: „Wir haben genug mit den Faschos zu tun“
■ Noch vor kurzem von der Stadt Dortmund als Pilotprojekt gefeiert, wird heute vor dem ersten Punkerhaus gewarnt / Von Rechtsextremisten bedrängt, leben die BewohnerInnen der unrenovierten Schlachterei unter extremen Bedingungen
Aus Dortmund Anne Weber
Vor dem gelben Klinkerbau in einem Vorort Dortmunds, dem ersten und einzigen Punkerhaus der Stadt, wird gewarnt. Noch vor zwei Monaten hatte das für seine BewohnerInnen zuständige Jugendamt es stolz als ein Pilotprojekt, „in dem junge Punker leben und arbeiten“, angekündigt. Jetzt empfiehlt man dort, Besuche „nur in Begleitung unserer Streetworker vorzunehmen“. Und in der Nachbarschaft heißt es: „Das ist ein richtiger Schandfleck. Da wohnen nur Chaoten drin. Nachts fallen da manchmal sogar Schüsse.“ Bei soviel Vorwarnung erwartet man an der rot bemalten Haustür eigentlich die Aufschrift „Bitte nicht füttern!“, aber die fehlt, und überhaupt sieht dort morgens um elf alles ziemlich friedlich aus: Gleich im Flur ein frischer, noch dampfender Hundehaufen, ein großer, gut gewachsener Schäferhund und ein verschlafener Punk. Der Punk geht die enge Treppe zum „Wohnbereich“ voran. In einem Zimmer mit Matratzenlager und Holzverschlag (Hochbett?) hockt einer seiner Mitbewohner kichernd über einem Comik–Heft. Kurz unterbricht er die Lektüre: „Ohne ne Lage Bier erzählen wir ja eigentlich gar nix, und außerdem ist die taz langweilig.“ Die anderen Punks geben ihm grinsend recht, lassen sich aber durch Zigaretten gnädig stimmen und berichten dann doch bereit willig: „Die meisten von uns haben hier in Dortmund auf der Straße gelebt. Im Oktober 87 haben wir dann für ein paar Tage ein Haus besetzen können. Danach wollten wir von der Stadt was anderes zum Wohnen. Im März hat sie neun von uns hier ziemlich unproblematisch günstige Mietverträge ausgestellt.“ Micha, ein Punk im geringelten „alternativen“ Wollpulli und ganz ohne Kettenschmuck, beginnt eine Führung durch das Haus. Die ersten drei Zimmer strahlen vor einer WG–Behaglichkeit, die an die 70er Jahre erinnert. In den restlichen sechs ist wegen Sperrmüll, Bierflaschen und Holzbrettern kaum ein Fuß vor den anderen zu setzen. Aus einem Gemeinschaftsraum und dem hauseigenen „Cafe“ entweicht ein nahezu atemberaubender Gestank: ein würziges Gemisch aus Bierdünsten und Scheißgeruch, das einen raus in den Garten treibt. Nach kurzem Luftschnappen gehts dann in die „Werkstätten“ und den „Partyraum“, die aus dem völlig unrenovierten Gemäuer einer ehemaligen Schlachterei bestehen. Micha hat nicht viel Hoffnung, daß es in dem Haus in Zukunft anders aussehen wird: „Das ist hier kein Selbsthilfeprojekt. Für sowas gibt die Stadt kein Geld. Die hat für 50.000 Mark Fenster und Heizung reparieren lassen, und damit fertig. Die meisten von uns kriegen Sozialhilfe, da ist nichts übrig für Renovierungskosten.“ Handwerkliche Arbeit entspricht aber auch nicht der Lebenserfahrung der Punks: Außer ihrem ehemaligen angeblich „spießigen“ Familienleben und der Schule haben die etwa Zwanzigjährigen kaum etwas kennengelernt. Micha rechtfertigt die allgemeine Tatenlosigkeit im Haus: „Wir haben echt genug mit den Faschos zu tun. Die knallen hier mit Leuchtpistolen rum und schmeißen Rauchbomben. Die Bullen sagen, wir sind selber Schuld, weil Rechtsextreme Linksextreme anziehen. Wir sind aber doch einfach Punks, nicht eben besonders politisch.“ Seine MitbewohnerInnen, sechs Jungen in dem Punk–eigenen Gammellook und zwei Mädchen mit frisch gewaschenen Wuschelköpfen, haben in der Zwischenzeit im Matratzenlager Überlegungen angestellt, ob sie jetzt „vielleicht endlich den Arsch hochkriegen“ und auf die „Platte“, ihren Stammplatz in der City, fahren sollen. Dort Leute „um ne Mark anschnorren“ und „Biersaufen“ gehörten zu ihrem Tagesprogramm. Diese City–Besuche wollte die Stadt Dortmund aber eigentlich durch die Bereitstellung des Hauses im Vorort verhindern. Sie hatte eine Säuberung von der ihr unbequemen „Randgruppe“ im Stadtbild beabsich tigt.Durchaus möglich, daß dieser Plan der Stadtverwaltung mittelfristig doch noch aufgeht, denn jetzt, um halb ein Uhr mittags, sind die Punks bereits angesäuselt. Und es ist fraglich, ob sie den nächsten Bus in Richtung Innenstadt noch erreichen.
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