: Heimkehr einer Symbolfigur
■ Rigoberta Menchu, Bürgerrechtlerin der Hochlandindianer, ist wieder in Guatemala
„Meine Mutter hat mir gesagt: ich will dich nicht zwingen, nicht mehr Frau zu sein, aber im Kampf mußt du genauso deinen Mann stehen wie deine Brüder.“ Für Rigoberta Menchu ist das ganze Leben Kampf gewesen. Unter Todesdrohungen hat sie vor acht Jahren ihre Heimat Guatemala verlassen müssen. Am Montag ist sie aus dem Genfer Exil zurückgekehrt. Auf dem Flughafen von Guatemala– Stadt wurde sie verhaftet und mehrere Stunden lang verhört. Innenminister Peralta teilte mit, der Haftbefehl sei aufgrund von Verbrechen gegen die innere Sicherheit ausgestellt worden. Auf Anordnung des Obersten Gerichts wurde Rigoberta Menchu noch am Montag auf freien Fuß gesetzt. Eingehüllt in eine dünne Strickjacke, die ihr irgendjemand geschenkt hatte, sonst aber in der selbstgewebten, bunten Tracht der guatemaltekischen Hochlandindianer, saß Rigoberta Menchu am Wiener Flughafen Schwechat, als ich sie an einem verschneiten Dezembertag 1981 kennenlernte. Gemeinsam mit einem Kollegen von der Gewerkschaftsbewegung war sie durch Europa unterwegs: von Pressekonferenz zu Pressekonferenz und von Solidaritätskomitee zu Solidaritätskomitee, reisten sie durch den winterlichen Kontinent, um auf die haarsträubenden Zustände in ihrem Land aufmerksam zu machen. Rigoberta, damals 22 Jahre alt, erzählte ihre Geschichte, die gleichzeitig die Geschichte der Hochlandindios ihres Landes ist. Sie erzählte davon, wie die indianischen Bauern zur Erntezeit auf die Plantagen an der Küste müssen, weil ihre Parzellen zu klein sind, um die Familie zu ernähren. Denn die Ureinwohner, die stolzen Mayas, sind von den spanischen Eroberern und später von den weißen und mestizischen Großgrundbesitzern aus den fruchtbaren Ebenen immer weiter abgedrängt worden. Rigobertas Bruder Nicolas starb mit zwei Jahren an Pestizidvergiftung auf einer Baumwollplantage. Weil die Familie wegen des Begräbnisses einen Tag nicht zur Arbeit erschien, wurden alle entlassen. Mit zehn begann Rigoberta als Katechistin in ihrer Gemeinschaft zu arbeiten: das bedeutet neben der Verbreitung des Evangeliums vor allem die Sorge um die alltäglichen Probleme der Dorfbewohner. So wurde sie schon in jungen Jahren mit dem Hauptanliegen ihres Vaters Vicente vertraut gemacht: dem Kampf ums Land. Die junge Frau vollzog den Schritt von der revolutionären Interpretation des Evangeliums zur Forderung nach Konsequenzen für ihre eigene Gemeinschaft. Ein Prozeß der Bewußtseinsbildung, der den Großteil der indianischen Bevölkerung zur Unterstützung revolutionärer Organisationen brachte. So entstand das Komitee für die Einheit der Bauern. Mit 20 begann Rigoberta, Spanisch zu lernen, „die Sprache der Unterdrücker, um sie gegen die Unterdrücker zu gebrauchen“. Um auf ihre Landforderungen aufmerksam zu machen, besetzte eine Gruppe von Quiche–Indios im Januar 1980 die spanische Botschaft in Guatemala–Stadt. Das Gebäude wurde auf Anordnung des Militärdiktators Lucas Garcia gestürmt und in Brand gesteckt. Vicente Menchu starb wie alle anderen Besetzer und das diplomatische Personal in den Flammen. Wenig später wurden ein Bruder und die Mutter Rigobertas von Soldaten verschleppt und zu Tode gefoltert. Das Hochland war militarisiert, ganze Dörfer vermeintlicher Guerillasympathisanten wurden ausgelöscht. Rigoberta mußte ins Ausland flüchten. Ihr Zeugnis, tausende Male wiederholt, in einfachen Worten und ohne Pathos, hat bei vielen Zuhörern in aller Welt Solidarität und Tränen der Verzweiflung hervorgerufen. Die Festnahme bei ihrer Ankunft am Montag verrät, daß auch eine demokratisch legitimierte Regierung vor dieser Frau Angst hat. Ralf Leonhard Buchtip: Elisabeth Burgos, Rigoberta Menchu, Leben in Guatemala, Lamur–Verlag, 244 Seiten, DM 16,80
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen