Gefährliche Hochspannung - vergrabene Öko-Sünden

■ Der Protest gegen die geplante Hochspannungsleitung durch Spandau wächst: Gesundheitsgefährdung durch elektrische und magnetische Felder nicht ausgeschlossen / Bezirk fordert unterirdische

Gefährliche Hochspannung - vergrabene Öko-Sünden

Der Protest gegen die geplante Hochspannungsleitung durch

Spandau wächst: Gesundheitsgefährdung durch elektrische und magnetische Felder nicht ausgeschlossen / Bezirk fordert

unterirdische Kabel, aber auch sie bergen ökologische

Risiken / Noch in diesem Jahr Umweltverträglichkeitsprüfung des Senats

Der „Stromverbund“, der der Stadt ab 1992 westdeutsche Stromlieferungen bescheren soll, fand in der Berliner Öffentlichkeit bislang nur wenig Kritik. Wachsender Protest richtet sich jetzt gegen eine Begleiterscheinung dieses Verbunds: gegen die Hochspannungsleitung, die die Bewag für den Stromimport von der DDR-Grenze durch Spandau zum Umspannwerk Reuter bauen will. Neben AL und SPD protestiert vor allem der Bezirk Spandau gegen die 380-Kilovolt -Freileitung. Er fordert, wie berichtet, die Leitung durch unterirdische Kabel zu führen. Ironie des Schicksals: Die Bewag fürchtet jetzt um ihr ganzes Projekt. Der Stromverbund sei nicht mehr wirtschaftlich für die Bewag, erklärte Vorstandsmitglied Müller am Donnerstag vor Journalisten, wenn die städtische Aktiengesellschaft mit ihrer Leitung unter die Erde müsse. 80 Millionen Mark berechnet die Bewag für die Freileitung, das vier- bis fünffache veranschlagt sie für die unterirdische Alternative. Entscheidet sich an den knapp neun Kilometern Stromtrasse durch Spandau, ob den Berlinern ab 1992 westdeutscher Atomstrom aus der Dose fließt? Oder schützt die Bewag einfach Sachzwänge vor?

Noch in diesem Jahr will der Umweltsenat das Ergebnis einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) der Bewag-Planung vorlegen. Freiwillig habe sich die Bewag dazu bereit erklärt, loben Senator Starnicks Umweltbeamten. Ihre Marschrichtung ist gleichwohl schon klar: Man würde natürlich eine Verkabelung bevorzugen, heißt es in der Behörde. Einschränkend wird hinzugefügt: „Soweit die Gegenargumente nicht so stark“ sind.

Die Liste von Pro und Contra ist lang. Hatten die Spandauer Stadträte zunächst nur Sorge um ihr „Stadtbild“ vorgebracht, entdeckten die Bezirksverordneten noch eine andere, wenngleich umstrittene, Gefahr der Freileitung: die elektrischen und magnetischen Felder, die von der Leitung ausgehen.

Unbegründet ist die Angst der Spandauer freilich nicht. Die hier geplante 380 Kilovolt-Leitung, die 50-Hertz-Ströme transportieren soll, setzt Menschen, die sich unter der Leitung befinden, auf jeden Fall Spannungen aus: einem Elektrofeld von fünf bis sechs Kilovolt pro Meter, außerdem einem Magnetfeld von zehn bis 30 Mikrotesla.

In den Veröffentlichungen von Jürgen Bernhardt läßt sich nachlesen, was das bedeutet. Bernhardt ist Experte für „niedrigfrequente Felder“ und Professor am Institut für Strahlenhygiene, einer Zweigstelle des Bundesgesundheitsamtes. Glaubt man ihm, dann liegen die Felder der geplanten Trasse zwar deutlich unter den Werten, bei denen direkte, gesundheitsschädliche Einflüsse auf Herzschlag, Nerven- und Muskelzellen festzustellen sind. Bernhardt verweist aber auch auf die Auffassung seines Amtes, Grenzwerte müßten bereits vor „Störungen“ der Gesundheit schützen, etwa vor als unangenehm empfundenen Wahrnehmungen - die auf Dauer auch Gesundheitsgefahren erzeugen könnten. Für elektrische Spannungen sensible Menschen verspürten oft schon lästige Funkenentladungen bei unter drei Kilovolt, bestätigte Bernhardt der taz. Den Ausführungen Bernhardts zufolge zeichneten sich für den Daueraufenthalt in der „internationalen Diskussion“ deshalb Grenzwerte von drei bis fünf kV/m und 2O bis 40 Mikrotesla ab. Auf hiesige Verhältnisse übertragen hieße das: Auch die Spandauer Leitung müßte Abstand zu Wohnvierteln wie Haselhorst wahren. Je 15 Meter links und rechts der im Spandauer Fall je zwölf Meter breiten Ausleger der 41 Meter hohen Masten würden allerdings genügen, schätzt Bernhardt. Damit seien auch Wirkungen auf Herzschrittmacher berücksichtigt, die direkt unter einer Leitung unter Umständen auf eine andere Frequenz umschalten würden. Ein Ohnmachtsanfall könne die Folge sein. Bei einem Abstand von zehn Metern jedoch sei die Gefahr gebannt. Computer würden erst von stärkeren Magnetfeldern gestört, versichert Bernhardt.

Brisanter, aber auch umstrittener ist eine weitere Hypothese: Magnetfelder könnten den Organismus beeinflussen, unter Umständen sogar Leukämie bei Kindern verursachen. Für Senator Pieroth lagen auf SPD-Anfrage kürzlich „keine Hinweise“ auf solche Gefahren vor, aber auch Bernhardt bemängelt die methodischen Defizite bisheriger Untersuchungen. Nur statistische Korrelationen zwischen Freileitungen und höheren Leukämieraten seien festgestellt worden, erklärte Bernhardt der taz. Ein Wirkungszusammenhang zwischen Magnetfeldern, die auch im Haushalt an Elektrogeräten auftreten und Krebs sei jedoch nirgends nachgewiesen. Viele Forscher hielten es dennoch für möglich, daß die Stromleitung als „Co-Faktor“ Erkrankungen mitverursachten.

Diese Probleme muß der Umweltsenat ebenso prüfen wie die Gegenargumente der Bewag. Sie betreibt zwar - als neben Wien und London einzige europäische Stadt - bereits ein längeres unterirdisches 380 kV-Kabel von acht Kilometern, steht diesem System aber gleichwohl skeptisch gegenüber. Neben dem hohen Preis bemängelt die Bewag Wartungsschwierigkeiten: sechs bis acht Wochen könne ein Störfall die Leitung unterbrechen. Da die Stadt auch trotz Weststrom autark bleiben will, dürfte das zwar keine gravierende Sorge sein. Die Bewag sieht jedoch auch einen ökologischen Vorsprung der Freileitung. Die unterirdischen Kabelstränge müßten nämlich mit Öl gekühlt werden. Im Störfall sei das eine Gefahr für Wasser und Boden, warnt die Bewag. Zum Kabelverlegen müsse man außerdem das Grundwasser absenken.

Der „Energiepolitische Ratschlag“, ein Zusammenschluß Bewag -kritischer Bürgerinitiativen, sieht diese Gefahr ebenfalls: Gerade im Spandauer Forst, wo die Leitung nicht weit vom Sumpfgebiet Teufelsbruch entfernt verlaufen würde. Im Gegensatz zur Bewag stützt der Ratschlag, wie auch die AL, damit seine Kritik am Stromverbund als ganzem.

Ein typisches Manko Berliner Projekte hat die Leitung dagegen nicht: Ausgewachsene Bäume sind im Spandauer Forst nicht bedroht. Nur kleinere Gehölze und Buschwerk sollen für die Masten gerodet werden, versichert die Bewag. Im Wald kann die Bewag eine alte Trasse nutzen. Erst vor wenigen Jahren abmontiert, standen hier noch ausgediente Strommasten aus der Zeit vor dem Krieg.hmt