: Wann wurde Ernst Thälmann ermordet?
■ Eine Antwort an Heinrich Hannover von Hans-Dieter Heilmann
Wann wurde Ernst Thälmann ermordet?
Eine Antwort an Heinrich Hannover von Hans-Dieter Heilmann
Vor vier Wochen habe ich in der taz (vom 9.5.) ein Memento zum Thälmann-Mordprozeß veröffentlicht, in dem ich die Zweifel an der Datierung des Mordes darlegte. Auf dieser Datierung beruht aber die Anklage und die von Rechtsanwalt Heinrich Hannover vertretene Nebenklage gegen den ehemaligen Oberscharführer Otto. Gleichzeitig habe ich einen bislang unbekannten Bericht vorgelegt, der ein anderes Todesdatum wahrscheinlich macht.
In seiner Antwort (taz vom 14.5.) ignoriert RA Hannover diesen Bericht völlig und erklärt die von mir erörterte Datierungsproblematik en passant für unerheblich. Darum sollen hier noch einmal die Implikationen dieser Frage kurz skizziert werden:
Die Argumentation des Nebenklägers Hannover, der sich zuletzt das Landgericht Krefeld anschloß, geht davon aus, daß Thälmann zwischen dem 17. und 24.August 1944 ermordet wurde, und favorisiert dabei den 17./18. als Datum für die Mordnacht. Historisch entspringt das Motiv dieser Datierung der Absicht, die Nazi-Lüge zu widerlegen, wonach Thälmann durch einen alliierten Luftangriff am 24.August umgekommen sei. In dieser Logik mußte mithin der Mord vor dem Luftangriff liegen. In der Tat wird in der engeren Buchenwald- und Thälmann-Literatur dieses Datum angenommen. Demgegenüber steht die Version, die auf Aussagen der Nürnberger Prozesse beruht. Danach ist Thälmann in Buchenwald im Beisein des Kommandanten Pister und seines Adjudanten Schmidt von den Männern des Begleitkommandos erschossen worden. Folgt man diesen Aussagen, dann ist Thälmann nach dem Luftangriff vom 24.August erschossen worden.
In seiner Erwiderung formuliert Hannover die verblüffende These, das Morddatum sei nicht entscheidend; entscheidend sei einzig die Nähe des vermutlichen Täters (Otto) zur Tat. Grundsätzlich mutet die Behauptung eines prozeßerfahrenen Juristen, es sei egal, an welchem Tag ein Mord verübt wurde, wie ein unfreiwillig gemachter Witz an. Doppelt merkwürdig mutet aber eine derartige These vor allem in diesem Prozeß an: denn beide Daten sind gleichzeitig gebunden an die dazugehörigen Aussagen hinsichtlich der Täter - und diese sind jeweils miteinander unvereinbar. Entweder die Lager-SS hat Thälmann vor dem Luftangriff umgebracht oder das Begleitkommando in Gegenwart der Lagerführung nach dem Luftangriff.
Zur Klärung wurde von mir der Scherlinsky-Bericht eingebracht, das der Nebenkläger Hannover versucht zu negieren, weil es die ursprüngliche, in Nürnberg bereits bekannte Version der Ermordung Thälmanns beweist. In einem Bericht vom Sommer 1945 schreibt Alfred Scherlinsky, ehemaliger Leiter des Rotfrontkämpferbundes: „Am 28.August 44 wurde Ernst Thälmann mit sechs oder acht anderen nach Buchenwald gebracht. Er kam nicht in das Lager, sondern gleich in das Krematorium. Der Lagerkommandant Pister ... blieb im Krematorium, bis die Liquidierten restlos verbrannt waren, und verließ dasselbe um 22.30 Uhr.“ 'Quellenkritisch‘ wäre zu diesem Bericht zu sagen, daß er zum Zeitpunkt der Verhaftung des Kommandanten Pister 1945 verfaßt wurde; ohne jeden absichtlichen Bezug zur Mordsache Thälmann; unbeeinflußt von Interessen-Konstellationen und Pressionen; sozusagen 'für den Schreibtisch‘ bzw. zur Selbstverständigung. Vor allem aber bekundet dieser Bericht unabhängig von der Pister-Morgen-Version eben dasselbe wie diese und ist doch bezüglich der Angabe der genauen Uhrzeit, zu der der Kommandant Pister das Krematorium verließ, für jeden an der Mordsache Thälmann Interessierten atemberaubend!
Bezüglich des von mir eingeführten Alfred Scherlinsky, den H.Hannover glaubt keines Wortes würdigen zu müssen, sei festgestellt, daß dessen 'Glaubwürdigkeit‘ sich nicht nur von dessen Haftzeit herleitet; nicht nur von seiner revolutionären Praxis vor 1933; seiner untadeligen Führung gegenüber seinen Mithäftlingen (nicht gegenüber der SS!); und schließlich seinem ganz unbonzenhaften Weiterleben in der DDR nach der Befreiung - sondern auch dadurch, daß er auf der „Liste der 46“ steht, d.h. der 'prominenten Häftlinge‘ im KZ-Buchenwald, die zuletzt noch auf jeden Fall umgelegt werden sollten. Und nun prüfe man einmal nach, in welcher Literatur, auf welcher 'Gedenktafel‘ der Name „Scherlinsky“ eventuell sonst noch erscheint... Und damit wären wir wieder beim 'Motiv‘ für diese Auseinandersetzung anläßlich des Thälmann-Mordprozesses: des jammervollen aber eben auch jämmerlichen deutschen Antifaschismusses!
Für den taz-Leser darf nicht unerwähnt bleiben, daß der angeklagte SS-Mann Otto für seine Tätigkeit in Buchenwald 1947 bereits 20 Jahre bekommen hat und davon bemerkenswerterweise auch einige Jahre abgesessen hat, wessen sich ja nicht jedes deutsche Mörderlein zu rühmen vermag. Übrigens: wenn im Wissenschaftsbetrieb ein bisher unbekanntes Dokument vorgelegt wird, gilt dies als Ergebnis der Forschung, wäre also von 'Recherche‘, das heißt ein paar Telefonnummern anrufen, zu unterscheiden. Im übrigen halte ich in der Sache jede persönlich gehaltene Polemik für überflüssig.
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