: DAS GESTERN VERBOTENE IST HEUTE NICHT NEU
■ Ein Gespräch mit den sowjetischen Bühnenbildnern Sergej Barchin, David Borowksi und Georgi Meschisvili
Im Rahmen der E 88 „Theaterwerkstatt-Geschehnisräume“ hat der Neuköllner Kulturverein die „Galerie im Körnerpark“ für drei Wochen drei sowjetischen Bühnenbildnern zur Verfügung gestellt. Aus Material, das in Berliner Theatern und Theaterbedarfsgeschäften zu finden war, haben Sergej Barchin (geb. 1938 in Moskau), David Borowski (geb. 1934 in Odessa) und Georgi Meschisvili (geb. 1941 in Tiflis) jeder auf seine Weise einen inszenierten Raum zusammengestellt.
Borowski und Meschisvili haben schwerpunktmäßig als feste Ausstatter an einigen wenigen Theatern gearbeitet; beide waren auch jahrelang Chefbühnenbildner (Borowski am Stanislawski-Theater, Meschisvili am Rustaweli-Theater, beide Moskau). Sergej Barchin war bis 1965 drei Jahre lang Architekt und arbeitet seit 1967 als freier Bühnenbildner.
Zu Beginn des Interviews in der Galerie am Körnerpark schwärmen die drei von Peter Steins „Drei Schwestern“: „Man könnte am Vorhang die 'Möve‘ anbringen, das Signet von Stanislawskis Moskauer Künstlertheater - wir finden, daß in Peter Steins Inszenierung ein Geist vorhanden ist, der bei uns sogar verlorengegangen ist.“
Sergej Barchin trägt zum Interview einen kleinen metallenen Micky-Maus-Anstecker am Revers.
taz: Wie würden Sie die gesellschaftliche Stellung und die persönlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen für Sie als Bühnenbildner in der Sowjetunion 1988 beschreiben?
Georgi Meschisvili: Das Problem ist, daß es einfach wenig Regisseure wie Peter Stein in der Sowjetunion gibt... Stein gehört zu den Regisseuren, die große Künstler sind... In der Sowjetunion, aber auch in der ganzen Welt gibt es sehr viele Leute, die im Theater arbeiten und gleichzeitig Künstler sind. Und wenn man mit so einem Regisseur zu tun kriegt, dann ist es natürlich interessant zu arbeiten, dann macht es Spaß. Es gibt einige Regisseure in der Sowjetunion, die sich ähnlich wie Stein zu ihren Stücken verhalten - und das wäre dann eben Glückssache...
David Borowski: Mir gefällt der Begriff des totalen Theaters. Bei uns gibt es sehr viel Polemik und Streit darüber im sowjetischen Theater - was ist jetzt das Wichtigste? Oft wird behauptet, daß Wichtigste ist der Schauspieler im Theater. - Wir haben nichts dagegen; aber ich denke, im Theater ist alles das Wichtigste. Bei den „Drei Schwestern“ haben wir gesehen, daß im Theater tatsächlich alles Bedeutung hat. Sowohl die Schauspieler als auch das, was auf dem Tisch steht und was für'n Sofa da steht und daß das Licht durch die Tür fällt und der Klang alles.
Kommt durch die gegenwärtigen politischen Veränderungen in der UdSSR eine neue Generation von Regisseuren und Theaterleitern? Neue Konzepte, eine neue Ästhetik?
David Borowski: Man kann sagen, daß eine stürmische Entwicklung des Theaters stattgefunden hat in der Sowjetunion - aber nicht nur dort! - während der sechziger Jahre. Es gab da weltweit eine Explosion des Theaters und des Interesses am Theater. Jetzt endet das 20. Jahrhundert ungeachtet dessen, daß wir jetzt viel durch die Gegend reisen und uns umsehen können, sehen wir noch keine neue Generation, die - nachdem unsere Lichter ausgingen - was Neues bringt im Theater.
Georgi Meschisvili: Aber es gibt jede Menge jetzt neu entstandener Theaterstudios, in Moskau oder in Leningrad. Aber in vielerlei Hinsicht ist das, was die machen, uns schon bekannt. Was ich gesehen habe, persönlich, bezieht sich alles auf die Erfahrung der sechziger Jahre. Ich glaube: Dadurch, daß jetzt die Kontakte enger geworden sind, daß man sich besser austauscht, kann auch nach Verlauf einer gewissen Zeit Neues aus diesen Kontakten entstehen.
David Borowski: Das betrifft aber eigentlich nur die Regisseure und die Schriftsteller. Das Problem liegt bestimmt nicht auf der Seite der Bühnenbildner, die erstens sowieso besser informiert sind, besser wissen, was sich in der Kunst tut, und die sich zweitens leichter in jeden Prozeß der Entwicklung einklinken können.
Gibt es andere Theaterformen in der UdSSR als die Staatstheater, von denen Sie erzählt haben?
David Borowski: Es gibt ja nur das System des staatlichen Theaters; es gibt aber auch Studentenbühnen.
Georgi Meschisvili: Tatsächlich sind in den sechziger Jahren Regisseure auf die Bühne gekommen, die wichtig wurden und die bis heute da sind. Und hinter ihnen stand bereits eine Gruppe zweitrangiger Regisseure; alle Plätze, an denen man hätte arbeiten können, waren damit besetzt. Und seit 30 Jahren sind alles die gleichen Leute, haben ein und dieselben Leute - im Kampf mit der Bürokratie, wie man jetzt sagt - ihre Kunst gemacht. Sie wurden dabei natürlich selbst ein bißchen zu bürokratisch, - und wenn sie dem Nachwuchs die Chance gegeben haben zu arbeiten, dann nur in Form einer einzigen Arbeit. Bei uns ist es aber nötig, wenn man eine Ästhetik erarbeiten will, daß man einen ganzen Zyklus von Inszenierungen machen kann. Und darum ist es jetzt, wo die Plätze, an denen gearbeitet werden kann, frei werden, so, daß die jüngere Generation die Erfahrung vermißt, die sie bräuchte, um uns die Ansätze weiterzuentwickeln. Deswegen darf man keine prompten Resultate erwarten. Es kommen also unerfahrene Leute - die aber nicht nur den Apparat noch nicht zu beherrschen gelernt haben, sondern sich gleichzeitig noch in einer völlig veränderten Situation wiederfinden, weil die Front der Gegner, gegen die die Sechziger-Jahre-Generation ganz klar anzugehen hatte, verschwunden ist.
David Borowski: Dazu kommt, daß die Sechziger-Jahre -Generation ihre Plätze auch nicht gern abgibt.
David Borowski: Wie auch immer - man möchte gern im Theater irgendetwas sehen, was man nicht kennt. Ich meine die stilistische Sprache des Theaters. Wenn man sich die neuen Theater jetzt ansieht in der Sowjetunion, dann muß man sagen, das von dem, was sich jetzt neu tut, einzig Anatolij Wassiljew von Bedeutung ist.
Georgi Meschisvili: Durch die Freiheit der letzten Jahre haben viele Leute angefangen, die Dinge auf die Bühne zu bringen, die vorher verboten waren. Dabei stellt sich dann natürlich nicht als erstes die Frage nach der künstlerischen Qualität. Viele Leute werden eben populär - nicht weil sie irgendetwas gut machen, sondern weil sie thematisch irgendetwas Bestimmtes machen. Das sowjetische Theater muß in der jetzigen Situation seinen Platz im Welt-Theater wahrnehmen als grundsätzlich künstlerisch hochstehendes Theater. Man kann nicht mehr einfach damit arbeiten, daß man Sachen macht, die früher verboten waren...
Als Bühnenbildner ist man Sachzwängen ausgeliefert. Man hat einen Regisseur, ein Stück, auf die man reagiert. Inwieweit können Sie in der Zusammenarbeit mit Regisseuren Ihre persönliche künstlerische Idee, Ihren Stil realisieren?
Georgi Meschisvili: Wenn man mit einem Regisseur zusammenarbeitet, mit dem man schon seit vielen Jahren arbeitet, man versteht sich gut - dann kann man fast in völliger Freiheit arbeiten. Also wenn ich zum Beispiel mit den Regisseuren zusammenarbeite, mit denen ich oft zu tun habe, dann wird meistens überhaupt kein Wort gewechselt, man versteht sich dann schon gegenseitig durch Andeutungen. Jeder weiß vom anderen, welche Ästhetik er hat; man hat eigentlich dann gegenseitig völliges Vertrauen. Hinzu kommt, daß man weiß, für welche Stücke die sich interessieren, was die aussuchen, - daß das auch Sachen sind, die sie bewegen. Es gibt natürlich auch Regisseure, mit denen man nicht so arbeiten kann.
Sergej Barchin: Ich habe etwas andere, vielleicht auch schlechtere Erfahrungen gemacht. Ich konnte mir nie Regisseure auswählen; es war immer so, daß die allerverschiedensten Regisseure mich ausgewählt haben. Ich habe in 50 verschiedenen Theatern gearbeitet und hatte nie ein festes Theater. Ich konnte nie ein tieferes Vertrauen, ein tieferes Verhältnis entwickeln, es blieb immer bei den konkreten Aufgaben. Sie haben die einfache Aufgabe, daß irgendetwas auf der Bühne zu stehen hat. Um meine Freiheit zu bewahren, hab‘ ich mich am griechischen Theater und am Theater der Renaissance orientiert - wo also entweder feste Bühnenbilder vorhanden waren, in festen Räumen gespielt wurde oder auf Straßen gespielt wurde. Ich habe versucht, Bühnenbilder zu schaffen, die eben gerade nicht zum totalen Theater führen, sondern die geeignet wären für verschiedene Stücke. So blieb ich in gewissem Sinne frei. Und dann kam es so, daß ich aus den Angeboten mir die Stücke auswählte; ich wählte nicht die Regisseure aus, mit denen ich gern gearbeitet hätte. Die Erfahrung ist also eher eine negative - mit der ich aber auch die Möglichkeit habe, das Problem der persönlichen Freiheit zu klären.
Bauen Sie diese Objekte hier zum Beispiel selber? Oder lassen Sie das von Handwerkern, von Technikern machen?
David Borowski: Wenn man einen Gedanken verwirklicht, wenn ein Künstler sich was ausgedacht hat und er will, daß das auf der Bühne dann auch möglichst weitgehend verwirklicht wird - dann weiß er von vorneherein, daß es irgendwelche Verluste geben wird. Wenn der Gedanke, den man hatte, klar ist, stark ist, dann wird bei all dem Schund, den man hinnehmen muß und der sich durch die Zusammenarbeit mit anderen Leuten ergibt, genug übrig bleiben.
Georgi Meschisvili: Mir ist natürlich nicht jede Inszenierung gleich wichtig. Für die wichtigen Sachen wende ich natürlich sehr viel Zeit und Energie auf. Die Kultur der technischen Produktion des Theaters ist bei uns zur Zeit unwahrscheinlich niedrig. Die Leute, die als Handwerker im Theater arbeiten, müßten eigentlich alle eine sehr hohe Qualifikation haben. Aber Leute, die sehr qualifiziert sind, können heutzutage in der Sowjetunion sehr viel mehr Geld verdienen, wenn sie nicht im Theater arbeiten, wenn sie zum Beispiel selbständig arbeiten oder in irgendwelchen staatlichen Unternehmen arbeiten. Darum wollen viele hochqualifizierte Handwerker gar nicht im Theater arbeiten.
Das heißt also, daß sich wahrscheinlich nicht nur die Bezahlung, sondern auch das Image des Theaters ändern müßte...?
Sergej Barchin: Ich seh‘ meine Aufgabe nicht darin, mit eigenen Händen zu arbeiten, sondern Leute zu begeistern. Ich arbeite sehr exakt mit den Mitarbeitern, die ich habe, ich bereite sie vor, versuche sie einzustimmen. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die oft aus Begeisterung mehr tun als sie eigentlich des Geldes wegen tun würden. Ich liebe keine Skandale, und auf diese Weise geht die Arbeit auch harmonischer... Ich habe es hier in der Galerie auch so gemacht: Ich wußte ja von verschiedenen Ausstellungen und Theaterbedarfsgeschäften, was es hier für Gemüse gibt. Und ich wußte auch, daß das japanische besser ist als das italienische - und ich habe mich auf diese Bedingungen schon bei der Konzeption eingestellt. Normalerweise stelle ich eine generelle Aufgabe und überlasse es dann den einzelnen Meistern, die zu erfüllen - so daß da auch ein Freiraum existiert.
Wenn ich mir vorstelle, Sie würden gern das, was ich hier in Vitrinen sehe, mal im großen Stil machen - wo kriegen Sie in der Sowjetunion all das Material her, und vor allem wie? Ich stelle mir das nicht ganz einfach vor...
David Borowski und Georgi Meschisvili: Erstens haben wir ein staatliches Theater...
Sergej Barchin: Und außerdem haben wir sehr billige Arbeitskräfte...!
Aber nehmen wir zum Beispiel ein ganzes Bühnenbild aus solchen Plastik-Würstchen und Spiegeleiern und Salat wie in der Wand-Plastik von Sergej Barchin...
Georgi Meschisvili: Sehr viel hängt von dem Theater ab, in dem du arbeitest! Es gibt reiche Theater, und es gibt arme Theater... Was übrigens nicht bedeutet, daß die armen Theater schlechter sind!
Sergej Barchin: Und übrigens muß man die Sachen gar nicht immer groß machen! Ich hab‘ das einmal bemerkt, als ich Ostrowski gemacht habe - da hatten wir für das ganze Bühnenbild 200 Rubel (Ungefähr 600 Mark/d. Red.). Und ich habe eine kleine Kiste gemacht, mit Licht; in der Kiste war also ein Gut, ein Landgut, und das hab‘ ich genau in den Mittelpunkt des Gesichtskreises gestellt, und das andere war schwarz. Und da war das Gefühl, als wäre man auf einem russischen Gut, obwohl die Leute in Alltagskleidung spielten. Das Modell war etwa zwei mal zwei Meter groß, es wurde durch Licht optisch variiert, und gespielt wurde natürlich nur drumherum. Und außerdem braucht man im Theater nicht unbedingt die Qualität, die dieses italienische Plastik-Gemüse hier hat!
Interview: Petra Grimm und Klaus Nothnage
Dolmetscher: Andreas Schmid
Sergej Barchin, David Borowski, Georgi Meschisvili: „Geschehnisräume, Postanowka, noch bis 10.Juli in der Galerie im Körnerpark, Neukölln, Schierker Straße 8
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