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Die utopische Abrißbirne

■ Im Pott tost der Ruhrschrei

Der Stahlwerkplatz im Dortmunder Norden: ein trostloses Stück Pflaster, auf dem die Hoeschianer vor der Schicht ihren Wagen abstellen, nach Feierabend verlassen fleckiger, von Motoröl getränkter Asphalt. Doch heute drängt sich eine gaffende Menge vor einer rot-weißen Absperr-Leine, Kissen werden im Fenster zurechtgerückt, Ellbogen stützen sich auf, Nachbars Kinder klettern auf die Aschentonne, um die Bagger zu sehen. Die sind lärmend durch die anliegende Straße gerollt, gefolgt von einem Schwanz vermummter Gestalten, die mit Stöcken auf Ölfässer schlagen. Inzwischen hat der eine Bagger, dessen Schaufel eine Stahlplatte hochhievt, Stellung bezogen. Der andere steht gegenüber, bringt eine Abrißbirne in Schwung. Das Pauken der Faßtrommler reißt ab, einen Augenblick herrscht Stille, bevor die Abrißbirne dröhnend auf die Stahlplatte trifft. Der metallische Gongschlag ist das Glockenspiel für das „Ruhrschrei„-Festival, das vergangenes Wochenende mit dem Kampf der Bagger auf dem Dortmunder Stahlwerkplatz eingeläutet wurde.

„Ruhrschrei“, so klingt der Ruf Hunderter Künstler zwischen Bochum, Dortmund und Unna - im Bermudadreieck des Zechensterbens. Ein Signal, daß es noch Leben im Ruhrgebiet gibt: „Wir sind nicht stillgelegt. Die Bosse gehen. Auf der Kommandobrücke steht der Klabautermann. Die großen Kapitäne sind im Geld davongeschwommen. Wer bleibt, ist Nichts oder sein Arbeitgeber. Wer bleibt, muß seine Zukunft noch erfinden.“ So beschreiben die Veranstalter des „Ruhrschrei„-Festivals ihr Programm für ein postindustrielles Zeitalter im Revier.

Mit dem Projekt wollen die Künstler gegen jene Untergangsstimmung arbeiten, die sich nach jedem geschlossenen Stahlwerk - sei es in Hattingen, Oberhausen oder Duisburg - unter den Menschen im Revier breitmachen will. Agonie hilft da nicht weiter, schon eher das Besinnen auf die kulturelle Identität des Ruhrgebiets. Und damit die Theater- und Kunstszene nicht in geschlossenen Vorstellungen vor elitärem Publikum spielt, zieht „Ruhrschrei“ auf den Stahlwerkplatz. Daß sich die Bewohner neugierig einmischen, Kinder den verkleideten Straßenschauspielern an die Maske fassen und gebannt auf das Duell der Bagger starren, vermittelt eine Ahnung davon, wie entfremdet Künstler und Arbeiter im Revier noch immer sind.

Viele Aktionen des „Ruhrschrei„-Festivals sind deshalb darauf abgestimmt, die Kluft zwischen den abgeschotteten Welten Kultur und Arbeitsalltag zu überwinden. Wie sich Spiel und Realität durchdringen, zeigt die „Arbeit“ des Workklau-Syndikats - eine der vielen Theateraktionen des Festivals. Die „Workklauer“ sehen aus wie richtige Arbeiter, reißen mit Spitzhacke und Schaufel den Asphalt auf und legen den Grundstein für eine Rollstuhl-Rampe am evangelischen Krankenhaus in Unna. Eine Baugenehmigung haben sie dafür allerdings nicht, denn die Leute vom Workklau-Syndikat nehmen sich einfach Arbeit, weichen mit dieser Performance die sinnlos-schwammigen Begriffe Arbeitnehmer und Arbeitgeber vollends auf: Sei dein eigener Arbeitgeber! Nimm sie dir, die Arbeit! Das kann der Kampf für den Erhalt eines Kulturzentrums sein oder der Bau einer Kinderspielstadt: Workklau zeigt, wie absurd das alte Wertesystem, die Trennung von Arbeit und Nichtarbeit heute wirken. Workklau darin steckt aber auch die Verzweiflung des Arbeitssuchenden, der jeden Job annehmen würde. Arbeit klauen wird so zu einem Straftatbestand, der nach „Ruhrschrei“ Eingang in die Kriminalgeschichte finden wird.

Ruhrschrei steht auch für eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen den Künsten. Peter Möbius, einer der „Ruhrschrei„ -Organisatoren, will mit „Ruhrschrei“ ein anderes Bewußtsein für diese Region wecken. Das Ruhrgebiet biete mehr als eine lose Zusammenballung von Industriestandorten ohne Perspektive. Peter Möbius schwebt vor, das Ruhrgebiet endlich als Ganzes zu begreifen, als Metropolis mit kulturellen Schätzen, die selbst eine Weltstadt wie New York so nicht aufbieten könnte. Und tatsächlich ist aus dem kleinen, mit 130.000 Mark vom Land bezuschußten Projekt in den vergangenen Monaten ein gigantisches Sammelsurium mit 30 Veranstaltungen entstanden. Aus diesem schier unübersichtlichen Programm ragt ein Termin heraus: Unter der Autobahnbrücke in Unna-Massen lädt das Ensemble am 2.Juli zum „Globalen Feierabend“. Die Brücke - Symbol einer zubetonierten Vergangenheit - dient als riesige Freiluftarena für viel „Musik aus dem Westen“. Während die Autofahrer auf ihr beschleunigen, um das Grau des Asphalts hinter sich zu lassen, liegt unter dem Asphalt der Liedbachbrücke tatsächlich der Strand, wo Schauspieler, Musiker, Performer und Maler zusammenkommen, um zu beweisen, daß es (noch?) lohnt, sich im Ruhrgebiet zu Hause zu fühlen.

Christof Boy Termine:

2.-9.Juli, 15 Uhr, Skulptur-Ruhr. Fünf Skulpturen treiben über die Ruhr. Essen Baldeneysee, Treffpunkt: Haus Baldeney;

6.Juli, 16 Uhr, „Bo Capriccio“ - eine Freifahrt ins Fantastische. Masken, Musik und Animation im Bochumer Hauptbahnhof;

8.Juli, 20 Uhr, „Kobeln & Skarbuiks - Feierschicht auf Zollern 2/4“, ein Musik-, Tanz- und Theaterspektakel in der Jugendstil-Zeche Zollern, Dortmund-Bövinghausen, Zeche Zollern 2/4. Informationen:

Tel.: 0231/12 27 45

und 02303/6 10 95

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