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Giftgas nötigt zur Sitzblockade

■ Sitzdemonstrationen vor dem Giftgaslager im pfälzischen Fischbach

Die Friedensbewegung nimmt wieder Anlauf. Ab Montag wird das US-Giftgaslager Fischbach eine Woche lang blockiert. Die rund 1.300 UnterzeichnerInnen des Aufrufs widersetzen sich dem Anti-Blockade-Urteil des Bundesgerichtshofes vom Mai. Kontakte ab Sonntag: (06393)5137

Für die 500 geladenen Gäste des Bürgerempfangs im Kreistagssaal in Pirmasens hatte Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) eine flotte Beruhigungsformel parat. „Das Gerücht vom Giftgaslager stammt von Radio Moskau.“ Nach dem Studium aller ihm zugänglicher Quellen war er zu der „Erkenntnis“ gekommen, daß dem „Gerücht“, im US-Militärdepot Fischbach lagere Nervengas, „jeder Wahrheitgehalt“ fehle. Derartiges hatten die ARD-Tagesthemen ein paar Tage zuvor, am 26.November 1981, behauptet. „Wir können niemanden gebrauchen, der anderen Leuten Angst macht“, schimpfte Landesvater Vogel und beschwerte sich damals prompt beim Intendanten des Norddeutschen Rundfunks, der sich öffentlich -rechtlich-devot für den ARD-Beitrag entschuldigte.

Aus dem Gerücht über die Lagerung chemischer Waffen in der Westpfalz ist längst Gewißheit geworden. Selbst Ministerpräsident Bernhard Vogel wünscht mittlerweile die C -Waffen weg aus Rheinland-Pfalz. Und nicht mehr Radio Moskau sorgt für Angst unter der Bevölkerung, sondern die Amerikaner mit ihren Giftgaskampfstoffen, die allein in Fischbach auf einige 100 Tonnen geschätzt werden - genug um die gesamte Menschheit ohne größere Probleme auszurotten. Nach Angaben des Bundesverbandes gegen Giftgas e.V. gibt es in der Bundesrepublik rund 40 Nervengaslager der USA, die bekanntesten liegen bei Mannheim im Viernheimer Wald und in der Nähe von Hanau. Der damalige rheinland-pfälzische DGB -Landesbezirksvorsitzende, Julius Lehlbach, sagte schon 1982 in einem Gespräch mit der taz: „Ich frage mich immer, zu was die Nürnberger Prozesse überhaupt gut waren, wie sinnvoll sie waren wenn wir heute schon wieder hier Massenvernichtungsmittel bereitstellen“ (taz vom 6.8.'82). Lehlbach warf den Amerikanern vor, „uns als Gladiatorentruppe“ zu behandeln, die „bereit sein muß zu sterben im Falle eines Atom- oder Giftgaskrieges, damit Amerika überleben kann.“

Zwar verbietet das nach wie vor gültige Genfer Giftgasprotokoll von 1925 (dem auch das Deutsche Reich 1929 ohne Vorbehalt beitrat) den Einsatz chemischer Waffen im Krieg, doch haben viele Regierungen damals erklärt, daß ihre Bindung an das Genfer Protokoll gegenüber jedem Gegner dann ende, wenn sie selbst von diesem mit Giftgas angegriffen würden.

Mit einer fünftägigen Blockade in Fischbach will sich in der nächsten Woche endlich die bundesdeutsche Friedensbewegung des Themas annehmen. Motto der Aktion: „Für eine vollständige Beseitigung aller chemischen Waffen!“

Die Zeit drängt. Denn Ende letzten Jahres starteten die Amerikaner die Produktion von 1,2 Mio. binären Artillerie -Granaten. Hinzu kommen noch einmal 44.000 binäre Sprühbomben. Sie sollen später die alte Generation der Nervengasgranaten in der Bundesrepublik ersetzen - für den „Eventualfall“.

Binäre, also zweiteilige chemische Waffen haben für die Militärs gleich mehrere Vorteile. Während bei den herkömmlichen C-Waffen die Kampfstoffe fix und fertig in der Munition abgefüllt sind, entsteht bei den binären Waffen der Giftstoff erst, während die Granate oder Bombe sich auf das Ziel zubewegt, und zwar aus einer chemischen Reaktion von zwei Stoffen, die jede für sich nicht oder nur wenig giftig sind. Ihre Lagerung ist deshalb weniger problematisch als die der alten C-Waffen. Diese Ein-Komponenten-Munition ist zum Teil schon regelrecht verrottet. So droht bei jedem Leck schon heute eine größere Katastrophe. Der wichtigste Vorteil der binären C-Waffen ist allerdings ein anderer: Eine internationale Kontrolle der Produktion ist nahezu unmöglich.

Auch die Sowjets besitzen Unmengen der in der Produktion äußerst preiswerten chemischen Waffen, deren brutale Greuel derzeit Iraker und Iraner der Weltöffentlichkeit vorführen.

Innerhalb von nur zwei Wochen fanden sich mehr als 1.300 Personen bereit, zur Blockade des Fischbacher Giftgas-Depots aufzurufen. Und dies, so sagt Klaus Vack, einer der Organisatoren, nicht etwa trotz, sondern gerade wegen des jüngsten Urteils des Bundesgerichtshofes, wonach Blockaden grundsätzlich strafbar seien. Klaus Vack zur taz: „Da war eine spontane Reaktion in Form einer konkreten Aktion notwendig.“ Man wolle damit auch wieder „in die Offensive gehen“, denn bedingt durch die zahlreichen Blockade-Prozesse sei die Friedensbewegung in eine defensive, abwartende Haltung geraten. Alle UnterzeichnerInnen des Aufrufs haben dabei ganz bewußt sowohl in eigener Person als auch am angegebenen Wohnort presserechtlich verantwortlich gezeichnet.

Da in der Bundesrepublik inzwischen auch der Aufruf zu Blockaden von militärischen Einrichtungen kriminalisiert wird, könnte das bedeuten, daß die meisten Amtsgerichte, zumindest aber alle Landgerichte und alle Oberlandesgerichte, sich in den nächsten Jahren zu diesen „Nötigungs„fällen äußern müssen.

Unter dem Aufruf stehen auch die Namen von rund 110 Rechtsanwälten, Staatsanwälten und Richtern, darunter auch der ehemalige Vize-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Martin Hirsch. Der Sprecher des rheinland-pfälzischen Innenministeriums, Jo Dietzen, kommentierte dies mit den Worten: „Auch in richterlichen Kreisen ist niemand gegen Fehler und Dummheit gefeit“.

In Fischbach und Ludwigswinkel sieht die Bevölkerung das anscheinend anders. Zahlreiche Privatleute haben Wohnungen und Zelte für die Blockierer und Wiesen für die Friedensbewegten zur Verfügung gestellt.

Felix Kurz

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