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Späte Einsicht: Umweltorientierte Unternehmenspolitik

■ Auf einer Tagung der evangelischen Akademie Tutzing präsentierte sich die Unternehmer–Avantgarde in Sachen Umweltschutz / Die Bilanz: Umsteigen ist bei fahrendem Zug ohne Aussteigen nicht drin / Manager–Interesse erwacht erst beim Geschäft mit der Umwelt / BDI bietet Unterschriftenliste für ein gutes Gewissen

Von Peter Kleinschmidt

Wir schreiben den 26.April 1988. Zweiter Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl. In der illustren Gesellschaft, die sich in der Evangelischen Akademie Tutzing versammelt hat, nimmt niemand von diesem Datum Notiz. Warum auch? Schließlich lautet das Thema, das rund 100 Unternehmer, Wissenschaftler und Betriebsräte hierher gelockt hat: „Umweltorientierte Unternehmenspolitik“. Wem das wie die Quadratur des Kreises erscheint, wird vom Einladungsschreiben eines Besseren belehrt. „Nicht mehr die Frage, ob die Unternehmen Umweltverantwortung tragen, sondern das Wie, die Umsetzung dieser Verantwortung, steht im Vordergrund.“ Dementsprechend sollen vor allem praktische Schritte zum kontinuierlichen Abbau der Umweltbelastung vorgestellt und diskutiert werden. Daß dazu auch der Ausstieg aus der Atomwirtschaft gehören könnte, kommt allerdings während der ganzen Tagung nicht zur Sprache. Dementsprechend leicht kann der eigens angereiste Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Tyll Necker, seine Thesen über die „ökologische Verantwortlichkeit der Unternehmer“ an den Mann bringen. „Die Unternehmer selbst haben ein fundamentales Interesse an der Umwelt“, verkündet er und fordert „eine Verzahnung des ökologischen mit dem ökonomischen System“. Dann könne man trotz Wirtschaftswachstums die Umweltbelastung senken. Den Ausflug ins ökologische Unternehmerparadies untermauert er mit Paracelsus: „Es gibt kein Ding, das kein Gift ist.“ Und schließlich habe auch das Mittelalter bereits Umweltprobleme gehabt. Gelöst habe man sie allerdings nicht durch Askese und Bedürfniseinschränkung, sondern durch Technik. Nach Necker, Aufsichtsratsmitglied beim Verpackungsmittelhersteller Schmalbach–Lubeca, stehen den deutschen Bemühungen in Sachen Umweltschutz vor allem die lieben Nachbarn im Wege. Die Bundesrepublik sei in zwischen Nettoimporteur von Schwefeldioxyd, und die „Mineralölindustrie sei hierzulande mit 40 Mark Umweltschutzkosten pro verarbeitender Tonne belastet, während es in Italien ganze fünf umgerechnete Märker dafür berappt. Widerstand im Auditorium regt sich erst, als Necker beginnt, frühere Fehlentwicklungen zu verteidigen. Seinem Credo „hohe Schornsteine waren einst das non plus ultra“, wird aus dem Publikum entgegengehalten, daß man damals deren Umweltprobleme bereits erkannt und sich wegen der sonst anfallenden Filterstäube ganz bewußt so aus der Affäre gezogen habe. Geschickter verhalten sich da schon jene Herren, die nicht gleich für den ganzen Stand sprechen, sondern Fallbeispiele umweltorientierter Unternehmenspolitik beitragen sollen. So verkündet Klaus Günther, Geschäftsführer des Verpackungsmittelherstellers Bischof & Klein, seine Bereitschaft, bei ökologisch relevanten Unternehmensentscheidungen auf den Rat von Wissenschaftlern zu hören. Ansonsten hat er neben kernigen Sprüchen - „Wer die Umweltprobleme immer noch nicht ernst nimmt, ist selber eins“ - auch einige Probleme auf Lager, mit denen umweltbewußtere Unternehmen zu kämpfen haben. So lassen sich beispielsweise Kabelrohre aus Recycling–Material in die Schweiz und nach Luxemburg verkaufen, nicht jedoch an die Deutsche Bundespost: Deren Normen verlangen neues Material. Und wenn ein Unternehmen, wie im Fall Bischof & Klein, auf die Idee kommt, von seinen Lieferanten Stofflisten über das gelieferte Material zu verlangen, dann schalten die lieben Mitmanager erstmal auf stur. Um zu beweisen, daß Unternehmen wie Bischof & Klein kein Einzelfall sind, daß bundesdeutsche Unternehmen vielmehr bereit sind, nicht nur aus Profitinteresse etwas für den Umweltschutz zu tun, haben sich seit einiger Zeit gleichgesinnte in zwei Arbeitskreisen zusammengefunden: im „Förderkreis Umwelt future e.V.“ und im „Bundesdeutschen Arbeitskreis für umweltbewußtes Management e.V.“ (Abkürzung: B.A.U.M., nur echt mit den vier grünen Punkten). Rein optisch unterscheiden sich die beiden Organisationen dadurch, daß future seine Ziele teilweise sogar auf Hochglanzpapier präsentiert, während B.A.U.M. wenigstens zielentsprechend Umweltschutzpapier verwendet. Sonst sind Unterschiede bestenfalls von Insidern auszumachen. Daß jene rund 200 Unternehmen, die B.A.U.M. oder future angehören, derzeit noch einsame Rufer in der Wüste sind, zeigt sich nicht zuletzt im äußerst moderaten Ton der „Tutzinger Erklärung zur Umweltorientierten Unternehmenspolitik“, die im nächsten halben Jahr mit Rückendeckung durch den BDI massenhaft von Unternehmen in diesem unserem Land unterschrieben werden soll. Wie weit bundesdeutsche Unternehmen die ökologische Rangfolge - Vermeidung und Verwertung von Entsorgung - verinnerlicht haben, zeigen Untersuchungen zur IG Metall. Danach werden selbst die für die Metallbetriebe gesetzlich vorgeschriebenen „Umweltschutzberichte“, sofern sie überhaupt erstellt werden, als „Geheimsache“ behandelt. Und wenn mal ein Betriebsrat in Sachen Umweltvergehen fündig wird, dann hat er Glück, wenn sein Erkenntnisinteresse nur damit bestraft wird, daß er nicht zur Tutzinger Tagung fahren darf. Echt makaber wird es dagegen, wenn ein Unternehmen, das Umweltschutzlösungen verkauft, beim Kantinenausbau die ökologischen Vorschläge des Betriebsrats übersieht und die Getrenntmüll– Sammlung glatt vergißt.

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