: Mehr US–Handel soll die Perestroika finanzieren
■ Kreml will Dollars, Computer und Know–how ins Land holen / Gorbatschow beklagt Verschwendung von Ressourcen zugunsten der Militärs
Aus Moskau Alice Meyer
Die USA - beherrscht von japanischem, westdeutschem und schweizerischem Kapital, die UdSSR - ein Entwicklungsland. Diese düstere Prophezeiung der ökonomischen und politischen Zukunft der beiden Supermächte stammt von keinem geringeren als dem Akademiemitglied G. A. Arbatow, Direktor des „Instituts für die USA und Kanada“ der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Bei noch längerem Andauern des Wettrüstens, so Arbatow anläßlich des Aufenthalts von mehr als 500 amerikanischen Geschäftsleuten im April in der Sowjet–Hauptstadt, könnten die einen ihre Perestroika nicht finanzieren und die anderen ihre riesigen Budget–Defizite nicht beseitigen. Auf einem Kreml–Empfang aus Anlaß der Elften Jahrestagung des sowjetisch–amerikanischen Wirtschaftsrats in Moskau nannte es Generalsekretär Michail Gorbatschow eine „Absurdität“, daß die UdSSR und die USA, „die insgesamt ein Viertel bis ein Drittel des weltweit vorhandenen wissenschaftlich–technischen Potentials auf sich vereinigen“, diese Ressourcen in den gegenseitigen Beziehungen „hauptsächlich für Zwecke der militärischen Konfrontation“ und nicht der Wirtschaftszusammenarbeit nutzen. Wodka/Cola reicht nicht aus Von den umfangreichen sowjetischen Getreidekäufen in den USA einmal abgesehen, ist das Handelsvolumen zwischen den Supermächten eher kümmerlich: Die sowjetischen Exporte erreichen jährlich im Schnitt 300 Millionen US–Dollar, die Importe bei „Nichtgetreide“ 500 Millionen. Der Anteil der USA am Außenhandelsvolumen der UdSSR beträgt ganze ein Prozent, und umgekehrt macht der Anteil der Sowjetunion am US–amerikanischen Warenaustausch mit dem Ausland sogar nur knapp einen halben Prozentpunkt aus. Der Hauptvorwurf Moskaus an die Adresse Washingtons: Der Warenverkehr zwischen beiden Ländern hat nicht deshalb Entwicklungsschwierigkeiten, weil für den Handel zwischen beiden Staaten etwa kein Potential vorhanden wäre. Der Grund sei vielmehr, daß die US–Regierung aus politischen und militär–strategischen Gründen das Geschäft ame rikanischer Firmen mit der Sowjetunion vor allem im Bereich moderner Technik behindert. Das ganze Instrumentarium der Handelsdiskriminierung der UdSSR durch Washington, das aus der Zeit des „Kalten Krieges“ stammt, ist, so Amerika–Experte Arbatow, noch intakt: Die Nichteinbeziehung der Sowjetunion in die Meistbegünstigungsklausel, Beschränkungen der Kreditgewährung an Moskau, Embargo– Behinderungen und strikte Ausfuhrverbote bei High–Tech. Dabei beeilt sich der Wissenschaftler hinzuzufügen, daß die UdSSR mit ihrer „führenden Wissenschaft und Technologie“ ganz gut auch ohne amerikanisches Know–how auskommen könne - und das nicht etwa nur deshalb, weil die von den Amerikanern geräumten Marktpositionen in der Sowjetunion mehr oder weniger schnell von Westeuropäern und Japanern besetzt wurden. Arbatow: „Die Amerikaner kaufen mehr Lizenzen bei uns als wir bei ihnen und in den USA gibt es eine ganze Reihe von Unternehmen, die auf der Grundlage von in der UdSSR eingekauften Lizenzen arbeiten.“ Vertrauenskapital „Die Frage der sowjetisch–amerikanischen Handelsbeziehungen ist heute vor allem eine poplitische Frage. Und diese müssen die Amerikaner für sich selbst lösen.“ Mehr Handel - das sei, so Arbatow, mehr Vertrauenskapital, das seien bessere Rahmenbedingun gen für weitere Abrüstungsfortschritte. Auch in dieser Hinsicht habe der Warenaustausch zwischen beiden Ländern einen politischen Aspekt. Der Gorbatschow–Berater weiß natürlich, daß auch die sowjetische Gegenseite nicht in jeder Hinsicht ein „Idealpartner“ für den Handel ist. Bürokratische Organisationsformen und schwer durchschaubare Entscheidungsstrukturen im sogenannten staatlichen Außenhandelsmonopol der UdSSR - das seien berechtigte Vorwürfe an die sowjetische Adresse. Nur große und reiche Westfirmen, weiß Arbatow, schaffen es, sich auf diesem schwierigen Markt zu etablieren. Kleine und mittlere Unternehmen haben oft nicht die Reise– und Messe–Etats und die Manpower, um da mitzuhalten. Arbatow setzt große Hoffnungen in die sowjetische Wirtschaftsreform, in die „Zerschlagung der verknöcherten Strukturen im Wirtschaftsverkehr mit dem Weltmarkt“. Das sehen die Amerikaner ähnlich. Der Bankier James Giffen, Präsident des sowjetisch–amerikanischen Handels– und Wirtschaftsrats, ist der Meinung, das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern könne schon innerhalb der nächsten drei bis sieben Jahre auf zehn bis 15 Milliarden US–Dollar gesteigert, also gegenüber 1987 auf das sieben– bis zehnfache erhöht werden. Das größte „joint venture“ der Welt Einige große US–Firmen sind aus dem sowjetischen Markt auch in Zeiten schärfster politischer Spannungen nie ganz herausgefallen. Paradebeispiel ist der Mineralöl– und Chemiekonzern Occidental Petroleum. Dessen Vorstandsvorsitzender, der fast 90 Jahre alte Armand Hammer, hatte Anfang der zwanziger Jahre als junger Arzt Getreidetransporte aus den USA in die Ural–Region organisiert, die damals mit am schlimmsten von der Hungersnot in Sowjetrußland betroffen war. Die amerikanischen Getreidefrachter nahmen im Gegenzug in den Sowjethäfen Asbest aus dem Ural an Bord. Aus Anlaß der Weizenlieferungen und der Vergabe von Abbau–Konzessionen für die Asbestvorkommen an die Amerikaner hatte Hammer ein „historisches Zusammentreffen“ mit Lenin im Kreml. Dieser bat den Geschäftsmann, in den USA nach weiteren Industriellen zu suchen, die mit Sowjetrußland Handel treiben wollten. Rund 60 US–amerikanische Firmen verhandeln derzeit über Direktinvestitionen in der UdSSR, einige Gemeinschaftsunternehmen sind bereits fest vereinbart. Occidental Petroleum hat mit Point Ventures großangelegte Pläne, seit Moskau Anfang 1987 Direktinvestitionen westlichen Kapitals in der Sowjetunion zugelassen hat. Zusammen mit italienischen und japanischen Firmen soll bei den kasachischen Erdöl– und Gaskondensat–Lagerstätten von Tengis in der Nähe des Kaspisees ein gigantisches Chemie–Kombinat errichtet werden. Hammer voller Stolz: „Das wird ein Joint Venture sein, welches in der Welt nicht seinesgleichen hat.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen