Die Kreuzritter im Herzen der Republik

In Hessen hat sich die rechtskonservative Wendepolitik nach etwas mehr als einem Jahr Wallmann-Regierung voll und ganz etabliert: Energiepolitik im Interesse der Atomindustrie, Umweltpolitik nach dem Motto „alles Müll“, die neue Landwirtschaftspolitik als „doppelte Nullösung, Kampf wider die sozialistische Schulpolitik  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Seit dem 5. April 1987 gehen in Hessen, dem „Herzen Deutschlands“ (Volkslied), die Uhren anders. Die schwarzgelben Männer und Frauen im Kabinett des Ministerpräsidenten Walter Wallmann haben das Bundesland Hessen in einjähriger Regierungszeit in einem umfassenden „roll back in black and yellow“ nach ihrem Gusto radikal umgekrempelt: Seit der Wende in Hessen geht es nicht nur der grünen Klientel in den Alternativprojekten und den Frauenprojekten an den Kragen. Die ganze Wucht der liberal -konservativen Gegenbewegung - die beispielsweise in der Schulpolitik längst die Form eines Kreuzzuges angenommen hat - trifft vor allem die von SPD und Grünen in den Jahren 1985/86 auf den Weg gebrachten Reformvorhaben im Bereich der Umwelt- und Landwirtschaftspolitik.

Der Abstieg

des Aufsteigers Weimar

Dabei hat sich der Mann, der mit dem „eisernen Besen“ den angeblich rot-grünen Saustall Hanau vom Skandaldreck befreien wollte, am heftigsten in die politischen Nesseln gesetzt: Aufsteiger Karlheinz Weimar (37), der als Wallmanns „Geheimwaffe“ die Umwelt- und Reaktorpolitik des Bundeslandes vom ideologischen Ballast der Vorgängerregierungen befreien sollte. Getreu dem Wallmannschen Motto, daß nur eine Regierung, die nicht auffällt, eine gute Regierung sei, wollte der smarte Minister mit dem noch rot-grün durchsetzten Beamtenapparat im Nacken den Hanauer Atomsumpf aus den Schlagzeilen bringen. Doch die zaghaften Versuche des Ministers, die atomaren „Dauerbrenner“ aus Hanau zur Ordnung zu rufen, gingen - angesichts der Kongruenz von christdemokratischer Energiepolitik und den Interessen der Atomwirtschaft - voll in die Hose. Die von Weimar verfügte vorübergehende Stillegung der Atomfabrik Nukem „aus Sicherheitsbedenken“ (Weimar) entpuppte sich nach nur drei Wochen als behördlich verordneter Betriebsurlaub, während dem die Maler und Lackierer der Strahlenschleuder einen neuen „dekontaminierenden“ Fußbodenanstrich verpassen durften. Damit waren die Bedenken des Ministers ausgeräumt, und die Skandalfabrik, die selbst von konservativen Experten als Sicherheitsrisiko eingestuft wurde, durfte die Produktion wieder aufnehmen.

Daß auf Weisung von Bundesumweltminister Töpfer die Mutter der Top-Skandalfirma Transnuklear zu Jahresbeginn - wegen Sicherheitsbedenken und wegen der Unzuverlässigkeit ihrer Betreiber - erneut die Pforten schließen mußte (und in neun Monaten endgültig „leergefahren“ sein soll), ist Beleg dafür, daß die von Weimar verfügte „vorübergehende Stillegung“ nur ein medienwirksamer Sommerlochknüller war. Als Minister Weimar dann - ganz im Sinne seines Ministerpräsidenten - der Plutoniumfabrik Alkem die Erhöhung der Plutonium-Umgangsmenge von 460 Kilogramm auf 2.500 Kilogramm im Rahmen einer ersten Teilerrichtungsgenehmigung gestattete, wurde deutlich, daß der „eiserne Besen“ nur ein braver Handfeger war, mit dem die Nuklearindustrie kurz gestreichelt wurde. Und das Lavieren und Taktieren des jungen Ministers während des Transnuklear/Nukem-Skandals zum Jahreswechsel 1987/88 hat den Ruf des Karlheinz Weimar endgültig ruiniert.

Und noch auf einem anderen Felde der Umweltpolitik mußte Minister Weimar seine welk gewordenen Vorschußlorbeeren abgeben: Das „roll back“ in der Abfallpolitik brachte selbst christdemokratische Bürgermeister und Kreistagspolitiker in Harnisch, als der Minister - entgegen den Wahlversprechungen der CDU - ankündigte, im südhessischen Biebesheim einen dritten Giftmüll-Verbrennungsofen bauen zu wollen. Mit dem Ausdruck „tiefsten Bedauerns“ kehrte Weimar zu den Grundsätzen christdemokratischer Müllpolitik zurück, die jahrzehntelang dafür gesorgt haben, daß sich heute allenthalben die Altlasten türmen: vergraben, verbrennen, vergessen.

Der Minister kippte das von Joschka Fischer konzipierte Abfallforschungs- und Entsorgungszentrum im nordhessischen Borken, mit dem der grüne Minister den Wissensvorsprung der chemischen Industrie aufarbeiten und der gebeutelten nordhessischen Region zu neuen Arbeitsplätzen verhelfen wollte, aus dem Regierungsprogramm. Und während Minister Weimar als umweltpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in der Opposition den damaligen Umweltminister Fischer als „Müllkutscher“ bezeichnet hatte, dem sofort der „Führerschein“ entzogen werden müsse, sitzt er als Regierungsmitglied jetzt selbst auf dem Kutschbock und karrt den hessischen Industriemüll in andere Bundesländer, nach Frankreich und insbesondere auf die undichte DDR-Deponie in Schönberg.

Hessenweit läßt Weimar zudem nach Standorten für neue Deponien und Verbrennungsöfen fahnden, und nur ein Gerichtsentscheid hat bislang verhindert, daß der Minister das „Pompeji der Paleonthologen“ - die Fossiliengrube Messel - mit Hausmüll und Verbrennungsschlacke aus diversen südhessischen Landkreisen verfüllen konnte. Alle Versuche der rot-grünen Vorgängerregierung, eine Müllpolitik zu installieren, die auf Abfallreduzierung und -vermeidung ausgerichtet ist, wurden von Weimar schlicht eliminiert.

Die „Kreissäge“ im Grünland

Und weil der Flurschaden, den Minister Weimar dem hessischen Öko-System systematisch zufügt, der CDU/FDP-Landesregierung offensichtlich noch nicht groß genug ist, hat Ministerpräsident Wallmann mit der Ernennung von Frau Reichhardt vom Hofgut Ringelshausen zur Ministerin für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz in Sachen „roll back“ ein weiteres Zeichen gesetzt. Die Ex-Präsidentin des hessischen Bauernverbandes und Besitzerin einer der größten „industriell“ bewirtschafteten Höfe des Bundeslandes geht mit der „Rhetorik einer Kreissäge“ (Chris Boppel/Grüne) nicht eben sensibel über alle rot-grünen Reformansätze in der Landwirtschaftspolitik hinweg. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war zum Beispiel die Streichung des ländlichen Regionalprogrammes VER, ein Förderungsprogramm, das ausschließlich den kleineren landwirtschaftlichen Betrieben zugute kam, die mit Hilfe dieses Programms ihre Produkte direkt vermarkten konnten. Damit wurde den vor zwei Jahren installierten und mittlerweile erfolgreich arbeitenden Projekten der eigenständigen Regionalentwicklung von der Ministerin der finanzielle Boden unter den Füßen weggezogen. Selbst der CDU-regierte Landkreis Fulda protestierte gegen diese Maßnahme, einvernehmlich mit der SPD und etlichen konservativen Bauernverbänden - allerdings vergeblich.

Harsche Kritik handelt sich die Landwirtschaftsministerin auch durch ihre Pro-Haltung zu den EG -Flächenstillegungsprogrammen und zur Vorruhestandsregelung für LandwirtInnen ein. Nicht nur die grüne Landwirtschaftsexpertin Irene Soltwedel befürchtet ein „Bauernsterben größten Ausmaßes„; auch innerhalb der CDU ist die Ministerin inzwischen zur „Buhfrau“ avanciert. Der CDU -Landwirtschaftsexperte Möller bezeichnete seine Parteikollegin und ihren Staatssekretär vor Monatsfrist als „doppelte Nullösung“ (siehe auch taz-Wirtschaftsseite vom 27.5.88).

Raser und Jäger

unter Naturschutz

Doch nicht nur in der Landwirtschaftspolitik fährt die Ministerin mit dem Mähdrescher über die Projekte der Vorgängerregierung. Das grüne Profilierungsfeld Naturschutz wird von der CDU/FDP-Regierung systematisch einbetoniert. So kippte Frau Reichhardt das Ökologiereferat aus ihrem Ministerium, schloß die Bezirksdirektionen für Forsten und Naturschutz von den Entscheidungsfindungen im Sachbereich aus und stärkte mit dem sogenannten Rallye-Erlaß den Motorsportfans wieder den Rücken. Elstern, Krähen und Eichelhäher, die von der rot-grünen Vorgängerregierung unter Schutz gestellt wurden, sollen - nach den Vorstellungen des Wallmann-Kabinetts - wieder zum Abschuß freigegeben werden. Doch bei diesem Gewaltritt wider die Rabenvögel, bei der die anhörungsberechtigten Natur- und Vogelschutzverbände schlicht übergangen worden waren, hatte sich die Ministerin vergaloppiert. Die Ornitologen und Naturschützer klagten erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht gegen die Aufhebung des Schutzerlasses. Doch gegen das Urteil legte die Landesregierung Berufung ein. Der Rechtsstreit um die Rabenvögel ist zur Zeit noch beim Oberverwaltungsgericht in Berlin anhängig.

Einen Bock schoß Frau Reichhardt auch im nordhessischen Reinhardswald. Während SPD und Grüne diesen hessischen Staatsforst ob seiner überaus wertvollen Buchenbestände zum Nationalpark erklären lassen wollten, möchte die CDU -Ministerin den Staatswald als Staatsjagdgebiet erhalten auch wenn das dort ausschließlich zu Abschußzwecken für Diplomatenjagden herangezüchtete Damm- und Rotwild die Baumbestände extrem gefährdet. Doch für dieses Problem hat die Ministerin dem Landtag bereits einen „Lösungsvorschlag“ unterbreitet: Die Buchenbestände im Reinhardswald sollen „eingezäunt“ werden.

Der Polizeiminister

Gottfried Milde

Neue Uniformen für die gebeutelte hessische Polizei? Einheitskleidung für die Feuerwehrmänner und -frauen des Bundeslandes? Schiffchenzwang bei der stahlblauen Ausgehuniform des THW? Kein Problem. Ein Anruf bei Gottfried Milde, seit der Wende Innenminister des Hessenlandes, genügt - und der Kassensesam von Finanzminister Kanther öffnet sich. Der Minister scheint - zuhause in Darmstadt - über eine Armee von Zinnsoldaten zu verfügen, die er regelmäßig mit nach Wiesbaden nimmt, um im strategischen Sandkasten die Chaosbekämpfung üben zu können. Denn die Staatsfeinde lauern überall: im Startbahnwald und im Frankfurter Großstadtsumpf, im Waldstadion und in den Klassenzimmern hessischer Schulen, in denen - nach Auffassung der CDU - bis zur Wende der „Klassenkampf“ getobt haben soll. Mildes Rezept gegen das drohende Chaos: Polizei, Polizei und nochmals Polizei.

Alleine im ersten Halbjahr 1988 schuf Milde 300 neue Stellen für die hessische Polizei. Doch der eifrige Minister hat nicht mit der Dienstunwilligkeit der hessischen Teens und Twens gerechnet, denn ein Großteil der geschaffenen neuen Planstellen in den Polizeirevieren blieb bislang unbesetzt. Deshalb hat Milde - in einem Akt der Verzweiflung - am 15. Juni das Einstellungsalter für Polizeibeamte von bisher 24 auf 28 Jahre angehoben. Nach Angaben des Ministeriums soll mit dieser Maßnahme auch eine „Ausbildung auf Vorrat für die kommenden Jahre“ gesichert werden, denn vom Arbeitsamt erhalte die Landesregierung leider keine fertigen Polizeibeamten. Besonders scharf ist Milde auf ausgemusterte Bundeswehrsoldaten, denn die würden die „richtigen Voraussetzungen für den Polizeidienst“ mitbringen. Ansonsten gibt es für den Minister nichts schöneres als ein Platzkonzert der Uniformierten mit anschließendem Abmarsch in geordneten Fünferreihen - unter dem Beifall der zufriedenen BürgerInnen.

Was dem Minister Milde die Bekämpfung der „Chaoten“, ist Kultusminister Wagner der Kampf um die von der CDU versprochene „Schulfreiheit“ - Wiederherstellung des dreigliederigen Schulsystems -, in dem er seit der Wende mit dem Morgenstern die Gesamtschule (CDU-Jargon: „Einheitsschule“) zerschlägt. Der Kreuzzug, den die CDU mit halbherziger Unterstützung ihres Koalitionspartners gegen die „sozialistische“ Schulpolitik der SPD -Vorgängerregierungen reitet, hat Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen des Landes in ein nicht enden wollendes Diskussionschaos gestürzt. Die Wendepolitiker in Wiesbaden haben sich die „Elitezüchtung“ auf die Fahnen geschrieben und sind dabei, das Lernziel „soziales Verhalten“ zu eliminieren. Aber es ist nicht nur die zwangsweise Wiedereinführung von Gymnasium, Realschule und Hauptschule, die hessenweit für Empörung auf dem Bildungssektor sorgt: Mit der Annullierung von pädagogischen Modellprojekten - wie etwa der gemeinsamen Unterrichtung von behinderten und nicht -behinderten Kindern - hat diese Landesregierung klar zu erkennen gegeben, daß sie all denjenigen Bildungseinrichtungen und -normen den Garaus bereiten will, die auch unterprivilegierte Schülergruppen von Benachteiligungen ausschließen wollten.

Mit dem sogenannten „Grundschulurteil“ wollen die Konservativen die Hauptschulen wieder füllen. Doch ein Großteil der hessischen LehrerInnen widersetzt sich noch immer der angeordneten Frühauslese durch Lehrerhand, denn die Pädagogen sollten - nach dem Willen von Wagner - nach vier Grundschuljahren die Kinderschar in die drei angebotenen Schultypen selektieren. Für den bildungspolitischen Sprecher der Grünen im hessischen Landtag, Fritz Hertle, ist die Schulpolitik der konservativ -liberalen Landesregierung denn auch „am scheitern“: „Inhalt und Organisationsform dieser Schulpolitik passen nicht in eine demokratische Gesellschaft und lassen sich einer über 40 Jahre gewachsenen Reformstruktur des hessischen Bildungswesens nicht verordnen.“

Doch trotz des von Hertle prognostizierten Scheiterns der konservativen „Bildungsreform“ hat das einst für seine Liberalität berühmte Hessenland unter den Händen der Wallmänner, Weimars, Mildes und Wagners in nur einem Jahr eine andere Gestalt angenommen. Die selbsternannten „liberalen Gewissen“ dieser Landesregierung - die FDP -Minister Schmidt (Wirtschaft) und Gerhardt (Wissenschaft und Kunst) - haben sich noch nicht einmal als „Bremser“ der rechtskonservativen Wende profilieren können, denn die Herren von der FDP sind politisch einfach nicht präsent. In der Oppositionspartei SPD leckt man sich noch immer die Wunden, die den Genossen im April '85 beim Hessenwahldebakel geschlagen wurden. Hinzu kamen die internen Machtkämpfe, die vor Monaten in der Ablösung von Hans Krollmann vom Amt des Fraktionsvorsitzenden gipfelten und die die Sozialdemokraten politisch nahezu bewegungsunfähig gemacht haben. Und die neun VertreterInnen der Grünen im hessischen Landtag, die sich noch zu Wendebeginn mutig den konservativen Kreuzrittern entgegengeworfen haben, zeigen - nicht zuletzt wegen der Schlammschlachten der Grünen in Bonn - erste Anzeichen von Resignation. Quo vadis Hessen?