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Die Kandidaten knutschen statt zu kämpfen

■ Ein müder Wahlkampf langweilt das Wahlvolk von Schleswig–Holstein / Aggressionen werden vermieden

Elf Tage vor der Landtagswahl in Schleswig–Holstein ermutigen die CDU–Wahlkampfstrategen ihr Parteivolk über Zeitungsanzeigen: „Die Zustimmung steigt. Das Vertrauen wächst.“ Spitzenkandidat Heiko Hoffmann, das „neue Gesicht“, wenn auch seit 1978 Fraktionschef im Kieler Landtag und seit 1985 Justizminister, wird als „der richtige Mann für eine Politik über den Tag hinaus“ angeboten. Ob er diese Figur auf der Oppositionsbank oder als Ministerpräsident abgeben will, hält die Werbung offen. Hinter gespenstisch stillen Fluren des Kieler Landeshauses hoffen Unions–Politiker und Beamte, von denen etliche in diesen Tagen noch rasch die Beförderung oder wenigstens einen Orden erhielten, auf die „Chance einer bürgerlich– liberalen Koalition“. Die weithin lethargische Parteibasis indes sieht die „Schicksalswahl“ bereits als verloren an. Ebenso die bäuerlichen Wähler, die beim Gedanken an eine SPD–Regierung nicht in Panik verfallen, zumal der vermeintliche Softi Hoffmann eher die gewachsene Zuneigung der beiden Spitzenkandidaten zu einander hervorhebt als die Unterschiede in der Politik. Landwirte nehmen die Politik wie das Wetter. „Gegen Regen, Frollein, können Sie nichts machen. Das müssen Sie wegstecken. So ist das mit dem Engholm auch“, sagt Bauer Heiner Ströh aus dem Herzogtum Lauenburg. „De Dickbüdel ut Bonn“ Hier, kurz vor der „Zonengrenze“, zwischen Bismarck–Latifundien und dem Anwesen der Barschels, baut die CDU auf das „festgefügte Wählerpotential“. Fast 53 Prozent hatte sie am 13. September 1987 in Ratzeburg ergattert. Letzte Woche kamen nur wenige hundert Menschen zur „Großveranstaltung“ mit Helmut Kohl. Die meisten, wie Heiner Ströh, um „denn Kanzler mol persönlich to sehn. Sien Gesabbel kennt wi jo ut Fernsehn.“ Eine zu ähnlichem Zweck angereiste Sozialdemokratin ärgert sich schwarz, weil sie nicht erspähen kann, ob „de Dickbüdel ut Bonn“ wirklich 420 Gramm über Ostern abgespeckt hat. Enttäuscht trollen sich die Ratzeburger, während Kohl nach Bad Oldesloe fährt, wo das Publikum ihn mit stehenden Ovationen und glänzenden Augen empfängt. Siebenmal mahnt Kohl, zur Wahl zu gehen - nichts fürchtet die Union mehr, als wieder erleben zu müssen, daß 500.000 Verdrossene nicht wählen. Unentschlossene über große Versammlungen zu gewinnen, hat die CDU sich vorzeitig abgeschminkt. Aus Furcht vor leeren Sälen läßt sie insbesondere Gerhard Stoltenberg lieber in Dorfkrügen sprechen. Bei seinem ersten Auftritt in „Möhls Gasthof“ zu Jevenstedt am Montag erschienen 120 Menschen, darunter 30 Azubis mit einer Protestresolution. Obgleich Stoltenberg, dem manch Holsteiner in diesen Tagen eine mehrwöchige Währungskonferenz in New York gewünscht hätte, es nicht gewohnt ist, in seinem Bundestagswahlkreis Rendsburg keinen Zwischenbeifall zu bekommen, bleibt das Wachsgesicht starr, bedankt er sich mit gewohnt schnarrender Stimme für „die große Beteiligung“ der per Fahrdienst heranchauffierten Alten. Von der „personifizierten Glaubwürdigkeit“ Stoltenbergs ist nur noch eine Restschar seiner Anhänger überzeugt. Die Kieler Zentrale dagegen setzt auf etwa 15 seichte Talkshows des Heiko Hoffmann, deren angeblich spontaner Ablauf bis ins Detail vorgegeben ist, und auf den Multiplikator–Effekt von „Zielgruppen– Gesprächen“. Im Mittelpunkt die Wurstfabrik Schriftlich eingeladen, treffen sich zehn bis 20 Bauern, Senioren, Frauen oder Mittelständler. Besonders häufig kurvt der unbekannte Dr. Rudolf Luther, vorgesehen für den Posten des Finanz– oder Wirtschaftsministers, durch die Gasthöfe zwischen den Meeren. Ob in Büdelsdorf oder Barsbüttel, Luther redet über Strukturwandel und Industrialisierung, ohne ein einziges Mal die Perspektive seiner Wurstfabrik im Dorf Satrup aus dem Auge zu verlieren. Mit der Förderung von Wissenschaft und Ausbildung „meine ich einen zusätzlichen Ausbildungsgang Fleischtechnik in Neumünster“. Von alternativen Energien hält Luther nichts, „bei mir lohnt sich die Windenergie nicht, hab ich gecheckt“. Und beim Verzicht auf Atomenergie „gehen in Schleswig–Holstein die Lichter aus, das heißt, mein Betrieb ist dann kaputt“. Ein derart „pragmatisch und präzise denkender Sachkenner“ erhält Beifall vom CDU–Mittelstand. Auch deshalb, weil der Parteilose anders als die Mehrzahl der Wahlkämpfer offen die SPD angreift. Für den Fall des „Machtwechsels nach der Schicksalswahl“ ahnt er „schlimme Zeiten“. Bei den Sozialdemokraten sei ein „Sittenverfall“ eingetreten, sie fördere in der Gesellschaft „Wehleidigkeit“ und nicht das Prinzip „erst mal sorge ich für mich selbst“. Basis beklagt Knutscherei Derlei Sülzwurst goutiert die Parteibasis, die ihre Führungsmannschaft fast verzweifelt um „Argumente gegen die SPD“ bittet und einen „aggressiveren Wahlkampf“ verlangt. So beklagen in ganz Schleswig–Holstein örtliche CDU–Politiker „fehlende Konturen der Partei“. Michael Ishorst aus Barsbüttel wartet „nur noch darauf, daß Engholm und Hoffmann sich abknutschen“. Viele Aktivisten der „schönen Heimat“ wollen das dünne Büßerhemd abstreifen, vermissen die gewohnte, mit „Sachargumenten“ verknüpfte Polemik gegen politische Gegner. Fraktionschef Klaus Kribben, das ist der mit den blauen Murmeln hinter seinen Brillengläsern, besänftigt die Ungeduldigen: „Wir mußten erst um Vertrauen werben. Jetzt, in der zweiten Phase, können wir wieder Sachargumente rüberbringen.“ Und so werden die „Leistungen der Landesregierung des verstorbenen Amtsvorgängers“ wieder zentrales Thema der Wahlgespräche. Der Tote, das steht außer Zweifel, hat Großartiges vollbracht, zum Beispiel im Rahmen des Programms „Dorferneuerung“ halb Schleswig–Holstein mit den hübschen Fenstersprossen geschmückt. Sein Fehler „im letzten Lebensabschnitt“, so erklärt es Stoltenberg, war der „extreme Medikamentenmißbrauch“. Dieser brachte mit der „Affäre die furchtbare Überraschung und schlimme Zeit für die CDU“. Auch der Besitzer von Gut Klempau, Karl Bartels, der jeden Morgen seine 45 computergefütterten Kühe melkt und danach im Wahlkreis des Duz–Freundes Barschel als Direktkandidat wirbt, fragt nach der Besichtigung neuangelegter Biotope und Knicks: „Zuletzt stand er unter Drogen. Aber seine Politik war gut. Also was wollen Sie ändern?“ Bartels, der 100 Kilometer von Kiel entfernt lebt, ist ein ehrlicher Konservativer. Seine Naturfreundschaft beeindruckt mehr den BUND als den Bauernverband und die CDU. Im nahen Schwarzenbek weigern sich die über den Tod hinaus Getreuen, Plakate für Bartels zu kleben. Aber die Chancen des Neulings sind ohnehin gering. Petra Bornhöft

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