: Das filmende Klassenzimmer
■ Eine Studie zum jüngsten deutschen Film
Hannover. Eine Schule fliegt in die Luft. Gott strandet tot am Themse-Ufer. Der 17jährige „Chauvi ersten Ranges“ mutiert unter der Regie der Außerirdischen zum Mädchen: Szenen aus Schülerfilmen. Spätestens seit 1981, seit dem „1.Bundesweiten Schülerfilm-Festival“, stoßen diese Arbeiten auf verstärkte Beachtung in der Öffentlichkeit: die „Low -Budget„-Produktionen der zehn- bis 20jährigen, die im heimischen Party-Keller, in Mutters guter Stube oder mit Genehmigung der Lehrer - aber auch unbemerkt von diesen - im Klassenzimmer entstehen.
Zwei Jahre nahmen sich nun die Veranstalter des europaweit einmaligen Wettbewerbs für junge Filmemacher Zeit, diese Schülerszene zu untersuchen. Finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft erstellte das „Bundesweite Schüler-Film- und Video-Zentrum“ in Hannover eine „Studie zum jüngsten deutschen Film“. 350 Filmemacher standen hierzu Rede und Antwort. 140 in Hannover archivierte Filme lieferten weiteres Material. Die Ergebnisse klingen recht interessant.
„Ich mache weiter. Ich werde voraussichtlich nicht mehr filmen, wenn ich tot bin“, entwirft ein 22jähriger klare Perspektiven. Mit wilder Besessenheit folgen die ambitionierten Jungfilmer ihren Vorbildern Kubrik, Hitchcock, Spielberg und Tarkowskij. Kein Thema ist tabu: als Single, in Schul-AG's oder in außerschulischen Grüppchen surrt die Super-8- oder Video-Kamera zu den Themen Aids, erste Liebe, Beziehungsprobleme bis hin zu Leukämie und Science-Fiction.
„Nichts klappte. Unser Hauptdarstellter war nicht erschienen. Der Tonmann hatte sein Mikro vergessen. Und als der Ersatzmann trotz unzähliger Proben bei der Aufnahme schließlich die echte Glastür eintrat, schrieen wir uns alle an“, O-Ton Schülerfilmer.
Wie miserabel die Bedingungen auch sind, unter denen die Schüler ihre Zwei-Minuten- bis Zwei-Stunden-Werke für 25 bis 5.000 Mark erstellen: An Spontanität und Ideenreichtum vermag keiner die „Kids“ zu schlagen.
So stürmte beispielsweise „Super8“ gegen seine Widersacher Lord Fasel und Professor Tobig im Kampf um den einmaligen „Gurkomaten“, der riesige Salatgurken auf die Erde schleudern kann, weitaus witziger und lebendiger über die Leinwand als sein großes Hollywood-Vorbild „Superman“.
Das gehört zu ihren Spezialitäten: mit Wonne parodieren die Schüler Science-Fiction, Western oder Krimis aus der amerikanischen Film-Metropole, ihrem eigentlichen Vorbild.
Doch Nachgemachtes allein macht den Schülerfilm nicht aus. Auf Super-8 aufgenommene Trick- oder Experimental-Filme gehören genauso zum Repertoire der Laien-Künstler wie Dokumentar- oder Spielfilme, festgehalten auf Super-8 und Video.
„Der 'statistische Schülerfilmer‘ ist männlich, zwischen 17 und 18 Jahre alt, geht auf ein Gymnasium in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg, macht eher Filme als Videos, von denen er bereits mehr als 15 produziert hat“, fanden die Mitarbeiter des „Bundesweiten Schüler-Film und Video-Zentrums“ in Hannover heraus. Was natürlich genauso falsch wie richtig ist.
Denn statistisches Mittelmaß findet sich in der Schülerfilmszene kaum. So orientieren sich die Newcomer sehr wohl an gängigen Genres/Formen der etablierten Kino- und Fernseh-Profis. Doch wenn bei ihnen Schüsse, Schocks und Ketchup regieren, dann gleich magazinweise, tonnenweise, dann werden gleich ganze Hospitäler gefüllt.
Nach diesem „Wahnsinn der Gewalt, bei dem der Ketchup literweise von der Leinwand tropfte“, wie nicht gerade zartbesaitet Kritiker nach dem „3.Bundesweiten Schülerfilm -Festival“ 1985 konstatierten, gaben sich die Jungfilmer, getreu ihren Stars, der Innerlichkeit hin.
In dieser Fülle von statistischen Werten, soziologischen Analysen und filmtheoretischen Ausblicken der immer noch als Privatinitiative arbeitenden Film- und Video-Einrichtung in Hannover zeichnet sich eine aktuelle Tendenz ab. „Ich versuche z.Zt. meine Idee von der Schöpfungsgeschichte mit Hilfe eines selbstkomponierten Musikstückes und animierten Sequenzen aus dem Computer audiovisuell als Video umzusetzen“, schreibt ein 20jähriger Gymnasiast stellvertretend für viele Jugendliche, die die kreativen Einsatzmöglichkeiten des Computers auszuprobieren begonnen haben.
Franz Fender
Die Studie ist zu erhalten über: Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Heinemannstraße2, 5300 Bonn2; kostenlos.
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