Für eine praktische Intervention

■ Der Reader zum Internationalen Vietnam-Kongreß 1968 in West-Berlin ist neu aufgelegt / Kein Nostalgiebuch

„Die Kampagne 'Zerschlagt die NATO‘ enthält zwei politische Zielsetzungen: die innerkapitalistischen Widersprüche zu einer qualitativen Verbreiterung der Massenbasis, zur Bildung einer zweiten Front gegen den Imperialismus in den Metropolen auszubilden; zweitens den Versuch einer praktischen internationalen Koordination der sozialistischen Protestbewegungen Westeuropas durch die gemeinsame Aktion zu erreichen.“ - Nicht nur Hans-Jürgen Krahl sah die Zeichen auf dem Internationalen Vietnam-Kongreß im Februar 1968 in West-Berlin auf Aktion stehen. Rudi Dutschke propagierte die „Revolutionierung der Revolutionäre“ für die „prozessuale Umwälzung der Zentren des Imperialismus“, und Bahman Nirumand agitierte gegen „die pseudorevolutionäre Praxis der stimmungsvollen Kongresse und Aufrufe“ und mahnte ungeduldig: „Erinnern wir uns, daß die Waffe der Kritik die Kritik der Waffen nicht ersetzen kann.“

„Die Oppositionsbewegung steht vor dem Übergang vom Protest zum politischen Widerstand“, hielt die Schlußerklärung der Vietnam-Konferenz, an der 5.000 linke InternationalistInnen teilgenommen hatten, fest. Die damals gehaltenen Beiträge, die engagiert geführte Strategie-Diskussion über den denkbaren und wünschenswerten Beitrag der metropolitanen Linken zum Befreiungskampf in der Peripherie können im jetzt erschienenen Reprint des Kongreß-Readers nachgelesen werden: Die Lektüre gibt einerseits mehr und ehrlicher Auskunft über die Verfaßtheit und die Hoffnungen, aber auch die gravierende Fehleinschätzung der eigenen Kräfte der radikalen Linken 1968 als viele der pünktlich zum 20jährigen Jubiläum erschienenen Artikel und Schriften, die oft nur den eigenen Weg ins Establishment rechtfertigen sollen.

Andererseits lohnt sie auch, weil die Beiträge weit mehr als ein Dokument längst vergangener Zeiten sind: Ohne internationalistische Perspektive, darauf wird in den Reden immer wieder verwiesen, kann eine linke Oppositionspolitik nur im Reformismus erstarren. Sich damit erneut auseinanderzusetzen, bereits erreichte theoretische Positionen wiederzuerlangen, erscheint angesichts der vergleichsweise geringen Verankerung der Internationalismus -Arbeit in der weitverzweigten westdeutschen Linken insgesamt und des Abschieds etlicher Ex-Linker vom Konzept des Befreiungskampfes überhaupt notwendig.

Es ist auch kein Zufall, daß ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg vom militanten Sponti zum ministrablen Grünen für Joschka Fischer sein Abschied vom Antiimperialismus („Ja, ja, der Antiimperialimus, der gute alte....“ in „Durchs wilde Kurdistan“, Februar 1979) war.

In einem Nachwort skizziert Theo Bruns die politische Entwicklung, in deren Zusammenhang der Vietnam-Kongreß zu sehen ist: vom humanitär begründeten Engagement mit der Forderung nach „Frieden in Vietnam“ zum Eintreten für die Befreiung vom Imperialismus - „Für den Sieg des Vietcong“. Bruns weist aber auch auf die Grenzen der damaligen Strategie hin: die Vermittlung zwischen dem Befreiungskampf in den drei Kontinenten und dem sozialrevolutionären Widerstand in den Metropolen wurde zwar gefordert und als notwendig erkannt, konnte aber nicht entwickelt werden. Die Situation in den Metropolen wurde falsch analysiert, die Integrationskraft des Kapitalismus unter-, die Bedeutung der Intellektuellen für die Kämpfe überschätzt. „Die Ansätze internationalistischer Politik sind in den letzten Jahren konkreter geworden, reicher an Widerstandserfahrungen, zum Teil aber auch verhaltener in ihrem Pathos und klarer im Bewußtsein des Fehlens einer kohärenten politischen Strategie“, zieht Bruns die Linie ins Heute.

Im Jahr der IWF-Tagung in West-Berlin ist der Reader zum „Internationalen Vietnam-Kongreß“ eines der wichtigeren Bücher.

oto

Internationaler Vietnam-Kongreß, Verlag Libertäre Assoziation, 171 Seiten, 16.80 Mark