piwik no script img

Die „alternativen 68er Sieger“ treffen sich

■ Ex–RCDS–Funktionäre versammelten sich in Bonn / Die meisten von ihnen sitzen heute im Zentrum der Macht / Beim Klassen–Treffen der Herrschenden war Europa–Politik wichtiger als Schwelgen in Erinnerungen / Utopieverlust ist ihnen fremd

Aus Bonn Oliver Tolmein

Ein Gruppenbild: In weißen Hemden, mit Schlips, die Ärmel aufgekrempelt, strahlenden Gesichts, die Arme stolz in die Hüfte gestemmt, stellen sich etwa dreißig Herren dem Kameraobjektiv. Mitten unter ihnen, genauso jovial lächelnd, mit krisenfester Mine, nur durch seine Lodenjacke herausgehoben: Dr. Peter Gauweiler, Staatssekretär im bayerischen Ministerium des Innern. Über der Crew hängt frech ein Transparent: „Die alternativen 68er“. Die Alternative heißt: Sieg oder Niederlage. Und die Männer (nur eine einzige Frau war gekommen), die sich an diesem Sonntag treffen, sind zweifellos die Sieger von 1968. Nicht zufällig haben sie sich in der Bundeshauptstadt Bonn versammelt. Hier, im Zentrum der politischen Macht, sind die allermeisten zu Hause oder ständige Gäste: als Ministerialdirektoren im Kanzleramt, als Leiter von Grundsatzabteilungen, Chefs von Planungsstäben, als Dezernenten, Abteilungsleiter, Generalsekretäre oder als Industriemanager, ganz selten als Universitätsprofessoren. Aber nicht ihr Aufstieg auf der Karriereleiter weist sie als Sieger aus - sie konnten sich und ihren Ideen treu bleiben, haben eine Vielzahl ihrer programmatischen Ansätze in die Praxis umgesetzt. Der Utopieverlust ihrer Kontrahenten aus dem SDS von einst ist ihnen fremd, sie sind auch nirgendwohin übergelaufen, sie konnten sich ihre Begriffe erhalten und die Macht stabilisieren. „Wir waren, wie sich herausgestellt hat zu Recht, der Überzeugung, daß diese Gesellschaft reformierbar ist, während der SDS nur die Nicht–Reformierbarkeit der Gesellschaft entlarven wollte“, resümiert Christian Hacke, 1968 Landesvorsitzender des RCDS Berlin und heute Professor für Internationale Politik in Hamburg, und wird später von Wulf Schünbohm, dem Leiter der Grundsatzabteilung im Konrad– Adenauer–Haus, der 67/68 Bundesvorsitzender des RCDS war, unterstützt: „Der SDS ist an seiner Sektiererhaftigkeit und vor allem der Unterschätzung der Reformfähigkeit der Bundesrepublik ge scheitert.“ Der Abschied der Grünen von der Rotation und dem quasi–imperativen Mandat wird in dieser Diskussionsrunde zufrieden als Verlängerung der damaligen Auseinandersetzungen zwischen „Demokraten und Nichtdemokraten“ gesehen und folgerichtig auf das Gewinn–Konto der repräsentativen Demokratie in der Bundesrepublik verbucht. Angesichts so einer positiven Bilanz halten sich die 68er der CDU nicht übermäßig lange mit der Vergangenheit auf. Zwar durchziehen bittere Erinnerungen fast alle Redebeiträge: an die oft vergeblichen Versuche, in studentischen Vollversammlungen ein Mikrophon zu ergattern, an Prügel, die man da und dort vom SDS bezogen hat, an die geringe Resonanz, die die eigenen staatstragenden Aktionen auf dem Campus in den Medien gefunden haben: aber die meisten zielen auf den eigenen Einfluß angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen in den Unionsparteien ab. Daß dieses im wahren Sinn des Wortes Klassen– Treffen der Herrschenden mit einem Referat des Kanzlerberaters Horst Teltschik, der 1968 im Politischen Beirat des RCDS saß, beginnt, scheint deswegen nicht nur der Tatsache geschuldet, daß die Opposition gegen den Vietnamkrieg die Studentenbewegung radikalisierte. Teltschik widmet den Großteil seines Referats zwar den historischen Konflikten - aber wenn er den Verlust der Vorbildfunktion der USA reflektiert und bedauert, daß der Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in der CSSR viel zu wenig zu einer umfassenden antikommunistisch–ideologischen Mobilisierung genutzt worden sei, denkt er dabei offensichtlich an aktuelle Konstellationen. Er leistet eine Aufarbeitung von 68 unter besonderer Berücksichtigung des außenpolitischen Leitantrags für den nächsten Bundesparteitag. Der direkt neben Teltschik sitzende Peter Gauweiler, damals Uni–Sprecher des RCDS, hat die Signale gehört. Sich an die alte Diskussion zwischen Gaullisten und Atlantikern erinnern, die heutige FDP–Dominanz in der Außenpolitik beklagen und eine scharfe Attacke gegen die aufgeblähte Brüsseler EG–Bürokratie zu for mulieren sind ihm eins. Gauweiler, will mehr und anderes von Europa: „Was wir beantworten müssen, ist: Ist es auch in den nächsten vierzig Jahren unser Hauptcredo, daß in den USA ein Präsident bestimmen kann, ob in Deutschland eine Atombombe gezündet werden kann oder nicht?“ Die Frage, vor der sich die CDU Gauweiler zufolge drückt, wird in dem kleinen Kreis, wenn auch nicht in dieser Schärfe, aufgegriffen: Europa, nicht als hehre–internationalistische Idee, sondern als politisch von den USA weitgehend unabhängiges, antikommunistisches Machtzentrum wird das am intensivsten diskutierte Thema dieses Vormittags. Horst Teltschik zeigt sich angesichts der großen Resonanz, die das Thema findet, befriedigt: „Wir diskutieren hier fast wie früher.“ Die Kontroverse hat ihren Sinn, weil „es unsere Aufgabe ist, ein großes demokratisches Spektrum bis weit ins rechte Lager hinein zu integrieren. Eine funktionierende Arbeitsteilung Kohl–Strauß macht uns unschlagbar.“ Eine Einschätzung, die Beifall findet. Teltschik geht noch weiter: Der Außenpolitik soll ein nationaler Konsens zugrundeliegen, um, teilweise auch in der CDU wieder aufkommende, Abwege, die zu einer Schwächung des deutschen Einflusses in der internationalen Politik führen könnten, auf jeden Fall zu verhindern. Wir müssen in der Debatte über die Wiedervereinigung zum Beispiel die Bereitschaft, diese durch eine Herauslösung Deutschlands aus dem westlichen Bündnis zu erlangen, entschieden bekämpfen - weil sich an diesem Punkt die extreme Linke und die extrem Rechte treffen.“ In der anschließenden Mittagspause werden vor den Stellwänden mit Fotos, Zeitungsausschnitten und Plakaten von damals selbstzufrieden die eigenen Einflußmöglichkeiten erörtert. Der Satz Teltschiks: „Wir sind heute das Establishment der CDU“, ist allen im Kopf. Eine Journalistin beklagt sich unterdessen darüber, daß das Jahr 1968 in den Beiträgen seltsam diffus geblieben sei: Es sei doch nicht nur um Vietnam, sondern auch um eine neue Kultur gegangen. „Wie wohl Gauweiler 68 seine sexuelle Befreiung erlebt hat,“ witzelt einer. Den hemdsärmelig herumstehenden Staatssekretär, traut sich dann aber doch niemand direkt zu fragen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen