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Roßkur für Nicaraguas Wirtschaft

Neues Wirtschaftsprogramm zur Inflationsbekämpfung / Bittere Pille soll vor den Wahlen von 1990 wirken  ■  Von Ralf Leonhard

Die Wirtschaftspolitik Nicaraguas ist an Zickzackbewegungen wahrlich nicht arm. Auf den ersten Blick stellt sich das letzte Woche beschlossene Wirtschaftspaket auch wieder als Kehrtwendung dar: Wurde im Februar die starre Lohnskala wieder durchgesetzt und der Wechselkurs vereinheitlicht, so dürfen jetzt in manchen Betrieben wieder Aufschläge und Anreize ausgezahlt werden, und in der Wechselstube darf der Dollar wieder floaten. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die scheinbare Wende jedoch als eine radikale Roßkur für ein Land vor dem wirtschaftlichen Bankrott.

Vorläufer des Wirtschaftsprogramms war die am 14. Februar verordnete Währungsreform. Mit der Einführung der neuen Währung und der gleichzeitigen Geldentwertung um 3.000 % wurden die Gehälter um 300 bis 500 % angehoben und neue verbindliche Preise für die Grundnahrungsmittel festgesetzt. Die Preisstabilisierung wäre aber nur dann effektiv gewesen, wenn es der Regierung gelungen wäre, ausreichende Bestände der wichtigsten Grundbedarfsgüter anzulegen, um - zumindest kurzfristig - das Angebot zu stabilisieren. Die Preise der weiterhin knappen Güter schossen bald wieder in die Höhe.

Von den kurzfristigen Zielen des Februarpakets - Inflation drosseln, Geldumlauf reduzieren und die Cordobas in den Händen der Contras entwerten - konnten also nur die letzten beiden erreicht werden. Die zirkulierende Geldmenge wurde um rund 20 % vermindert: acht Prozent sind als Bankeinlagen für zwei Jahre eingefroren und 11,4 % wurden nicht in neue Cordobas umgetauscht.

Inwieweit das strategische Ziel - nämlich die wirtschaftliche Neuordnung - erfüllt werden kann, bleibt dahingestellt. In jedem Fall war das Maßnahmenpaket unumgänglich. Denn der Regierung waren die traditionellen wirtschaftlichen Steuerungsmittel entglitten. Solange der Krieg mit seinen täglichen Zerstörungen von Menschenleben und Sachwerten andauert, gibt es auch keine Aussichten, die Kontrolle auf „sanftem“ Weg wieder zu gewinnen. Mittelfristig geht es um Stimulierung der Exportproduktion und Umleitung der Arbeitskräfte aus dem informellen Sektor in die Produktion. Lediglich der Zeitpunkt für die Verabreichung der bitteren Pille soll unter den Verantwortlichen zur Diskussion gestanden haben. Schließlich gab der Termin für die nächsten Parlamentswahlen, nämlich 1990, den Ausschlag. Bis dahin soll der Schock verdaut sein und bereits positive Auswirkungen zeitigen.

Was bringt das Junipaket an Neuerungen?

-Die einheitliche Lohnskala wurde als zu starr erkannt. Rentable Betriebe sollen ihre Überschüsse an die Arbeiter ausschütten dürfen, sei es als allgemeinen Lohnaufschlag, Anreize oder soziale Verbesserungen - etwa Einrichtung einer Kinderkrippe. Beschäftigte in unrentablen und subventionierten Betrieben oder Staatsangestellte schauen in die Röhre. Regelmäßige Lohnanpassungen sind nicht vorgesehen.

-Der offizielle Wechelskurs (bisher 13:1) wird mit 80 Cordobas für einen Dollar festgesetzt und soll regelmäßig angepaßt werden. In der Wechselstube herrscht wieder das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Dort werden die begehrten grünen Scheine derzeit um 130 Cordobas ange- und um 137 verkauft.

-Das führt dazu, daß erst einmal alles teurer wird und sich die Preise nicht an der Kaufkraft der Nicaraguaner, sondern am internationalen Niveau orientieren. Ausgenommen sind nur Milch und die vier Produkte - Zucker, Öl, Reis, Seife -, die über Rationierungskarte bezogen werden.

-Vielleicht noch einschneidender für die Produktion ist die Kehrtwendung in der Kreditpolitik. Hatten die verstaatlichten Banken bisher dank der Inflation von ihren Krediten real nur fünf Prozent zurückbekommen, so wird jetzt zusätzlich zu den Zinsen ein Inflationszins berechnet. Die Bauern sollen in Zukunft weniger leichtsinnig mit dem Geld umgehen.

-Die staatlichen Subventionen werden drastisch eingeschränkt, nämlich auf das Bildungs- und Gesundheitswesen, Medikamente und Babynahrung, Kriegsversehrtenfürsorge, ländliche Entwicklungsprogramme und den öffentlichen Transport.

Die Wiedereinführung des Parallelkurses schafft vor allem für Entwicklungshilfeorganisationen und Solidaritätsgruppen Erleichterung, die nach der Währungsreform nur mehr einen Bruchteil des Veranschlagten finanzieren konnten. Diejenigen, die nicht auf dem Schwarzmarkt tauschen wollten, mußten alles Material aus dem Ausland kommen lassen oder über umständliche Umweggeschäfte zu einem realistischen Kurs für ihre Spendengelder kommen.

Präsident Ortega hat große Probleme, den Arbeitern den Unterschied dieses Maßnahmenpakets zu den traditionellen IWF -Rezepten klarzumachen. Die Architekten der neuen Wirtschaftspolitik, die vor allem in der Zentralbank zu suchen sind, versprechen sich von der billigen Arbeitskraft und den freien Preisen wichtige Produktionsanreize. Nach dem ersten Schock soll durch die verknappte Nachfrage auch die Inflation zurückgehen. Es wäre das erste Mal, daß in Nicaragua ein neues Wirtschaftskonzept aufgeht. Kurzfristig, so prognostiziert ein regierungsunabhängiger Wirtschaftsexperte, wird weder die Inflation gestoppt noch die Produktion erhöht werden. Und die einseitige Verteilung der Last auf die Arbeitnehmer könnte zu neuen Streikbewegungen führen. Landwirtschaftliche Genossenschaften, denen die Kredite bisher buchstäblich nachgeschmissen wurden, werden zunächst davon abgeschreckt, zur Bank zu gehen. Auch Klein- und Mittelbauern, die einen Großteil der Mais- und Bohnenproduktion liefern, werden nicht gerade zum verstärkten Anbau stimuliert. Zwar kann ihnen keiner mehr den Preis vorschreiben, aber gleichzeitig müssen sie Dünger und Pflanzenschutzmittel teurer einkaufen.

Ohne verbindlichen Waffenstillstand kann die Regierung sowieso nur weiterwursteln. Aber obwohl der Dialog mit der Contra gescheitert ist, lassen die Sandinisten vorsichtigen Optimismus erkennen: Auch dem Verteidigungsministerium wurde die Devisenzuteilung um 30 % zusammengestrichen.

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