: Der Fußballgott ist ein Russe
■ Niederlande - Sowjetunion 0:1 / Der Fußball der Zukunft siegreich im Hier und Jetzt
Der Fußballgott ist ein Russe
Niederlande - Sowjetunion 0:1 / Der Fußball der Zukunft
siegreich im Hier und Jetzt
Uit Keulen Bernd Müllender
Wenn das der gute alte Bhagwan gesehen hätte: nichts als orangerote Menschen. Brüllend, begeistert im Hier und Jetzt, mit stimmgewaltigen Chorälen statt meditativem Singsang allerdings. Von den berüchtigten Hooliganskis aus der russischen Botschaft in Bonn war nichts zu sehen, die wenigen Einheimischen trugen polizeiliches Grün, der Rest waren niederländische Fans, die 50.000 Leute stark nach Keulen gekommen waren, wie sie Köln so schlagkräftig hübsch nennen.
Es sollte ein Fußballfest in Orange werden. Erst ließen die Fans eine „la ola„-Welle nach der anderen durchs Müngersdorfer Rund rasen, dann brandeten die Angriffe des niederländischen Teams gegen das sowjetische Tor wie die Nordsee-Wellen vor Den Helder bei Sturmflut. Doch am Schluß hatte Trainer Rinus Michels „natuurlijk een grote en dikke kater“. Der Geheimtip Holland hatte gegen den Geheimtip UdSSR 0:1 verloren.
Besonders in der ersten Halbzeit war das Spiel eklatant einseitig. Die niederländischen Zehn um den AC-Milanesen Ruud Gullit, mit riesigen Vorschußlorbeeren gekränzt, die ihm als Rasta-Strähnen das Haupt umzingeln, berannten wendig Dassajevs Tor. Doch sie trafen es nicht.
Die Sowjets waren chancenlos. Mit ihrer demonstrativ kontrollierten Defensive spielten sie indes nicht „Fußball wie vor 20 Jahren“ (Beckenbauer, deutscher Analytiker), sondern, dem derzeitigen Trend zum totalen Destruktivfußball vorgreifend, wie in 20 Jahren. Die Befreiungsschläge nach vorn konnten nur den Sinn haben, darauf zu hoffen, daß, wie es im Kickerlatein so sinnig heißt, dort der liebe Gott sich in die Torschützenliste eintrage. Erstaunlich: Ausgerechnet die Staatsatheisten kickten derart gläubig. War es Taktik oder Unfähigkeit?
Feinsinnige Betrachtungen dazu zerschrammelten die Pausenclowns vom Heeresmusikkorps. Deren Kapell(Kasperl?d.S.)meister versuchte recht drollig, den Entertainer zu mimen und das Fußballvolk durch zackiges Händeklatschen zum Mitgröhlen des Dallas-Marsches zu animieren. Die Bundeswehrcombo - eine in westdeutschen Stadien wohl bis auf den jüngsten Tag unausroettbare Erscheinung - versuchte mit der J.R.-Tümelei späte Rache für die verpatzten Nationalhymnen zu Beginn zu nehmen, als dank der sympathisch lautstarken Fans vom Militärgeblase nichts mehr zu hören gewesen war.
Und siehe: Der Fußballgott ist wirklich Russe. Nach Flankenlauf von Belanov und genialem Querpaß katapultierte Raz das Lederding wundersam ins Tor - ein starkes linkes Ding. Der Rest war Dramatik: Aber was Gullit mit seinen geschmeidigen Muskelpaketen auch anstellte, wie auch immer sich die anderen Oranjes versuchten, stets endeten sie an den Fangarmen von Herrn Dassajev im sowjetischen Tor. Was blieb, fegten die janusköpfigen Abwehrrecken aus dem Strafraum; einmal half die Latte. Die Befreiungsschläge der Sowjets suchten als Konter den Herrn zielstrebiger, aber auch erfolglos, und die orangenen Teamjünger fielen immer mehr in stille Trance.
Die in der weltweiten Sportjournalistik so geliebten Trainerdeutungen müssen an dieser Stelle fragmentarisch bleiben. Der simple Grund sind die babylonischen Sprachverwirrungen aus dem sonntäglichen Keulen. Denn die vorab als superperfekt hochgelobten deutschen EURO -Organisatoren scheitern schlicht an der Aufgabe, Trainerstimmen auf Pressekonferenzen nachvollziehbar zu übersetzen.
Dafür aber, wir wollen das Lob nicht vergessen, klappte die literweise Versorgung der Presse mit Produkten von „Müller -Milch“ vorzüglich.
NIEDERLANDE: van Breukelen - Ronald Koeman- Rijkaard, van Tiggelen - van Aerle, Wouters, Gullit, Mühren - Bosman, Vanenburg (58. van Basten), van 't Schip
UdSSR: Dassajew - Chidijatulin - Bessonow, Kusnetzow, Demjanenko - Sawarow (90. Sulakwelidse), Michailitschenko, Litowtschenko, Raz - Belanow (80. Aleinikow), Protassow
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