: Grüne warnen vor Revolution in Lippstadt
■ Seit Monaten verweigern grüne Kommunalpolitiker vier Aufnahmewilligen den Eintritt in die Partei / Begründung: Verteidigung der Bastion Lippstadt gegen Amokläufer und Vulgärmarxisten / Jetzt is
Grüne warnen vor Revolution in Lippstadt
Seit Monaten verweigern grüne Kommunalpolitiker vier
Aufnahmewilligen den Eintritt in die Partei / Begründung:
„Verteidigung der Bastion Lippstadt“
gegen „Amokläufer und Vulgärmarxisten“ / Jetzt ist der
Aufnahmeantrag ein Fall für den SPD-Rechtsanwalt und den CDU -Richter am Landgericht
Aus Lippstadt Petra Bornhöft
Alle deutschen Revolutionen sind an der „gemütlichen Stadt im Lippebogen“, die 1985 ihr 800jähriges Bestehen würdigen ließ, vorbeigeschlichen. Als folgenschwerstes Ereignis seit 1817 gilt der Verlust des damals behaupteten Kreissitzes im Zuge der kommunalen Neugliederung Nordrhein-Westfalens 1975.
Kaum hat der junge Ortsverband der Lippstädter Grünen diese Schmach überwunden, da kündigt sich größeres Übel an. „Wir müssen die Bastion Lippstadt verteidigen“, sagt Fraktionschef Dr. Gerd Roloff und hebt beschwörend die Hände über den Wuschelkopf. Gegen wen? Gegen vier Menschen, die seit Herbst letzten Jahres vergeblich ihre Aufnahme in die Öko-Partei - das sind in Lippstadt etwa zehn Aktive und zwanzig Karteileichen - beantragen.
Diese vier und ihre Sympathisanten sind Hausfrauen, Verwaltungsangestellte, Psychologen und medizinische Bademeister zwischen 30 und 40 Jahren. Mitarbeit in Bürgerinitiativen brachte sie auf die Idee, „umfassend Politik machen“ und sich deshalb bei den Grünen organisieren zu wollen. Das verwehrt ihnen jedoch der grüne Ortsverband. Denn die Aufnahmewilligen und ihre Freunde wollen, das steht für Gerd Roloff fest, die Revolution. Er nicht. Und sein Ortsverband auch nicht. Der beschloß nämlich im März: „Revolutionäre Veränderungen in der Bundesrepublik sind nicht in Sicht.“
Sechs Herrschende und
vier „Unterwanderer“
Gegenteiliges hatte niemand behauptet - Lippstadt ist nicht Kreuzberg -, aber „es mußte mal gesagt werden“, meint Herr Roloff, „wir müssen aufpassen, in welche Richtung wir gedrängt werden.“ Die da drängen, haben sich jetzt den lokalen SPD-Fraktionschef als Rechtsanwalt genommen und wollen, nach einem halben Jahr Nichtbeachtung durch Orts und Landesverband ihre Aufnahme gerichtlich erzwingen. Eine „Verzweiflungstat“ nach Ansicht des Klägers, „wenn wir aufgenommen werden, ziehen wir die Klage zurück.“
Darüber mit den sechs Herrschenden im Lippstädter Parteiapparat zu reden, ist nicht mehr möglich. Denn Roloff und Co. sind sich sicher: „Es handelt sich um Amokläufer und Vulgärmarxisten. Lehrer Roloff vom Abendgymnasium kennt die mutmaßlichen Unterwanderer aus Zeiten, als man miteinander diskutierte. Unvergeßlich sind dem 41jährigen die Gespräche in der Szene-Kneipe „Don Quichotte“. Dort schwatzen die Stadtlinken über Kindererziehung, Hausbau und was sonst so anliegt.
Auch die langjährige Wählerin der Grünen, Steffi Bauer, erinnert sich an den Jahre zurückliegenden Abend, als Roloff sie fragte: „Warum machst Du nicht bei den Grünen mit?“ Sie antwortete: „Eigentlich finde ich die Arbeit in Bürgerinitiativen spannender als Parteipolitik.“ Dieser Satz sollte ihr später zum Verhängnis werden. Roloff prägte ihn sich ein. Nach seiner Erinnerung sagten damals in der Kneipe weitere Personen, Parteiarbeit sei ihnen „zu dröge“.
In der Folgezeit war Dr. Roloff zu beschäftigt mit der Rathauspolitik, als daß er über Kneipengespräche hätte nachdenken können. Nach der Kommunalwahl 1984 hatten nämlich fünf Grüne ihr Hauptquartier im Fraktionszimmer des Rathauses bezogen. In jenes Allerheiligste vorgedrungen, kann die Besucherin gottseidank dem Wunsch nach Ausweis und Visitenkarte Folge leisten. Andernfalls wäre das Gespräch an dem blankgeputzen Tisch vorzeitig beendet, lassen Schriftführer Bernd Dammann und Dr. Roloff durchblicken.
Ordentlich aufgereiht stehen Kaffeetassen und Wassergläser im Geldschrank, der zu Kaisers Zeiten die Reichstaler der Stadtkasse barg. An gelben Wänden des fünf Meter hohen Raumes verlieren sich eine angegraute Friedenstaube aus Watte und drei Uralt-Plakate der Grünen. Diese Insignien und ein Schreibtisch, der unter der Last von Papierstapeln zusammenzubrechen droht, machen den sichtbaren Unterschied zu einem Büro des Ordnungsamtes aus.
Aber die Papiere haben es in sich. Sie enthalten Hunderte von Anträgen und Anfragen der Ratsfraktion. Auch in Lippstadt sind die Grünen fleißiger als SPD und CDU zusammen. Bei einer absoluten CDU-Mehrheit halten sich die Erfolge naturgemäß in Grenzen. Dennoch setzte sich die Öko -partei mehrmals durch: Der Rat verbot Streusalz auf Gehwegen und Pinkelsteine in städtischen Männerklos. Schulkinder erhielten eine überdachte Haltestelle, gerettet werden konnte eine Fußgängerampel. Bei neuen Radwegen werden künftig die Kanten und Kurven fahrradgerecht ausgebaut. Ferner ist der Jahreszeitschrift der Fraktion - eine vierseitige „Bürgerinformation„- zu entnehmen, daß die regierenden Konservativen zuweilen geschmähte Ideen der Grünen später in verwässerter Form aufgreifen, so etwa 15 Projektvorschläge für eine kinderfreundliche Stadt.
Von den 62.000 EinwohnerInnen mit stets wachsender Stimmenzahl belohnt - zuletzt wählten 3000 grün - gilt die Hoffnung der Mandatsträger den Kommunalwahlen 1989. „Dann werden wir den größten Erfolg verbuchen“, strahlt der arbeitslose Sozialwissenschaftler Dammann. Der Gedanke, bei der Wahl „die Früchte unserer Arbeit“ nicht ernten zu können infolge der „Vulgärmarxisten“, macht ihn und seine Kollegen seit Herbst letzten Jahres rasend.
Unter dem Bannstrahl
des Öko-Imperiums
Als damals drei Frauen, darunter Steffi Bauer, „aus Interesse an allgemeiner Politik“ dem Männerverein beitreten wollten, läuteten bei Dr. Roloff die Alarmglocken. Roloff und Dammann fielen die Kneipengespräche von früher ein: „Wenn diese Leute, denen Parteiarbeit immer zu trocken war, plötzlich Parteiarbeit als lebensnotwendig begreifen, dann ist das ein Alarmsignal.“ Zudem war die herrschende Sechser -Gruppe im Ortsverband politisch nicht einverstanden mit dem Engagement der Frauen nach Tschernobyl und gegen die Volkszählung. Folglich verweigerte die Mehrheit des Ortsverbandes mit sechs gegen vier Stimmen den Interessentinnen die Aufnahme und diente ihnen stattdessen eine Probezeit an.
Enttäuscht und empört lehnten die Frauen den früher von ML -Sekten praktizierten Kandidatenstatus ab. Steffi Bauer fühlte sich „maßlos gekränkt. Da gehst du hin zu den Grünen und bist ein Nichts. Am besten du gehst wieder.“ Sie tat es. Hartnäckig indes blieben die beiden anderen und besorgten sich Aufnahmeformulare. Umsonst, denn die Frauen wohnen in der Straße „Am Westbruch“ im Dorf Benninghausen. Diese Straße hat der Bannstrahl des Öko-Imperiums mit voller Wucht getroffen, seitdem sich Anwohner gegen Atomkraft und Volkszählung wehrten, wie es Hunderttausende in der Republik taten - nur nicht die sechs Lippstädter Grünen.
Auf der Suche nach dem Hort der Revolution in Ostwestfalen stößt man auf eine Stichstraße zwischen weißen Einfamilienhäusern und üppigen Gärten. Morgens gehört die Werkssiedlung einer psychiatrischen Klinik wenigen Frauen, die sich schon mal zum Aquarellieren in einer Wohnküche treffen, wenn Robin, Timo, Mona oder Nico im Kindergarten spielen oder zu Hause schlafen. Sonst toben die Kinder durch nachbarschaftliche Gärten der befreundeten Ehepaare. Vormittags wie abends kommt das Gespräch immer wieder auf die „machtbesessene Clique um Roloff und Dammann“. Auch die „Gruppe Westbruch“, diesen Namen verdanken die grünen Mitglieder und Sympathisanten der Rathausfraktion, ist verbittert.
„Politische Spielregeln
mißachtet“
Von Herrn Roloff müssen sie sich sagen lassen, sie „hätten die Tschernobyl-Arbeit in den Dreck geritten und gegen die Volkszählung unheimlich dilettantisch agiert. Die Gruppe Westbruch mißachtet soziale und politische Spielregeln.“ Die hat der Staat gesetzt, daran gilt es sich zu orientieren. Konnte das grüne Six-pack nach Tschernobyl gerade noch verhindern, „daß die Leute dem erstbesten an die Wäsche gingen“, so half bei der Volkszählung keine Warnung. Die Kriminalität brach sich in Lippstadt eine Bahn.
Per Flugblatt rief eine VoBo-Initiative zum Boykott auf und ignorierte die grüne Mahnung, „das Rechtsgut der parlamentarischen Mehrheitsentscheidung des Bundestages nicht aufzugeben“. Stolz erinnert sich Dammann: „Dem Fragebogen ist eine Verschwörungstheorie angedichtet worden. Wir haben dem Handlungsdruck des Bundesvorstandes der Grünen nicht nachgegeben.“ Während Bonn zum Boykott aufgerufen hatte, plädierte Lippstadt leise aber tapfer fürs Ausfüllen der Bögen. Logisch, daß die Ratsherren 500 DM Prozeßkostenhilfe für die presserechtlich Verantwortliche des Boykottflugblattes - die Rechtsbrecherin aus dem Westbruch gewann kürzlich das Verfahren - ablehnten.
Nachdem die Kreismitgliederversammlung das Geld bewilligt hatte, stoppten Dammann und eine weitere Kreistagsabgeordnete die Überweisung ihrer „Diäten“ an die Parteikasse. „Wir werden auf den politischen Strich geschickt, um anzuschaffen. Andere wollen über die von uns erarbeiteten Gelder bestimmen. Nicht mit mir“, rechtfertigt Dammann seine Reaktion auf eine unliebsame Mehrheitsentscheidung.
iolNach dem Vorfall und der Ablehnung der Aufnahmewilligen griff Roloff zur Schreibmaschine. Im November hämmerte er ein Manifest zusammen, dem „der Vorstand bei Aufnahme neuer Mitglieder angemessen Rechnung tragen“ sollte. Die zehn Punkte umfassende Erklärung versteht sich als Kampfansage an die „organisierten Riegen sogenannter Fundis“, die entweder im letzten Halbjahr alle verstarben oder nie existierten. Letzteres scheint nach umfangreicher Recherche wahrscheinlicher.
Auch ohne Verabschiedung der „realpolitischen Kursbeschreibung“ verschlechterte sich die Atmosphäre im Ortsverband dramatisch. Die verbliebenen vier Gegner von Roloff und Dammann berichten von „eisiger Kälte und Arroganz“, eine Beschreibung, die Roloff auf „eine gewisse Weinerlichkeit in der Szene“ zurückführt. Satzungsfragen entwickelten sich zum einzigen Thema innerhalb der außerparlamentarisch abstinenten Partei. Sie bunkerte sich ein, tagte nichtöffentlich und stattete Roloff und Dammann mit Doppelfunktionen aus.
Die Aufnahmeanträge blieben unbeantwortet oder wurden ohne Begründung, dafür aber mehrfach, abgelehnt. Hilflos zogen zwei Frauen ihr Anliegen zurück. Stattdessen nahmen sich wütende Ehemänner der Sache an und begehrten im Frühjahr die Mitgliedschaft. Wieder mit einer 6:4-Mehrheit abgeschmiert, baten sie verschiedene Parteigremien um Intervention, darunter den Landesvorstand.
Der Landesvorstand
schweigt
Der sitzt bis heute auf seinen Ohren. Obschon seit März von der drohenden juristischen Eskalation informiert und um Schlichtung gebeten, hütete Landesvorstandsmitglied Horst Fritsch sein Wissen. Er ist nicht der einzige, der den Deckel auf dem Pott ließ. Auch die nordrhein-westfälische Mitgliederpostille der Grünen unterschlug das peinliche Thema, das im Kreis Soest die Arbeit der Ökos seit Wochen lähmt. Wenn aber die Landesvorstandssprecherin Tina Morgenschweis diese Woche nach Lippstadt reist, könnte das die Wogen glätten und Parteiaustritte verhindern. Nicht mehr aufzuhalten scheint die Klage, es sei denn, irgendeine grüne Instanz hebt den breiten Hintern und nimmt die Vier auf. Falls nicht, wird ein Lippstädter CDU-Ratsherr als Richter am Landgericht Paderborn darüber entscheiden, wer in Ostwestfalen Mitglied bei den Grünen werden darf und wer nicht.
Bei dem Prozeß dürfte eine Rolle spielen, daß Roloff dem Rechtsanwalt des Klägers, dem lokalen SPD-Fraktionschef, „aus Loyalität gegenüber Ratskollegen“ empfohlen hat, das Mandat niederzulegen. Bei den Klägern handele es sich um „Leute, die nach der Kommunalwahl einer rot-grünen Vereinbarung zur Bürgermeisterwahl entgegentreten würden“, flüsterte der Grüne dem SPD-Mann im Rathaus zu.
Gleichgültig gegenüber dem Ausgang des umstrittenen juristischen Verfahrens zeigt sich die Mehrheit der zwölf Personen, die sich letzte Woche im Wohnzimmer eines Hauses am Westbruch versammelten. Praktischer Politik gilt ihr Hauptinteresse, deshalb gründen sie an diesem Abend eine Arbeitsgemeinschaft, deren Name wahrscheinlich „Grüne Hoffnung“ lauten wird. Anwesende Parteimitglieder freuen sich, „daß sich nicht mehr Einzelne resigniert zurückziehen oder Publikumsmasse für gefällte Entscheidungen darstellen“. Am Ende des Abends kristallisieren sich Themen für die künftige Arbeit heraus: Eingreifen bei der Besetzung der kommunalen Gleichstellungsstelle für Frauen, kulturelle Initiativen, Probleme der drei psychiatrischen Kliniken in der Umgebung.
Die Farbe „Grün“
Selbst die angestrengte und der blauen Bände kundige Beobachterin kann das kleinste Quentchen Revolution erkennen. Niemand stellt die grüne Notwendigkeit parlamentarischer Arbeit in Frage. Sie wollen nur dahin zurück, wo die Grünen einmal angefangen haben - zu einer lebendigen Verbindung von parlamentarischer und außerparlamentarischer Politik.
Daran mag Herr Roloff, der auch den letzten Vermittlungsvorschlag einer Urabstimmung im Ortsverband ablehnt, nicht glauben. Er wähnt die „Gruppe Westbruch“ beim Aufblasen ihres „neuesten Luftballons“: der Unterwanderung von Greenpeace. Zur Wachsamkeit mahnt der Pädagoge den örtlichen, von einem frustrierten Ex-Grünen gegründeten Zusammenschluß: „Es wäre schade für Greenpeace, wenn Leute mit einer derart destruktiven Vorgeschichte das Firmenschild Greenpeace beschmutzen, nachdem sie es nicht geschafft haben, das grüne Firmenschild zu erschleichen.“
Auf die Farbe grün legt der Mann, der längst die fraternisierenden Umgangsformen des „Du“ vertauscht hat mit dem modernen Siezen, großen Wert. Falsch ist die Behauptung, keine Faser an seinem Körper trage die Parteifarbe. Der Pullover ist grün. Giftgrün.
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