: Mehr von allem, für weniger Geld
■ Der Computer finanziert die Altersversorgung / Wir müssen mehr leisten und schneller denken / Baden-Württemberg muß Spitze bleiben / Das China-Syndrom vor der schwäbischen Haustür / Ministerpräsident Lotha
Mehr von allem, für weniger Geld
Der Computer finanziert die Altersversorgung / Wir müssen
mehr leisten und schneller denken / Baden-Württemberg muß
Spitze bleiben / Das China-Syndrom vor der schwäbischen
Haustür / Ministerpräsident Lothar Späth lobt und tadelt in seiner Regierungserklärung /
Aus Stuttgart Dietrich Willier
„Ich sage nur China, China“, hatte einst Altbundeskanzler Kiesinger warnend seine Stimme erhoben. Folgt man den technologie- und wirtschaftspolitischen Ausführungen Lothar Späths in dessen gestriger Regierungserklärung, dann steht das Chinasyndrom vor der schwäbischen Haustür.
Zwar, so Lothar Späth, ist Baden-Württemberg ein Modell europäischer Möglichkeiten, zwar „haben wir“ (heißt: habe er) dies Land im letzten Jahrzehnt wirtschafts- und beschäftigungspolitisch an die Spitze der deutschen Bundesländer geführt, doch das Beispiel der Anderen zeige, wie schnell sich die Dinge wandeln könnten.
Noch, glauben Lothar Späth und seine CDU, sei Baden -Württemberg Spitze. Welches andere Bundesland leistet sich schon ein zusätzliches Erziehungsgeld neben dem Geißler -Gehalt. Welcher andere Landesfürst holt sich schon einen Staatsrat für Kunst ins Kabinett, und verkündet gleichzeitig Kunst und Kultur zu vorrangigen Aufgaben einer künftigen Legislaturperiode, einschließlich entsprechender Förderungen und Investitionen? Welcher erfolgversprechende Wissenschaftler ist schon gefeit gegen lukrative Angebote des Südweststaats? Und welches Unternehmen der High-Tech -Branche wehrt sich schon gegen großzügige Investitionshilfen aus dem Süden? Baden-Württemberg muß Spitze bleiben, auch wenn andere Bundesländer längst um Kopf und Kragen fürchten!
Aber was ist das schon, gemessen an den Herausforderungen durch internationale Konkurrenz und Arbeitsteilung, oder den Wettbewerbsnachteilen ab 1992, wenn die Grenzen für den europäischen Binnenmarkt geöffnet werden. Gefahr droht aus dem fernen Osten, respektvoll oder furchtsam, so Lothar Späth, spreche man schon heute von den „vier Tigern“, Hongkong, Singapur, Taiwan und Korea, mit Wachstumsraten über zehn Prozent.
Und die ökonomische Angstschraube der Europäer dreht sich weiter. Indien, Indonesien, Malaysia, Thailand und die Volksrepublik China sieht Lothar Späth auf den Weltmarkt drängen, mit Billiglöhnen, längeren Arbeitszeiten und niedrigeren Sozialkosten und Staatsausgaben. Und noch weitere Menetekel vernahmen gestern Stuttgarts Landtagsabgeordnete: Bisherigen „Geldströmen“, denen international Währungskurse nach unten und oben zum Opfer fielen, werden laut Späth Warenströme mit ähnlichen Auswirkungen folgen.
Weltweites ökonomisches Chaos? Wird sich das fatale Ungleichgewicht von Wohlhabenden und Habenichtsen von allein auflösen? Lothar Späths Rezepturen sind ebenso schlicht wie traditionsgebunden: „Wer vor einer Überalterung seiner Bevölkerung steht, und keine Rohstoffe besitzt, muß seine Kreativität und die Qualität seiner Menschen einsetzen, muß sein Innovationstempo steigern, und immer mehr qualifizierte Produkte und Dienstleistungen exportieren“.
Und wer soll das alles leisten? Die Alten in diesem Land werden immer mehr, die Rentner sind schon jetzt fast nicht mehr finanzierbar, die Gesundheit und damit die Erhaltung der Arbeitskraft wird immer teurer.
Auch daran hat Lothar gedacht: „Während wir heute noch die arbeitsmarktpolitischen Folgen von Rationalisierung und Automatisierung fürchten, werden wir morgen für jeden Computer dankbar sein, der zum Wachstum des Sozialprodukts beiträgt. ... Für die fehlenden Arbeiter müssen Roboter her; solange, bis die verminderte Zahl der Arbeiter die steigende Zahl der Rentner ernährt.“ In der Tat, der Mann denkt in die Zukunft, in Anbetracht von mehr als 2,1 Millionen Arbeitslosen!
Die kleinen regionalen Themen fallen da fast unter den Tisch: Zum baden-württembergischen Bauernsterben fällt dem Ministerpräsidenten auch nichts anderes mehr ein, als die, denen das Wasser bis zum Hals steht, zur umweltbewußten Landschaftspflege einzusetzen. Umweltpolitik besteht in Baden-Württemberg auch in Zukunft im Aufbau hochempfindlicher und flächendeckender Schadstoffmeßstellen, und der Ausweisung von 4000 neuen Biotopen.
Aber was soll's! Fast neunzig Seiten faßt Lothar Späths Regierungserklärung, schon die Realisierung eines Bruchteils des Programms würde bis ins nächste Jahrtausend reichen.
Da wird es dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten schon leichter fallen, das Ende dieser Legislaturperiode gar nicht erst abzuwarten, sondern zum nächsten Revirement noch Bonn zu entschwinden. Dann kommen die Chinesen.
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