Die Lust zu denken und zu wissen

■ Kongreß zur Mittäterschaft von Frauen an der Technischen Universität Berlin

Feministinnen haben wieder Lust auf Theorie. Gibt es eine „Mittäterschaft von Frauen“ an der selbstzerstörerischen Entwicklung dieser Zivilisation? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer fünftägigen Tagung feministischer Wissenschaftlerinnen in Berlin, zu der etwa 800 Frauen aus dem In– und Ausland angereist waren. Anlaß bildete das zwölfjährige Bestehen des sozialpädagogischen Studienschwerpunkts „Frauenforsc

Ein Zug steht auf einem Abstellgleis: Im letzten Waggon sind die Frauen versammelt und versuchen ebenso eifrig wie mühsam, in den Speisewagen vorzudringen. Einigen gelingt das auch. Aber in die nur von Männern besetzte Erste Klasse schafft es keine. Wäre es also nicht einfacher, auszusteigen und, am Zug entlang, nach vorne zu laufen? Das Bild des Zuges - von der Malerin Gisela Breitling konkret auf die Situation der Frauen in der Bildenden Kunst gemünzt - inspirierte die Runde der Diskutantinnen. Doch die Creme aus feministischer Wissenschaft, Kunst und Journalismus, die im Rahmen einer Tagung „Mittäterschaft von Frauen“ zu einem ganztägigen Roundtable–Gespräch zusammengekommen war, hatte ihre Probleme mit der Metapher. Lohnt es wirklich, sich in die Erste Klasse vorzukämpfen? Muß der Ausstieg nicht unwiderruflich sein? Aber steht der Zug überhaupt still? Und wenn er fährt, fährt er nicht in die Katastrophe, und wie kann er noch - von Frauen - aufgehalten werden? Das Podiumsgespräch war das Highlight des fünftägigen Kongresses. Es war erneut ein Versuch, den Standort feministischer Politik zu bestimmen. Die Konfliktlinien waren nicht neu, auch nicht die Fragen, die aufgeworfen wurden. Viele sind auch diesmal offengeblieben. Doch die intensive Gesprächsatmosphäre, frei von akademischer Mißgunst und Profilierungssucht, zeigte, daß Theoriebildung in der Frauenbewegung wieder groß geschrieben wird. Die Zeiten der „Bauch–Politik“ und des Wie–gehts–mir– denn–heute, sie scheinen an At traktivität verloren zu haben. Als leidenschaftliche Verfechterin der Lust am Denken präsentierte sich die Gastgeberin Christina Thürmer–Rohr, Professorin für Frauenforschung an der Technischen Universität Berlin. Ihr analytisches und gesellschaftspolitisches Konzept der „Mittäterschaft von Frauen“ stand in diesen Tagen zur Diskussion. Mittäterschaft meint die alltäglichen und normalen Verhaltensweisen von Frauen, die das Weiterfunktionieren dieser Gesellschaft ermöglichen: Daß Frauen nicht direkt an dem Hervorbringen dieser Zivilisation vor allem im Bereich zerstörerischer Technologien beteiligt sind, entlastet sie nicht. Frauen sind nicht nur Leidende, sondern Akteurinnen - nur ihr „Mittun“ geschieht an anderen Orten. „Mittäterschaft“, so erläuterte Christina Thürmer– Rohr eindringlich, „sucht danach, wie Frauen - und in welchem Ausmaß - an der Selbstüberschätzung des Mannes, als Voraussetzung dieser ganzen Entwicklung, beteiligt sind.“ In den kritischen Blick gerät der „Sozialcharakter“ der Frau: die Bereitschaft zur Aufopferung, Fürsorge, Duldsamkeit, die den Männern das Weitermachen immer wieder möglich macht. An dieser politischen Provokation störte sich der Kreis der Kolleginnen aus den verschiedenen Disziplinen kaum. Aus der Identifikation mit der Opferrolle herauszukommen, das schien allen schon lange auf der Tagesordnung zu stehen. Doch Zweifel meldeten die Kolleginnen an der analytischen Erklärungskraft des Begriffs an, auch Kritik an seiner Einseitigkeit. Wie kommt das Widerständige, das Nicht–Angepaßte in den theoretischen Blick? Veronika Bennholdt–Thomsen aus Bielefeld, hielt das flammendste Plädoyer für die „Wildnis in uns“, die sich in einer radikalen Abkehr von der herrschenden Ökonomie verwirklichen könnte. Sie erinnerte an den Sklaven Cimarron, den sie in Gegensatz brachte zum „angepaßten Onkel Tom“: „Cimarron floh in die Wälder, in die Berge, organisierte dort sein Leben mit Seinesgleichen - das ist Autonomie.“ Soviel emphatische Aufbruchstimmung rief bei den anderen Diskutantinnen jedoch Skepsis hervor. Denn wie ist angesichts der historischen Prägungen das „ganz Andere“ der Frau zu denken? Antipodin zu der Bielefelder Soziologin war die von vornehmer Melancholie umflorte Literaturwissenschaftlerin Siegrid Weigel aus Hamburg: Kulturelle Normen und Verhaltensweisen, vor allem die Prägung durch die Sprache, lassen sich nicht voluntaristisch abstreifen. Frauen befänden sich in einer komplizierten Perspektive von Beteiligung und Ausgrenzung. „Ich wünsche mir eine dialektische Praxis, die mit diesen Widersprüchen umgeht.“ Ihr ging es dabei auch um den Blick zurück, um die Sensibilität für das Verdrängte und Vergessene, das eben nicht nur das „Weibliche“ sei. In Anlehnung an Walter Benjamins Geschichtsbild interpretierte sie Geschichte als permanente Katastrophe; die Gegenwart als „postfaschistisch“. Der „Blick zurück auf die Trümmer“, der sich gegen den Fortschrittsglauben sperrt, wurde bei ihr zum wichtigen Bestandteil einer „feministischen Störpraxis“. Doch damit ließen sich die pragmatisch Orientierten nicht zufriedenstellen. Ihnen ging es wie der Soziologin Ute Gerhard, die den einzigen Frauenlehrstuhl der Republik außer Thürmer–Rohr innehat, um die konkreten „patriarchalen Herrschaftsbeziehungen“. Den Zutritt zum „Speisewa gen“ hielt sie für existentiell. Und die Politik der Quoten, das sei die „Plätzereservierung“. So standen sie sich erneut gegenüber, die verschiedenen Denkrichtungen bei den Feministinnen: die Sehnsucht nach Autonomie und Wildheit neben der Politik der Machtbeteiligung und der Quoten. Dazwischen das postmodern inspirierte Wissen, daß alles viel komplizierter ist. „Warum ist eigentlich keine von Euch auf die Idee gekommen, die Lok zu kapern?“ fragte aus dem Publikum Adrienne Göhler von der Hamburger Frauenliste. Helga Lukoschat