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Mit der Entwarnung schwindet auch das Interesse

■ Landwirtschaft und die Deutschen als Hauptschuldige der Algeninvasion / Hotel-Verband beklagt Touristen-Rückzug in Norwegen

Mit der Entwarnung schwindet auch das Interesse

Landwirtschaft und die Deutschen als Hauptschuldige der

Algeninvasion / Hotel-Verband beklagt Touristen-Rückzug in Norwegen

Aus Bergen Gunnar Köhne

Nach der Erleichterung kam die Abrechnung: Kaum hatten Meeresforscher am Mittwoch abend eine vorsichtige Algenentwarnung gegeben, verriet die norwegische Umweltministerin Sissel Rönbeck die Hauptschuldigen im eigenen Land: die Bauern. Von ihren überdüngten Feldern stammten die meisten Phosphat- und Stickstoffeinleitungen. „Wenn wir jetzt ans Aufräumen im eigenen Haus gehen, werden wir die Landwirtschaft besonders rannehmen“, kündigte sie an. Ihre Referenten hätten sich bereits an die Ausarbeitung schärferer Auflagen für Kunstdünger gesetzt, die rund 13.000 Höfe in Küstennähe zur Umstellung ihrer Produktion zwingen könnten. Der norwegische Naturschutzverband bat die Ministerin kurz darauf in einem langen Forderungskatalog, nicht die eigene Verantwortung zu vergessen und endlich in allen Gemeinden mit mehr als 1.000 Einwohnern eine Kläranlage zu installieren. Der konservative Oppositionsführer Jan P. Syse seinerseits rief zu einer Sondersitzung des Rats der skandinavischen Länder am nächsten Montag in Kopenhagen zusammen. Einziger Tagesordnungspunkt: die Beratung eines Notstandsplanes für Umweltkatastrophen. Das waren die letzten Meldungen, die durch die norwegischen Medien gingen. Seit Donnerstag ist das Interesse an den „Killeralgen“ wieder gleich Null.

Zu der vorläufigen Entwarnung war es gekommen, nachdem die Algen zunächst an der nördlichen Spitze des Teppichs bei Stavanger, offenbar auf der Suche nach Nahrung, von der Wasseroberfläche in 15 bis 20 Metern Tiefe absanken. Wegen ihrer Abhängigkeit von Licht können sie sich dort nicht vermehren. Inzwischen nimmt auch im Skagerak die Algenkonzentration ab.

Die 600 km lange Nordküste des Skagerak, von der norwegischen Stadt Egersund bis zum schwedischen Göteborg, wird von den Algen bis in 40 Meter Tiefe biologisch tot oder zumindest so schwer geschädigt zurückgelassen, daß dort neues Leben nur schwer entstehen kann. Die Langzeitschäden lassen sich allerdings nur schwer abschätzen.

Die Fischerfarmer haben bereits Bilanz gezogen: ihnen sind 500 Tonnen Lachs und Forellen im Wert von 25 Millionen Kronen (rund sechs Millionen Mark) verendet. Die über 100 evakuierten Züchter kehrten inzwischen wieder zu ihren Stammplätzen zurück, obwohl den „Krisenstab“ im Bergenser Meeresforschungsinstitut bisher nur ein „vorsichtiger Optimismus“ glauben läßt, daß es in den nächsten Tagen nicht zu einer neuen Algenblüte kommt.

Ein Dutzend Schiffe, drei Flugzeuge, mehrere Satelliten und über 100 Personen haben in den vergangenen zehn Tagen die Algen entlang der Küste rund um die Uhr beobachtet. „Jetzt werden wir uns nicht gleich auflösen, sondern in Ruhe weiter nach den Ursachen der Algeninvasion suchen“, sagt der Ozeanograph Rune Sjaldal. Aufgeklärt ist inwzischen die Wirkung der Algen: Sie lassen die Fische an einem überhöhten Salzgehalt sterben. Die Algen geben ein toxisches Sekret ab, das die Zellwände in den Kiemen, durch die der Salz- und Wassergehalt im Fisch reguliert wird, angreift.

Die Fachleute in den drei skandinavischen Ländern sind sich nach einem Vergleich der Wind- und Strömungsverhältnisse und der Phosphorkonzentration an verschiedenen Stellen der Nordsee außerdem darüber einig, daß der überwiegende Teil der Chemiesalze aus der deutschen Bucht an ihre Küsten gekommen sei. Deshalb versteht der norwegische Hotelverband auch die vielen Zimmerabbestellungen aus der Bundesrepublik nicht. „Das ist doch geradezu tragikomisch. Wo doch jetzt feststeht, daß die meisten Algen durch die Verunreinigungen aus Deutschland entstanden sind“, klagt die Pressesprecherin des Verbandes. Sie versucht jetzt mit beruhigenden Informationen an die Reisebüros das Schlimmste zu verhindern. Immerhin räumt sie ein, daß in diesem Sommer die Badefreuden durch verrottenden Fisch etwas eingeschränkt sein könnten.

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