: Den Rest überlaßt den Jungs von der Polente
■ Polizeipsychologen werben für Demos ohne Zoff : Mit Flugblättern und Plakaten, Buttons und Bonbons versucht die Polizei bundesweit Demos in friedliche Bahnen zu lenken und ihr ramponiertes Imag
„Den Rest überlaßt den Jungs von der Polente“
Polizeipsychologen werben für „Demos ohne Zoff“: Mit
Flugblättern und Plakaten, Buttons und Bonbons versucht die Polizei bundesweit Demos in friedliche Bahnen zu lenken und ihr ramponiertes Image aufzupolieren / Bleibt die
„Deeskalation“ ohne Erfolg dann wird zur klassischen „Hau -Drauf„-Strategie übergegangen
Von Jürgen Gottschlich
Berlins Polizei vergriff sich an Rosa Luxemburg. Unter der Überschrift „Demo ohne Zoff ist großartig - alles andere ist Quark“ prangten vor dem diesjährigen 1. Mai an 150 Litfaßsäulen in Kreuzberg und Neukölln Aufrufe der Polizeiführung: für „Toleranz statt Arroganz“ und „Akzeptanz statt Militanz“. Der Slogan verhohnepipelte ein 1.Mai -Flugblatt linker Gruppen, die mit dem Luxemburg-Zitat „Die Revolution ist großartig - alles andere ist Quark“ zur Demonstration im Kiez aufgerufen hatten. Zum Zoff kam es tatsächlich: Die Crash-Combo „Einheit für besondere Lagen und einsatzbezogenes Training“ (EbLT) zog wüst vom Leder. Dabei machte die Prügeltruppe noch nicht einmal vor den eigenen Leuten halt: Drei hohe Polizeioffiziere bekamen ebenfalls was auf die Mütze.
Dumme Sprüche nicht nur in Berlin. Seit einigen Jahren versuchen Polizeipsychologen, mit Flugblättern und Plakaten, Buttons und Bonbons Demonstrationen in friedliche Bahnen zu lenken. „Stell dir vor, es ist Demo, und die Polizei geht nicht hin“, hieß es im März diesen Jahres auf Handzetteln hessischer Polizeipsychologen, die bei der Nukem-Alkem -Demonstration in Hanau verteilt wurden. „Irre, was? Aber wart‘ mal, was geht dann ab? Ein Haufen Demowilliger und ein paar Chaoten... Ruck, zuck ist die Randale da!“ prophezeite das Papier in vermeintlich lockerer Szenesprache. „Die Stimmung wird ätzend! Das Anliegen der Demo geht den Bach runter! Und die große Solidarisierung bleibt aus, weil's den kleinen Mann nur verschreckt!“ Das Angebot zum Schulterschluß lautete - im Polizeijargon sonst „Entmischung“ genannt: „Deshalb, Leute, easy... Einen anständigen Abstand zwischen den aggressiven Typen und uns hergestellt, den Rest überlaßt den Jungs von der Polente. Also: Laßt uns 'ne coole Demo machen - die Sache ist ernst genug!!“
Ernst meinen es die Polizeipsychologen bei den Länderpolizeien und der Polizeiführungsakademie (PFA) allerdings. Und in der Regel nicht die Spur so zwanghaft witzig wie in Hanau. Da versuchen vor allem bayerische Beamte, unter dem Signet „Gewalt - Nein Danke“ ihr ramponiertes Image aufzubessern. Rund um den Wackersdorfer Bauzaun verteilen sie gelegentlich Bonbons („Frieden in aller Munde“) und Buttons und bettelten auch schon mal mit einer hektographierten „Kontaktbrücke“, den „Dialog“ wieder aufzunehmen. Ein geradezu weinerlicher Ton („Man hat uns ja lange genug erniedrigt, gereizt und provoziert.“) klang aus mehreren Beilagen in der Oberpfälzer Regionalpresse, mit denen den zuvor zusammengeknüppelten und eingegasten WAA -GegnerInnen „konkrete Schritte in Richtung Normalisierung“ angeboten wurden. Hamburgs Polizei wiederum, nach „Kessel“ und Notstandsübungen am Hafenrand arg in Mißkredit geraten, erdreistete sich, beim diesjährigen 1.Mai ein Flugblatt zu verteilen mit Sätzen wie „Wir möchten Sie dabei unterstützen, eine friedliche, machtvolle Demonstration durchführen zu können. (...) Außerdem gehen bei der Demonstration einige Beamte mit, um sie unterwegs über Stockungen und Störungen des Aufzuges informieren zu können.“ Ihr neuer Chef Dirk Reimers griff gar selbst zur Feder, um den Veranstaltern einer auseinanergeknüppelten Demonstration die „Gefühl-und-Härte-Gangart“ seiner Mannen nahezubringen.
Der ungewohnte Bürgerservice - häufig verbunden mit Hinweisen auf günstig gelegene Parkplätze oder mit Informationen für die Anwohner von Demonstrationsrouten, daß mit „Behinderungen leider zu rechnen“ sei - hat durch die Bank ein klares Ziel: „Distanzieren Sie sich bitte von Anfang an von Leuten, bei denen Sie den Eindruck haben, daß sie nicht gegen die Errichtung der WAA demonstrieren, sondern schlichtweg Krawall machen wollen. Ein sicheres Erkennungszeichen ist nach unserer Erkenntnis z.B. das vermummte Auftreten“, hieß es im Oktober 1985 in einem Münchner Polizeiaufruf.
Die Erfahrungen der Psychologie macht sich die deutsche Polizei seit über 60 Jahren zu Nutze. In den ersten Jahrzehnten diente die junge Wissenschaft dazu, „Testverfahren für die Auswahl und Karriereberatung“ der Beamten zu entwickeln, resümierte 1976 Wolfgang Salewski, der später als Psychologe den Mogadischu-Krisenstab der Bundesregierung beriet. Mit flugblattverteilenden Polizisten sahen sich Demonstranten erstmals in den Blütezeiten der APO konfrontiert. Es sollte „verdeutlicht werden, daß bei der Polizei Verständnis für den Anlaß berechtigter Demonstrationen besteht“, erläuterte 1973 ein Artikel in der GdP-Zeitung „Deutsche Polizei“ (11/73). Flugblattaktionen hätten sich „als Einsatzmittel recht gut bewährt“, auch wenn „Demonstrationsgruppen, die die Konfrontation mit der Polizei bewußt suchen“, nicht erreicht werden könnten. Krad -Fahrer der Polizei, die angeblich „auch von sehr radikalen Demonstranten akzeptiert“ wurden, verteilten die in hohen Auflagen gedruckten Zettel. Schon damals ging es darum, dem Bild vom „tumben Bullen“ entgegenzuwirken. Und auch das Ziel war klar: „Aufruf und Motivation zu friedlichem Verhalten. Dazu bedurfte es einschlägiger Sprachkurse. Klare Sätze statt verquastem Beamtendeutsch waren gefordert. Und die Wortwahl mußte stimmen, um die Zielgruppe überhaupt ansprechen zu können. Statt „Vaterland“ sollte es „Gesellschaft“ heißen, statt „Unterdrückung“ zeitgemäß „Repression“, statt „Putz“ ganz neutral „Anliegen“. Und die studentischen „Gestalten“ sollten bei Demonstrationen besser wertfrei als „Teilnehmer“ angesprochen werden. Aber erst mit den Massenbewegungen der achtziger Jahre schlug für die Polizeipsychologen die große Stunde. An die Spitze der Zunft setzte sich der Zentrale Polizeipsychologische Dienst in Bayern. Bereits im Sommer 1985, als im Taxöldner Forst noch tiefer Friede herrschte und kein einziger Baum für die WAA gefallen war, ließ die akademische Dienststelle Flugblattentwürfe im bayerischen Innenministerium kursieren mit Titeln wie: „Polizist sein in Wackersdorf“. Seitdem quillt eine Flut von Pamphleten aus den Federn der Sozialwissenschaftler - mal an die Bürger der Oberpfalz gerichtet, deren Widerstand sich entschlossener als erwartet entwickelt hatte, mal direkt für die Autonomen geschrieben, die einmal darüber nachdenken sollten, warum sich „Angehörige des Ku-Klux-Klan“, „Bankräuber“ und gewisse Demonstranten gleichermaßen vermummen. Eine vor kurzem erschienene Dokumentation, herausgegeben von elf Bürgerinitiativen und linken Gruppen, bewertet die „neue Waffengattung Psychobullen“ kurz und bündig als Teil einer „gut durchdachten Arbeitsteilung“ zum Zwecke der „Differenzierung des Gewaltapparates“: „Die einen propagieren die neue Friedlichkeit und die anderen hauen alle zusammen, die auf diesen Leim nicht gehen wollen.“ Letztlich gehe es nur darum, „aufkeimende Unruhe möglichst schon im Ansatz zu besänftigen bzw. zu ersticken, Druck von unten in ungefährliche Bahnen zu lenken und dafür zu sorgen, daß der Staat selbst und seine Herrschaftsinstrumente als 'neutral‘ angesehen werden, daß aller Protest bloß nicht am System kratzt.“ Flugblätter und „weiche“ Einsatzkonzepte seien lediglich eine Version der Herrschaftssicherung, eine Art „psychologische Kriegführung“, wie es Bayerns Sicherheitsfanatiker Peter Gauweiler einmal formulierte. Und wenn diese Form von „Counterinsurgency“ keinen Erfolg zeige, dann käme es ohnehin zum „klassischen Hau-drauf, ganz ohne Püschologie“.
Diese Einsicht scheinen sich auch Bayerns Polizeipsychologen zu eigen gemacht zu haben. Nach den wüsten Schlägereien der Berliner Sturmtruppe EbLT am WAA -Bauzaun im vergangenen Herbst legten die Psychoexperten erst einmal eine Denkpause ein. Dem 'Spiegel‘ (21/88) vertrauten sie an, warum: Die „Übereinstimmung von Wort und Tat“ war selbst ihrer Meinung nach nicht mehr zu erkennen.
Literatur: Präventive Konterrevolution Polizeipsychologen in der BRD (Dokumentation), Hrsg. AKU -Wiesbaden, ASTA Uni Bremen, BBA-Bremen, FG Demokratie und Recht (GAL-Hamburg), Infobüro Freies Wackerland, KB, Libertäres Zentrum (Ffm.), RadiAktiv, Straßenmedizin, Startbahn BI Mörfelden-Walldorf, Schwarzmarkt (Hbg.), 64 Seiten, DM 5,-, Vertrieb über die Herausgeber oder: Straßenmedizin (Mitteilungsblatt der Sanitätergruppen), c/o BUU - BI Umweltschutz Unterelbe, Hohenesch 63, 2000 Hamburg 50
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