piwik no script img

NUCLEAR CULTURE

■ Die Bombe - Fotografien aus der amerikanischen Atomindustrie

Nuclear age - Atomzeitalter: dies Wort ist auch in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen. Nuclear Culture Atomkultur - klingt noch ungewohnt. Der amerikanische Fotograf Robert Del Tredici will mit seinen Bildern aus der amerikanischen Atomindustrie vermitteln, wie diese Industrie die heutige Kultur schon erschüttert und die Gesellschaft verändert, auch ohne Zündung der Waffen. Del Tredici ist Mitglied der 1986 gegründeten Atomic Photographers Guild, die das Gesicht des Atomzeitalters kenntlich machen wollen. Ihr gehören japanische und amerikanische Fotografen an und der deutsche Fotograf Günter Zint.

Sechs Jahre arbeitete Del Tredici an seinem Buch „At work in the Fields of the Bomb„; seine Fotografien zeigt die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst jetzt zum ersten Mal auf dem europäischen Kontinent. Unsichtbar sind nicht nur die radioaktiven Strahlen - unsichtbar scheint auch die Herstellung der Atomwaffen zu verlaufen. Sie ist getarnt mit Alltäglichkeit und Normalität. Auf den ersten Blick sind Del Tredicis Fotos enttäuschend unspektakulär: eine Werkanlage für atomare Sprengköpfe sieht nicht viel anders aus als eine andere Industrieanlage. Del Tredici erfuhr, daß über die Vereinigten Staaten 13 Anlagen verstreut sind, die Einzelteile der Sprengköpfe herstellen, und daß nur in einer einzigen Fabrik in Texas die Endmontage stattfindet. Diese Zerteilung des Arbeitsprozesses folgt einem psychologischen Kalkül: sie vereinfacht, sich nicht mit dem Endziel des Jobs auseinanderzusetzen.

In jeder der Fabriken gab es Public Relation Personal, über das Del Tredici an die Schauplätze gelangte. Das Wort 'Bombe‘ taucht in ihrem Sprachgebrauch nicht auf: sie reden statt dessen von Technologie. Sie ließen sich mit den Symbolen ihres Berufes ablichten: der eine PR-Offizier mit dem Evakuierungsplan in der Hand, der andere vor der Nachbildung der Bombe „Little Boy“, die Hiroshima zerstörte. Die Nachbildung steht im Garten des Werks wie ein Denkmal des Machbaren.

Indem Del Tredici die erschreckend reibungslos funktionierende Welt der Atomwaffen-Industrie darstellt, zerstört er ein Stück weit die Aura des Geheimnisses, die mit das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber der atomaren Energie begründet. Um welchen Preis der inneren Zensur und Verdrängung die Mechanismen der Normalität von den Arbeitenden erkauft werden, bleibt den Gedanken des Betrachters überlassen. Del Tredici porträtiert die Witwe eines an einem Gehirntumor gestorbenen Arbeiters, an Krebs erkrankte ehemalige Arbeiter, die um die Anerkennung ihrer Krankheit als Folge der Arbeit kämpfen, und Veteranen der Atomversuche: die Sensibilisierung für die zerstörerische Wirkung der atomaren Energie setzt nicht bei den Bomben an, sondern bei der ungewissen Gefährdung am Arbeitsplatz.

Ein Zufall läßt in einem Bild ein kleines Sandkörnchen im gutgeölten Betrieb erkennen, das die Störanfälligkeit der Nuclear Culture demonstriert. Del Tredici hat aus der Luft die Taufe eines atomgetriebenen Trident-U-Boots mit Rakenten fotografiert. Winzig taucht in einer Ecke des Bildes ein einzelner Kanufahrer auf, auf den drei Patrouillenboote der Hafenpolizei zuschießen, um ihn zu verhaften.

Die beängstigende Tarnung der Gefährdung im Unscheinbaren prägt das Bild einer riesigen Abraumhalde aus grauem radioaktivem Sand, der sich ohne Kennzeichnung oder Absperrung am Ufer des Flusses Serpent türmt. Ödnis und Verwüstung werden augenfällig. Solche metaphorisch an die Emotionen rührenden Bilder hat Del Tredici nur sehr sparsam ausgewählt.

In zwei Großaufnahmen konzentrieren sich die beiden Pole der Ausstellung: das eine Mal hält eine Hand die Glaskugel, deren Größe die Menge des Plutoniums aus der Atombombe, die über Nagasaki gezündet wurde, symbolisiert. Auf den beiden geöffneten Handflächen des anderen Bildes liegen kleine, gefaltete Papierkraniche. Sie sind in Japan zum Symbol des Protestes gegen Atomwaffen geworden durch die Legende des Mädchens Sadako. Sie erkrankte mit zwölf Jahren an Leukämie und versuchte sich im wörtlichen Glauben an ein japanisches Sprichwort gegen ihr Sterben zu wehren, indem sie die Papiervögel faltete.

Katrin Bettina Müller

Die Bombe - Fotografien aus der amerikanischen Atomindustrie von Robert Del Tredici. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Tempelhofer Ufer 22, bis 22. Juli, Mo-Fr 10-17, So 13 -17 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen