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„Das Übel an der Wurzel packen“

■ Eine Polemik wider das bedenkliche Streben nach einem gesunden und leistungsstarken Volk

Im Bonner Justizministerium liegt ein Gesetzentwurf, der die Sterilisation schwerbehinderter, einsichtsunfähiger Menschen auch ohne deren Einwilligung legalisieren will; zur Diskussion stehen ebenfalls Vorschläge für ein Sterbehilfegesetz, die die straffreie Erlösungstodhilfe für Leidende möglich machen sollen; die eugenisch gefärbten Heilsversprechungen aus der Humangenetik sind auf dem besten Wege, gedankliches Allgemeingut zu werden. Es ist sicher kein Zufall, daß diese drei traditionsbeladenen Stränge staatlicher Bevölkerungspolitik derzeit im Gleichschritt daherkommen. Bemühungen zur Geburtenförderung waren in der Vergangenheit eng verknüpft mit einer anvisierten Geburtenverhinderung. Die Attacken auf den Paragraphen 218 und die gleichzeitige Gründung der „Stiftung Mutter und Kind“ ließen erahnen, daß die Kehrseite dieser Politik ein restriktives Sterilisationsgesetz sein würde. Gleichzeitig lassen manche Überlegungen zur Finanzierbarkeit von Renten und Gesundheitskosten einen kaum verhohlenen Aufruf an Pflegeabhängige oder chronisch Kranke, sich freiwillig für die aktive Sterbehilfe zu entscheiden, vermuten. Das Ziel dieser Kampagnen beinhaltet offenbar das Verlangen nach einem gesunden und leistungsstarken Volk. Natürlich bestreiten die Befürworter einer Sterilisation von Einsichtsunfähigen strikt, daß ihre Forde rung etwas mit Selektion und Eugenik zu tun hat. Dem steht aber gegenüber, daß die Bundesärztekammer schon letztes Jahr in ihrer Empfehlung die Unfruchtbarmachung für angezeigt hielt, wenn eine Schädigung infolge einer Erbanlage angenommen werden kann. Bei der Frage, ob und welche erblichen Defekte tatsächlich vorliegen, fällt das Urteil und vor allem die Definition der HumangenetikerInnen ins Gewicht. Und die HumangenetikerInnen sind es, die nach eigenem Bekunden „das Übel an der Wurzel packen“ und die Fortpflanzung von Menschen mit erblichen Schäden möglichst verhindern wollen. Die bevölkerungspolitische Perspektive einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit den ErbforscherInnen hat der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer schon 1980 benannt und mit knallharter Kosten–Nutzen– Kalkulation untermauert: „Wir stehen vor der Notwendigkeit, immer mehr und immer ältere Behinderte zu versorgen. Die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Gesamtheit der Versicherten und des Staates ist in Sicht, ja verschiedentlich ist sie bereits überschritten. Als wichtige Konsequenz ergibt sich aus dieser Situation, daß der Krankheitsvorbeugung und damit der genetischen Beratung ein besonderes Gewicht beigemessen wird. Bei der heute einfachen Familienplanung ist es wichtig, daß die wenigen gewünschten Kinder gesund zu Welt kommen.“ Die Umsetzung solcher Vorgaben beginnt beim schwächsten Glied in der Hierarchie: den auffälligen, leistungsschwachen oder kostenverursachenden Personen. Die Sterilisationsdebatte rankt sich fortwährend um das Bild des willenlosen geistig Behinderten. Auffallend ist schon jetzt dabei, daß weder MedizinerInnen, JuristInnen noch Eltern näher eingrenzen können, wo bei ihnen die Indizien für Einsichtsfähigkeit vorliegen. Auch werden immer wieder individuelle Schicksale geschildert, um dem körperverletzenden Eingriff die Tür offenzuhalten. Der Streit geht bis ins grün–alternative Lager um die Frage, ob persönliche Not der Eltern auf Kosten der Behinderten aus der Welt geschafft werden darf. Das Bedrohliche liegt darin, daß sich berechtigte Ansprüche von Müttern und Vätern (geistig) behinderter Erwachsener mit Bestrebungen verflechten, die die bekannten Werte von Familie und Gesundheit und von Leistungsfähigkeit in den Vordergrund stellen. In diesem Zusammenspiel gesundheits– und sozialpolitischer Sanierungskonzepte ist die Zustimmung zur Sterilisation ohne Einwilligung der Betroffenen eine Zwangsmaßnahme zur Lösung einer sozialen Frage. Und das Bejahen einer wie auch immer begrenzten Sterilisationspraxis bedeutet, dem Gedanken der notwendigen Selektion von Teilen der Bevölkerung entgegenzukommen. Udo Sierck

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