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Rheinhausen: Arbeiten bis zum Ende

■ Auf „Empfehlung“ von Betriebsrat und Vertrauensleuten beendeten Rheinhausener Stahlwerker den Streik / Krupp–Vorstand und „Landesvater“ Johannes Rau hatten darauf bestanden / Spitzengespräch zur „Vermittlung“ nächste Woche / „Wir vertrauen Johannes“

Von Petra Bornhöft

Rheinhausen (taz) - Unmittelbar nach Abschluß der Belegschaftsversammlung am Donnerstag abend nahmen die seit einer Woche streikenden Krupp– Stahlwerker die Arbeit wieder auf, ohne daß die Unternehmensleitung öffentlich von ihren Stillegungsplänen einen Millimeter abgerückt wäre. Nach „Sondie rungsgesprächen“ mit Betriebsräten, Konzernvertretern, IG Metall und Parteigenossen hatte Ministerpräsident Johannes Rau sich angeboten, ein „Spitzengespräch“ zu moderieren. Gemäß der Position des Krupp–Vorstandes hatte Rau die Arbeitsaufnahme zur Bedingung einer „Schlichtung“ gemacht. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hatte Betriebsratsvorsitzender Manfred Bruckschen zuvor in der Staatskanzlei Rau „um einen Aufruf zur Wiederaufnahme der Arbeit“ gebeten. In der kommenden Woche werden die Chefs der Vorstände, Aufsichts– und Betriebsräte der Krupp–Stahl AG und der Mannesmann Röhrenwerke zusammentreffen. Die IG Metall schickt Vorstandsmitglied Karin Benz–Overhage, zugleich stellvertretende Krupp–Aufsichtsrats vorsitzende, und ein Mitglied ihres Düsseldorfer Zweigbüros. Bruckschen dankte vor der Belegschaft dem Ministerpräsidenten für die „einmalige Chance des Angebotes“, dennoch sei der Kampf „nicht beendet“. Davon gehen indes die meisten Beobachter und viele Stahlarbeiter aus. Bereits am Nachmittag war die Stimmung bei den Streikposten vor den Toren gedrückt. „Jetzt schießt die SPD auch noch gegen uns“, kommentierten Arbeiter die Äußerungen führender Landespolitiker. Der stellvertretende SPD–Landesvorsitzende Minister Christoph Zöpel hatte gesagt, die „soziale Dramatik“ in Rheinhausen sei „nicht größer als die der 2,5 Millionen Arbeitslosen“. SPD– Fraktionschef Friedhelm Farthmann hatte, ähnlich wie die FDP, die Stahlarbeiter vor weiteren „spektakulären Aktionen“ gewarnt. Zudem verbreitete sich die Nachricht, daß bei Krupp in Bochum entgegen der (öffentlichen) Annahme des Betriebsrates das Ausbleiben des Rheinhausener Vormaterials den Walzbetrieb noch nicht zum Stillstand gebracht hat. Unmut über die spärlichen Informationen aus dem Betriebsrat und den Mangel an Aktionen vor den Toren machte sich auf einer spontanen Versammlung in der Menage breit. „Wir erfahren nichts, der Betriebsrat nimmt uns alle Entscheidungen ab“, hieß es. Das Geld der „Soli“–Kasse reiche nicht für einen langen Streik, „aber mit der Spendenbüchse betteln wollen wir nicht“. Zwar glaubten am Nachmittag etliche, daß „alles umsonst war, wenn wir jetzt aufhören, deshalb müssen wir weitermachen“. Fortsetzung auf Seite 2 Doch kurz vor der eilig einberufenen Belegschaftsversammlung brachte es ein Jugendvertreter auf den Punkt: „Ich hab das Gefühl, ab morgen wird gearbeitet. Und dann: Adios Kruppianos.“ 29 Betriebsräte und 180 Vertrauensleute hatten bei nur neun Gegenstimmen beschlossen, zu Beginn der Nachtschicht die Arbeit wieder aufnehmen zu lassen. Manfred Bruckschen vor 1.500 Versammelten, darunter nach Ansicht eines Teilnehmers „ungewöhnlich viele Leitende und An gestellte aus der Verwaltung“, wörtlich: „Wir haben uns die Schlichtung erkämpft und dürfen diese einmalige Chance nicht verpassen. Johannes hat unser volles Vertrauen.“ Beifall, Zwischenrufe und Pfiffe hielten sich zunächst die Waage. Mit sich überschlagender Stimme rief der Betriebsratsvorsitzende ins Mikro: „Der Vorstand soll nicht glauben, diese Belegschaft könne man verschaukeln. Wenn sie Rau und uns zum Narren halten, werden sie schnell erkennen, daß der Kampf noch lange nicht beendet ist“. Auch der stellvertretende Betriebsratsvorsitzenden Theo Steegmann empfahl eindringlich und lautstark, den Streik zu beenden, weil „wir die Chance haben, mit aufrechtem Gang durch das Tor zu gehen“. Danach erklärte Bruckschen: „An dem Applaus habe ich gemerkt, daß die überwältigende Mehrheit für Wiederaufnahme der Arbeit ab 22 Uhr ist. Damit sind wir am Ende der Versammlung.“ Doch es meldeten sich noch einige Redner. Keiner versäumte den Hinweis, daß „mehr nicht war“ und der „Kampf nicht beendet“ sei. Abteilungsleiter Helmut Laakmann sagte: „Jetzt ist nicht die Zeit für Muskelprotz und starke Worte, sondern Zeit für sachliche Gespräche.“ Das brachte ihm den Zwischenruf ein: „Das hätte Cromme sagen können.“ Während der nachfolgenden Beiträge verstärkte sich der Beifall für die Befürworter des Streikabbruchs. Kritische Stimmen gingen im Lärm unter. Ohne zu zählen, sah Bruckschen schließlich „17 Gegenstimmen“, es waren weniger. Um 21 Uhr, Arbeiter gingen zu den glühenden Stahlpfannen, fühlte sich die Mahnwache vor Tor 1 „wie kurz vorm Begräbnis“. Andere wollten einfach „abwarten“ oder meinten resigniert: „Es geht für alle nur noch darum, das Gesicht zu wahren.“ Die meisten schwie gen. Im Betriebsratsbüro zeigte man sich „erlöst von dem Druck der letzten Tage“. Bruckschen versuchte vergeblich, Rau zu erreichen. Der kämpft noch bis heute abend in Schleswig–Holstein für die Partei. Einer der Konzernherren weilt in Moskau. So kann der Betriebsrat, vor der Belegschaft noch „guter Dinge, daß die Verhandlungen morgen oder spätestens Montag beginnen“, erst mal am Sonntagabend mit Rudi Carell und DGB–Chef Ernst Breit in Berlin um „Solidarität für Rheinhausen“ werben. Vor Ort wird heute der „Reviersolidaritätstag“ mit einem umfangreichen Programm begangen.

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