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Dezente Erpressung mit dem Bundesrat

Steuerreformgesetz im Finanzausschuß des Bundesrats gestern durchgefallen / Stimmenthaltung Niedersachsens / Albrecht will Strukturhilfe erzwingen  ■  Von Georgia Tornow

Berlin (taz) - Das Tauziehen um die Steuerreform ist immer noch nicht zu Ende. Das am Donnerstag abend im Bundestag verabschiedete Steuerreform-Gesetz ist am Freitag im Finanzausschuß des Bundesrates durchgefallen, weil sich die niedersächsische CDU/FDP-Landesregierung der Stimme enthielt. Diesen Schuß vor den Bug hat sich die Bundesregierung eingehandelt, weil sie bisher noch keine befriedigende Regelung für eine gezielte Bundeshilfe für strukturschwache Länder und die Entlastung der Kommunen von den Sozialhilfekosten vorgelegt hat.

Ministerpräsident Albrecht nutzt damit die für die Regierungskoalition knappen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, um bei Kanzler und Finanzminister die Entscheidungsfreude zu steigern. Bisher hatte Albrecht immer bestritten, daß er seine Zustimmung zur Steuerreform von Art und Umfang der Bonner Finanzspritze an acht strukturschwache Bundesländer abhängig machen würde. Auch am Freitag erklärte er vor Journalisten, die Abstimmung im Finanzausschuß sei keine Vorentscheidung für das Verhalten Niedersachsens bei der Schlußabstimmung im Bundesrat. Darüber würde erst entschieden, „wenn alle Daten auf dem Tisch“ lägen. Er sei weiterhin gewillt, für die ärmeren Länder im Norden und Westen zusätzliche Mittel in der ursprünglich verlangten Größenordnung von rund vier Milliarden Mark zu erreichen.

Schützenhilfe erhielt Albrecht durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Städtetages, den Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel. Nachdem die Aussicht auf Einnahmeausfälle durch die Steuerreform in Höhe von 6,5 Milliarden Mark bei Städten und Gemeinden „Furcht und Schrecken“ ausgelöst hätten, sieht er als Korrekturinstanz nur noch „gewisse Möglichkeiten im Bundesrat“. Er forderte, die Steuerreform 1990 solle verschoben werden, damit neue Alternativen in Absprache mit den Kommunen gefunden werden und nicht „nachts um zwölf“ im Bonner Kabinett.

Wie der taz vom Fraktionsvorsitzenden der FDP im niedersächsischen Landtag, Martin Fortsetzung Seite 2

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Hildebrandt, bestätigt wurde, hat Ministerpräsident Albrecht bereits in der letzten Woche in Bonn ein Konzept zur Unterstützung finanzschwacher Länder vorgelegt. Das Konzept soll sich an die Überlegungen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Späth anlehnen und die Bildung eines Strukturfonds vorschlagen, in den der Bund auf eine Dauer von zehn Jahren drei Milliarden Mark jährlich einbringt.

Diese Mittel sollen außer Baden-Württemberg, Hessen und Bayern den strukturschwachen Bundesländern zur freien Verfügung stehen. Für Niedersachsen ist eine Summe von 700 Millionen Mark, für Nordrhein-Westfalen das Doppelte im Gespräch. In der CDU sollen diese Vorstellungen bereits weitgehend akzeptiert sein. Pikanterweise stellt sich Bayern, das seinem Ministerpräsidenten die Subvention seines Hobbies und der Union eine Austrittswelle von Mitgliedern beschert hat, quer. Nachdrücklich wies Kanzleramtsminister Schäuble die Frage zurück, wieviel der Bundesregierung die Zustimmung von Niedersachsen finanziell wert sei: „Ich bin nicht der Chef einer Mafia-Bande. Wir kaufen nicht Stimmen oder ähnliches.“

Albrechts dezente Erpressung ist in Bonn sofort verstanden worden. In Koalitionskreisen ging man am Freitag davon aus, daß in der nächsten Woche in der Unionsspitze „unter dem Zwang der Einigung“ bei den Strukturhilfen für die finanzschwachen Länder Fortschritte erzielt und damit die Verabschiedung der Steuerreform gesichert werden könnte.

Das Treffen einer Elefantenrunde wird sowieso notwendig, weil auch diskutiert werden soll, ob über die bisherigen Pläne hinaus die Verbrauchssteuern noch weiter angehoben werden müssen.

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