: Ein Kalifornier und vier Indianer in Moskau 5.000 Korrespondenten berichten / Inmitten pro- pagandistischer Statements und des Rummels um Ron und Mischa halten sich Hoffnungen, daß der Ab- rüstungs-Dialog zwischen den Supermächten weiterk
Ein Kalifornier und vier Indianer in Moskau
5.000 Korrespondenten berichten / Inmitten pro
pagandistischer Statements und des Rummels um „Ron und
Mischa“
halten sich Hoffnungen, daß der Ab- rüstungs-Dialog zwischen den Supermächten weiterkommt
Aus Moskau Alice Meyer
Über der sowjetischen Hauptstadt glänzt der blaue Himmel. An den Boulevards blüht der Flieder, die Metropole ist bunt geworden. Auch ihre Menschen - selbst wenn sie vor den Geschäften Schlange stehen oder in überfüllte O-Busse drängen - sehen einige Schattierungen freundlicher aus als während des langen Winters. Auf den Reagan-Besuch angesprochen, äußern die Moskauer fast durchweg Erwartungen und Hoffnungen, vor allem auf weitere Schritte zur Liquidierung der Atomwaffen-Arsenale, zur Sicherung des Friedens.
Das „offizielle“ Moskau hingegen fühlte sich in den letzten Tagen ein wenig hintergangen, glaubte es doch, der viertägige Aufenthalt des greisen US-Prädidenten in Helsinki solle der Gewöhnung an die mitteleuropäische Zeit dienen. Verständnis hätte es auch noch dafür aufgebracht, daß Reagan mit dem Zwischenstop in der finnischen Hauptstadt dem Ort der Konferenz erweisen wollte. Ausgesprochen verärgert reagierten die sowjetischen Gastgeber dann aber darauf, daß der Amerikaner ausgerechnet in der kritischsten Phase der „perestroika“ - die manche in- und ausländischen Beobachter für ein Begräbnis erster Klasse des sozialistischen Systems halten - „uns Bürgern der UdSSR eine Lektion erteilte, wie wir unsere gesellschaftliche Ordnung aufbauen, welche nächsten Reformen wir durchführen, und im ganzen, wie wir leben sollen.“
Als störend empfanden die Sowjets auch die Vorhaltungen Reagans über bürokratische Hindernisse und Willkür, über politische und religiöse Gefangene in der Sowjetunion, über Repressalien der Staatsmacht gegen Menschen, die sich zusammenschließen, um die Erfüllung der Schlußakte von Helsinki in ihrem Lande zu überwachen.
Einige Moskauer Kommentatoren, so Witali Kobysch in der 'Iswestija‘, geben sich angesichts der Präsidenten-Kritik eher gelassen. Reagan möge sich in Moskau überzeugen, daß es „Meinungspluralismus“ gibt, daß im Danilow-Kloster Glockenschläge ertönen, und daß Leute, die ausreisen wollen, das auch tun können, sofern bestimmte, gesetzlich kodifizierte „Hinderungsgründe“ dem nicht entgegenstehen.
Auch 'Iswestija'-Kolumnist Alexander Bowin sieht positive Bewegung in der sowjetischen Politik: „Wir haben den Anspruch aufgegeben, im Besitz des Monopols auf Wahrheit zu sein. Wir haben aufgehört, die Welt ausschließlich durch das Prisma des Ost-West-Gegensatzes zu sehen. Wir haben in den Vordergrund der Politik allgemeinmenschliche Werte gestellt, allgemeinmenschliche Interessen. Wir haben entschieden von ultimativen Forderungen Abstand genommen, vom Herangehen an strittige Probleme aus dem Blickwinkel des 'alles oder nichts‘.“ Das habe die sowjetische Außenpolitik konstruktiver, flexibler, kompromißbereiter gemacht.
Auch Teil- und Zwischenlösungen, die geeignet seien, ein stückweit näher zu einer stabilen, sicheren Welt hinzugelangen, würden jetzt im Kreml akzeptiert. Der neue Gipfel in der sowjetischen Hauptstadt sei eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem neuen Abkommen über die Halbierung der Arsenale strategischer Angriffswaffen. Bowin emphatisch: Im November 1985 seien in Genf die Grundlagen für den „historischen Dialog“ gelegt worden.
Im Oktober 1986 in Rejkjavik sei dann der „intellektuelle Durchbruch“ in den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen erzielt worden, der die „phantastische Perspektive“ einer kernwaffenfreien Welt eröffne. Im Dezember 1987 in Washington schließlich der „erste große Schritt“: das Abkommen über die Verschrottung der landgestützten nuklearen Mittelstreckenwaffen. Die Reise nach Moskau traten nicht nur der amerikanische Präsident, sein Beraterstab und ein Heer von Journalisten an, sondern auch vier Indianer. Karen Parker, Russell Redner, Anthony Gonzalez und Nilak Butler. Nach einem Linienflug mit der gemeinsam von „Panam“ und „Aeroflot“ betriebenen Boeing-747 von New York nach Moskau wollen sie hier Reagan und Gorbatschow treffen.
Die Reisegruppe will sich dafür einsetzen, daß Reagan in den USA inhaftierte indianische Führer und Menschenrechtskämpfer begnadigt und „für sich die Verpflichtung übernimmt, alle Verträge und Abkommen einzuhalten, die jemals von der US-Regierung mit Indianern geschlossen wurden - Verträge, die heute ständig verletzt werden.“
Im Mittelpunkt des Interesses des durchschnittlichen Sowjetbürgers stehen jedoch nicht die amerikanischen Ureinwohner, sondern die zu erwartenden Fernsehbilder über die Reagans, die Fragen ausländischer Journalisten auf den Pressekonferenzen. Bescheidene Einschaltquoten erreichte in Moskau die fünfteilige Telemost ('Fernseh-Brücken‘) -Serie aus Washington. Familie, Frau, Gesellschaft, Nationale Frage und Sichtweisen der Ameikaner über die Sowjetunion waren Gesprächsthemen mit den geladenen amerikanischen Studiogästen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen