauenkollektiv reden, weil das zunächst ja lauter Ichs sind. Gleichzeitig machen wir die Erfahrung, daß in diesen vielen Ichs ganz Ähnliches passiert und wir uns in einem oftmals überraschenden Ausmaß unterstützen und inspirieren können. Ich bin die allerletzte, die einem Subjektivismus das Wort redet. Aber ich kann im Moment einfach nicht von der großen Be wegung reden: Wir Frauen gemeinsam sind stark. Wir müssen diese ganzen Ichs ernst nehmen, weil sie der Boden sind, auf den der Gedanke fällt. Ich höre aus deinen Thesen den Appell heraus: Frauen erwacht aus eurer mitverschuldeten Unmündigkeit, aus eurer Bewußtlosigkeit, fangt an, über euch selbst hinauszusehen. Ich höre daraus: Cogito ergo sum. wat hörste? Ick hör nüscht, weil det Lateinischen nich mächtig, d. s.in Soll die Aufklärung für Frauen nachgeholt werden? Ich habe mit dem Cogito ergo sum das Problem, daß es so aussieht, als wollten wir nachholen, was Männer seit Jahrhunderten gemacht haben. Da die arme Frau leider nicht teilhaben konnte an der Aufklärung, muß sie damit erst heute anfangen. Aber das ist es nicht. Weil unser Denken nicht einfach eine Imitation oder Wiederholung des Denkens ist, das Männer vor und nach der Aufklärung praktiziert haben. Wir haben ganz andere Bedingungen. Unser Denken kritisiert das vom Mann Gedachte und birgt in sich dieses leidenschaftliche Interesse an der Frau. Viele Frauen haben in den letzten Jahren auf ihre Gefühle gesetzt. Du forderst: Mißtraut euren Gefühlen. Interessant scheint mir, daß sich unter Frauen nun eine Kehrtwendung zum Rationalen abzuzeichnen scheint, und zwar genau in dem Moment, wo Männer ihre Gefühle entdecken, weil sie nicht mehr in den Griff bekommen, was sie mit ihrem Verstand angerichtet haben. Ich akzeptiere diese Parallelität nicht: Die Männer gehen in den Bauch, die Frauen in den Kopf. Wenn wir versuchen, unseren Kopf anzustrengen, hat das eine andere Geschichte, weil Frauen wirklich dumm gehalten worden sind. Dumm im Sinne, ihre geistigen Werkzeuge nicht zu benutzen; ihre eigene Situation nicht aufzudecken und den Mann so zu belassen, wie er ist. Unsere Denkversuche sind nicht zu vergleichen mit der Denkgeschichte des Mannes, der immer so viel denken konnte, wie er wollte, und es zum Teil entsetzlich und zum Teil wunderbar getan hat. Du sagst, wir sollten nicht zu schnell mit linken Denktraditionen brechen. Meinst du, daß der Marxismus für eine feministische Gesellschaftstheorie überhaupt noch fruchtbar gemacht werden kann? Ich kann nur sagen, daß ich nach langer Abstinenz bestimmte marxistische Kategorien wieder fruchtbar finde. Denn ich finde so viele scharfsinnige Gedanken darin, was die Analyse von Machtverhältnissen und ihre Widerspiegelung im Bewußtsein, die Ideologiefrage betrifft. Ich kann mit der Behauptung, jeder Mensch ist ein Individuum und es gibt keine Gemeinsamkeiten, nichts anfangen. Weil die Realität zeigt, in welchem Ausmaß sich Ähnlichkeiten unter Frauen zeigen. Die gesellschaftliche Zurichtung des Menschen erscheint mir nach wie vor der plausibelste Zugang zur Realität. Mit Christina Thürmer–Rohr sprachen Ulrike Helwerth und Helga Lukoschat

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