Österreich - kein Land der Gastlichkeit

■ Nachdem die Visapflicht für Polen aufgehoben wurde und im Nachbarland Ungarn die Ausreisebeschränkungen gefallen sind, verdreifacht sich die Zahl der Asylbewerber

Österreich - kein Land der Gastlichkeit

Nachdem die Visapflicht für Polen aufgehoben wurde und im

Nachbarland Ungarn die Ausreisebeschränkungen gefallen sind, verdreifacht sich die Zahl der Asylbewerber

Aus Wien Christian Seiler

„Sie sind in der Absicht nach Österreich gekommen, nicht mehr in ihre Heimat zurückzukehren. Wir bitten Sie, diesen Entschluß noch einmal gründlich zu überdenken!“

Auffanglager Traiskirchen, Niederösterreich. Seit dem 9.Mai werden „An alle Asylwerber aus Ungarn und Polen“ Informationsblätter in ungarischer und polnischer Sprache verteilt, die den Emigranten klar machen sollen, was Sache ist: Das klassische Asylland Österreich hat aufgehört zu existieren.

Als am ersten Januar dieses Jahres die Visapflicht für Polen aufgehoben wurde und gleichzeitig im sozialistischen Nachbarland Ungarn die Ausreisebeschränkungen fielen, schlug der Flüchtlingsstrom hohe Wellen. Die Zahl der Asylwerber stieg von 11.406 im Jahr 1987 auf ministeriell hochgerechnete 30.000 für die laufende Saison. Diese Schätzung wurde zwar wieder kraß nach unten korrigiert, die anfallenden Probleme lassen sich allerdings dadurch nicht aus der Welt räumen: Platznot - das Auffanglager Traiskirchen ist mit 1.919 Flüchtlingen hoffnungslos überlastet - und finanzielle Engpässe des für Flüchtlingsfragen zuständigen Innenministeriums führten zur Einführung des „beschleunigten Asylverfahrens“ vom 9.Mai 1988. Darin wird verordnet, daß sich Asylwerber aus Polen und Ungarn binnen vier Tagen vor einer Kommission aus Beamten des Ministeriums und der Fremdenpolizei für ihre Ankunft in Österreich zu rechtfertigen haben. Die Entscheidung, ob sie Flüchtlingsstatus „im Sinne der Genfer Konvention“ erhalten, fällt unverzüglich. Eine eventuelle Berufung gegen einen negativen Bescheid wird mit für österreichische Verhältnisse atemberaubender Geschwindigkeit erledigt: Was bisher an die zwei Jahre dauerte, wird nun in etwa einem Monat erledigt.

„Vielleicht sind die Fragebögen besser“, mutmaßt ein Beamter des Innenministeriums über die wundersame Beschleunigung des Amtswegs.

Dann, so der neueste Erfahrungswert, wird etwa ein Zehntel der Antragsteller als Flüchtling anerkannt sein. „Sollten Sie nämlich die Absicht haben“, so das Merkblatt für Traiskirchen-Ankömmlinge weiter, „in Österreich zu bleiben, müssen Sie sich darüber klar sein, daß Sie im Hinblick auf die derzeitige Situation in Ihrer Heimat kaum Aussicht haben, als politischer Flüchtling anerkannt zu werden. Ohne diese Anerkennung werden Sie in Österreich nie Fuß fassen und auch kaum eine Arbeit erhalten können, da ja auch österreichische Staatsbürger arbeitslos sind.“

Initialzündung für diese neuen Schnellverfahren waren nicht nur die knappen Staatsfinanzen, sondern auch die Weigerung anderer Asylländer, ihre Kontingente für Asylanten zu erhöhen, die in Österreich eintreffen. Zwar konnte Innenminister Blecha vor wenigen Tagen verkünden, daß die USA in Zukunft mehr Flüchtlinge aufnehmen würden. Doch Kanada und Australien, die beliebtesten Ziele der Traiskirchner Transitreisenden, haben noch nicht auf die vermehrte Zahl von Flüchtlingen reagiert.

Bereits zu Jahresbeginn hatte sich Innenminister „Charly“ Blecha, ein ehemaliger Jungsozialist, der in Partei und Bürokratie inzwischen seine Lektionen gelernt hat, mit der Behauptung exponiert, ein Großteil der in Österreich Asyl begehrenden Ungarn und Polen seien „Wirtschaftsflüchtlinge“. Menschen also, die es aus schnöden finanziellen und materiellen Gründen vorzögen, ihre Heimat zu verlassen und keine Flüchtlinge im Sinne der dauernd strapazierten Genfer Konvention. Es seien schlicht und einfach Auswanderer. Damit bereitete Blecha im ohnehin für Fremdenfeindlichkeit anfälligen Land den Boden für eine neue Welle der Diskriminierung und Herabsetzung von Asylanten, Flüchtlingen und Gastarbeitern.

„Wir begrüßen die schnellen Verfahren im Sinn der Menschlichkeit“, sagt Wolfgang Aigner, Rechtsanwalt und Generalsekretär der Österreichischen Sektion von amnesty international, „weil die enervierenden Wartezeiten wegfallen. Allerdings haben sich mit den beschleunigten Verfahren sofort Polizeistaatmehoden in denn Flüchtlingsquartieren eingeschlichen.“

Traiskirchen, hellblauer Junihimmel. Fast eine Idylle. Im ersten Stock des alten k.u.k.-Gebäudes befindet sich die Überprüfungsstation für Polen und Ungarn, ein mit 226 Personen voll ausgelasteter Trakt. „Hilton“, nennen ihn die Asylbewerber sarkastisch. Hier warten 226 Menschen auf die Entscheidung über ihr Schicksal. Janos, ein 27jähriger Ungar, berichtet, was man sich im „Hilton“ der Asylbewerber alles erzählte, daß die Informationsblätter in ungarischer und polnischer Sprache von Polizisten vertauscht worden seien. Die Ankömmlinge verstanden daher die richtigen Informationen kaum oder gar nicht. Ausgang sei verboten. Berufungen gegen einen negativen Asylbescheid würden nicht angenommen, wenn sie in der Muttersprache ausgefertigt waren. Asylgesuche ohne Stempelmarken würden zurückgewiesen. Stempelmarken gebe es aber nur außerhalb des Lagers zu kaufen. Es dürfte kein Anwalt zugezogen werden. Wolfgang Aigner von ai sind diese Vorwürfe geläufig: „Der Polizeistaat, wie er leibt und lebt.“

„Wir sind froh, daß wir da sind“, sagt Janos, der sich in der Arbeit gegen das geplante Donaukraftwerk Nagymaros engagiert hat und daher mit seinen Behörden in Konflikt kam. „Zu Hause hatten wir keine ruhige Minute mehr. Ich habe meinen Job verloren, meine Frau mußte uns beide von ihrem Gehalt aus der Konservenfabrik ernähren. Deshalb sind wir nach Österreich.“ Wirtschaftsflüchtlinge? - „Zugegeben“, nickt Janos, „viele Landsleute versprechen sich vom Ausland einfach bessere Verdienstmöglichkeiten - aber das gibt den Österreichern doch nicht das Recht, uns alle über einen Kamm zu scheren!“

96 Prozent der ankommenden Ungarn und Polen geben an, sich nicht in Österreich niederlassen zu wollen. Und bei der Hälfte von ihnen machte der rauhe Wind bei der Ankunft solchen Eindruck, daß sie auf ein zweites Asylgesuch verzichteten und nach Hause reisten - die Kosten dafür übernimmt, großzügigerweise das österreichische Innenministerium, das pro Jahr etwa 80 Millionen Mark für Flüchtlingsangelegenheiten aufwendet.

In Österreich sind in der letzten Zeit von allen Seiten Informationen über Mißstände in der Asylpolitik bekannt geworden. Sie reichen von kleinen Schweinereien, die sich leicht vertuschen lassen, zu Einzelschicksalen unbekannter Asylbewerber, die keinen großen Krach befürchten lassen. Zurückgeschickte Iraner, Iraker, Tamilen, Palästinenser. Auch sie Wirtschaftsflüchtlinge? Kürzlich bewegte der Fall des jungen Iraners Reza Parvaresh * die Gemüter. Einem Bericht der Wochenzeitschrift 'Profil‘ zufolge sollte der vor Krieg und Terror geflohene Iraner, der angab, nach mehreren Wochen schubhaft desertiert zu sein, von den Sicherheitsbehörden in den Iran zurückgeschickt werden. Der verzweifelte junge Mann versuchte, sich umzubringen. Die Sicherheitsbehörden sperrten ihn daraufhin in die psychiatrische Klinik Feldhof (Graz) ein. Dort wurde das „Zentrum für rechtliche und sozialmedizinische Betreuung von Ausländern“ auf ihn aufmerksam. Der Fall kam an die Öffentlichkeit.

Wohl kein Grund zur Freude für das Innenministerium: Schließlich kommentierte es die zurückgehenden Zahlen an Asylbewerbern im internen Aktenvermerk „Schnellverfahren“ so: „Ein weiteres Ansteigen der Zahlen ist offenbar gestoppt. Dies ist durchaus als Erfolg zu werten, da normalerweise die Asylbewerberzahlen ab Mai überproportional steigen.“

* Name wurde von der Redaktion geändert.