piwik no script img

"Die Flügelhelden beiseite räumen"

■ Die Gruppe Aufbruch 88 versucht mühsam, den Grünen die Urabstimmung über Manifeste schmackhaft zu machen / So sollen die Grünen wieder Hoffnungsträger werden / Grüne müssen aus der Opposition heraus w

„Die Flügelhelden beiseite räumen“

Die Gruppe „Aufbruch 88“ versucht mühsam, den Grünen die

Urabstimmung über Manifeste schmackhaft zu machen / So

sollen die Grünen wieder Hoffnungsträger werden / Grüne

müssen aus der Opposition heraus wieder Meinungsführerschaft erlangen / Von „Aufbruch“, „Abbruch“ und „Äquidistanz“

Von Ursel Sieber

Die grüne Farbe verblaßt. Gut fünf Jahre nach ihrem Einzug ins Bonner Parlament sind die Grünen kaum wiederzuerkennen. Während sich in der Nordsee-Katastrophe alle düsteren Vorhersagen der Ökologiebewegung bewahrheiten, beschäftigen sich die Grünen nur mit sich selbst. In rasantem Tempo verlieren sie an Attraktivität - bei den Intellektuellen, den einst Aktiven aus den sozialen Bewegungen.

Während führende „Realos“ von Spaltung sprachen, hat sich die Führungsspitze der „Fundis“ auf taktische Abwehrkämpfe konzentriet und ist so zunehmend in die Defensive geraten. So ist es auch innerhalb der Flügel etwas unübersichtlicher geworden: Die „Realos“ (siehe unten) sind heute genauso zerstritten, wie die „Linke“ gespalten ist (Bericht folgt). Irgendwo dazwischen steht der „Aufbruch 88“, ein Projekt, das die „Grünen mittels einer Urabstimmung über „Manifeste“ von den „Flügelhelden“ emanzipieren möchte: Alle Mitglieder, die aktiven wie die Karteilichen, sollen über das Vehikel Urabstimmung zur inhaltlichen Debatte gezwungen werden. Es ist der Versuch, atmosphärisch noch einmal eine Aufbruchstimmung zu erzeugen wie Ende der siebziger Jahre bei der Gründung der Grünen.

Diese Idee geht auf zwei prominente Grüne zurück, auf den früheren Vorstandssprecher Lukas Beckmann und die Abgeordnete Antje Vollmer. Inzwischen sind etwa 40 Personen mit von der Partie. Eine sehr heterogene Gruppe mit Leuten, die eine Identifikation mit den Flügeln für unklug halten oder sich zur Vermittlung berufen fühlen; die eher unpolitisch danach rufen, den Streit endlich zu beenden, oder tatsächlich Positionen vertreten, die quer zu den Strömungen liegen.

Seit zwei Jahren gab es immer wieder solche Anläufe, in der Mitte einen Durchbruch zu schaffen und „die Flügelhelden beseite zu räumen“ (Marie-Louise Beck-Oberdorf): Erst die „Unabhängigen“, jetzt der „Aufbruch“. Bisher sind sie über den Ruf nach weniger Konfrontation nicht hinausgekommen sind. Von sich reden machten sie dann, wenn der Flügelstreit allen zu sehr auf die Nerven fiel. So ist auch der „Aufbruch -Gruppe“ immer vorgehalten worden, sie habe keine politische Substanz und achte geradezu peinlich auf „Äquidistanz“. Mit diesem Manifest (Antje Vollmer hat es entworfen) will der „Aufbruch“ inhaltlich ein bißchen Flagge zeigen.

Wenn überhaupt, ist das Manifest vor allem ein Parteimanifest geworden. Es beschäftigt sich ausführlich mit den Ursachen der grünen Misere: Mit dem unproduktiven Flügelstreit, der fehlenden „personellen Erneuerung“, mit der „Abschottung“ von der Gesellschaft und der „Zerstörung von Zukunftshoffnungen“.

Ein Ausweg sei die „Entmystifizierung“ der Koalitionsfrage: „Wir werden uns darum weder daran beteiligen, die Grünen durch den geistigen Totalausverkauf vermeintlich koalitionsfähiger noch prinzipiell koalitionsunfähig zu machen.“ Interessant ist, daß der „Aufbruch“ den Grünen eine längere Zeit auf der Oppositionsbank voraussagt: „Unsere strategische Aufgabe besteht darin, den neuen Aufbruch der Grünen in die Gesellschaft hinein auf lange Zeit aus den ungünstigeren Bedingungen der Oppositionsrolle suchen zu müssen.“

Eine andere Lösung sieht der „Aufbruch“ in einer grundlegenden Parteireform. Konkret: Urabstimmungen „in wesentlichen Grundsatzfragen“, bessere Initiativrechte der Kreisverbände, Rotation der Abgeordneten nach vier oder acht Jahren, Professionalisierung und Bezahlung aller Vorstandsmitglieder, die Trennung von Amt und Mandat, eine „Kultur der exemplarischen Aktion“ und ein Sowohl-als-auch beim imperativen Mandat: Mehrheitsbeschlüsse sind für die Fraktion „verbindlich“, dennoch haben Abgeordnete das Recht auf Dissens.

Spannend wäre, was der „Aufbruch“ zu den klassischen Streitfragen der Grünen meint. Doch das liegt bis heute leider nur in Bruchstücken vor. Wo Position bezogen werden, übt man sich gerne im Spagat: So grenzen sie sich z.B. von dem Ökokapitalismus der Realos ebenso ab („ärgerlich“) wie vom Leitbild Ökosozialismus („nebulös“): Der „Krieg der Abstraktionen“ führe nicht weiter; die Alternative Kapitalismus oder Sozialismus, Markt oder Plan seien überholt. Ihre Stichworte: Demokratisierung wirtschaftlicher Macht; Ausweitung von Konsumentenrechten und Verbraucherinformationen; Aufbau dezentraler Wirtschaftskreisläufe und Rückgewinnung regionaler Autarkie; Frühwarsysteme für neue Techniken, Gebot und Verbote von Produktion und Verfahren. Zum Thema Gewaltfreiheit: Ein Plädoyer für Gewaltfreiheit als offensive Strategie gesellschaftlicher Veränderung, die weder „in die Falle der Militanz“ laufen noch mit „Staatsloyalität“ verwechselt werden darf.

Geht es nach dem „Aufbruch“, soll die Urabstimmung im Herbst erfolgen. Dazu muß ein Drittel der Kreisverbände allerdings erstmal ja sagen. Ob es soweit kommt, ist schwer abzusehen; der Zuspruch scheint bisher nicht sehr groß. Die Kritik liegt auf der Hand und konnte auch nie ganz entkräftet werden. Grüne PolitikerInnen, die ebenfalls finden, daß der Flügelstreit vieles blockiert und „die strategischen Optionen der Fundamentalisten und des Ministerflügels gescheitert sind“, haben der Aufbruch-Gruppe „Verdummung“ und „Entmündigung“ vorgeworfen: „Eine Urabstimmung bedeutet hier, in populistischer Manier die Mitgliedschaft zur Akklamation für ein von einem relativ begrenzten Personenkreis erarbeitetes Papier aufzurufen.“ Jeder grüne Parteitag sei demokratischer und basisnäher (so z.B. eine Stellungnahme der AL Berlin).

Zum Teil hat der „Aufbruch“ auf diese Kritik reagiert. Sie stellen sich nun vor, daß nur „überschaubare Kernaussagen“ gegeneinander abgestimmt werden sollen. Sie sollen grüne Politik bilanzieren, die Ursachen der Krise einschätzen und die Wege benennen, die aus dem Jammertal herausführen. Ansonsten plädiert der Bremer Abgeordnete Ralf Fücks, der früher zur „Fundi„-Strömung gehörte, für Mut zum Risiko: Damit werde „politisches Neuland betreten“. Zum Kartei -Leichen-Argument sagt er kurz, die Aktivisten hätten eben Angst um ihre Macht: „Die Grünen werden sowieso längst populistisch regiert von einer Elite, die über die Medien die Vorgaben setzt und sich auf den Parteitagen mal die Leviten lesen läßt.“

Und die Flügel? Die „Fundis“ belächeln das Unternehmen als „Abbruch“. An einem Manifest wird bisher nicht geschrieben: „Ich halte nichts davon, weil man so etwas einfach nicht abstimmen kann und weil diejenigen, die die Manifeste schreiben, die Programme revidieren wollen“, sagt die Ökosozialistin Regula Bott. Die „Realos“ sind sauer, weil sich die „Mitte“ nicht klarer auf ihre Seite schlägt: „Das Pendeln zwischen den Flügeln ist zwar verführerisch, aber es bringt nichts“, meint Udo Knapp. In der Partei müsse wieder „eine arbeitsfähige Mehrheit“ hergestellt werden und die Gruppe um Antje Vollmer müsse sich irgendwann einmal entscheiden. „Wir Realos sind dazu bereit.“ Der „Aufbruch“ vertrete ohnehin weitgehend „Realo-Positionen“. Die pragmatischen Ökosozialisten kritisieren dagegen die Äquidistanz: Ihm fehle die „schonungslose Information der Basis“, sagt der Bundestagsabgeordnete Ludger Volmer. „Die Leute müssen wissen, wer mit welcher Zielsetzung das Programm revidiert“, und statt eines „moralischen Einheitsappells“ sei es besser, Roß und Reiter zu nennen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen