: Bernbeck-Prozeß: Gutachter auf Linie
Verhandlung gegen Hamburger Ex-Chefarzt zieht sich in die Länge / Noch nicht einmal erster der fünf zu verhandelnden Fälle abgeschlossen / Gutachter spricht von der „Tragödie des Professor Bernbeck“ / Kollegen handelten nur auf „direkte Anweisung“ ■ Aus Hamburg Gabi Haas
Ein Chefarzt, der sich gebärdete wie der Kommandeur eines Klinikbataillons, Assistenz- und Oberärzte, auf bedingungslosen Gehorsam dressiert, und Gerichtssachverständige, die ihre Funktion mit der des Verteidigers verwechseln: Es ist ein atemberaubendes Krankenhausgemälde, das sich während der ersten zehn Verhandlungstage im Prozeß gegen den Hamburger Ex-Chefarzt und Orthopädieprofessor Rupprecht Bernbeck entfaltete und den BetrachterInnen eigentlich nur eine Konsequenz nahelegen kann: Sich ohne große Not niemals in stationäre Behandlung zu begeben.
Als gestern die Große Strafkammer des Hamburger Landgerichts zum letzten Mal vor der Sommerpause zusammentrat, war noch nicht einmal der erste der fünf zu verhandelnden Fälle abgeschlossen, bei dem sich Bernbeck wegen fahrlässiger Körperverletzung zu verantworten hat.
Die Leidensgeschichte des ehemaligen Postbeamten Rainer Janke, der im Prozeß als Nebenkläger auftritt, währt seit 1979: Vorstellig wurde er bei verschiedenen Ärzten wegen seiner starken O-Beine und leichter Kniebeschwerden: ein Befund, der vermutlich im Laufe der „nächsten Jahrzehnte“ zu starken Abnutzungserscheinungen in den Gelenken geführt hätte. Der Chef der Orthopädie im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek - von Medizinern als „innovationsfreudiger Orthopäde“ bezeichnet und unter Patienten „flinkes Messer“ genannt - entschloß sich bei Janke zu einer extrem seltenen und eher riskanten Operation, für die die nachbehandelnden Ärzte zumindest bei dieser Indikation wenig Verständnis aufbringen konnten: Ein 17 Zentimeter langer Schrägschnitt, mit dem in zwei kurz aufeinanderfolgenden Eingriffen beide Schienbeine durchtrennt, gedreht, mit einem „tischlermäßig“ eingepaßten Fremdknochen wieder zusammengefügt und dann verschraubt wurden. Die eigenwillige Operationstechnik endete für Janke im Desaster. Beide Knochen infizierten sich, heilten monatelang nicht zusammen, bis sich der Patient fluchtartig in eine andere Klinik verlegen ließ. Doch da war die gefürchtete Knochenmarksentzündung schon chronisch geworden. Nach insgesamt 38 Nachoperationen und jahrelangen Krankenhausaufenthalten kann Janke sich noch heute nicht ohne Rollstuhl oder Gehapparate fortbewegen.
Schuld an dieser „Fehlheilung“, wie der 71jährige, noch immer frei praktizierende Angeklagte es nennt, war aber nicht allein der Bernbecksche Schrägschnitt, sondern auch der Ort, an dem die Säge angesetzt wurde. Der nämlich verdiente wegen seiner katastrophalen hygienischen Bedingungen den Namen „Operationssaal“ eigentlich nicht: Die fehlende Klimaanlage wurde durch geöffnete Fenster ersetzt, gleich nebenan wurden hochseptische Fälle geröntgt und gegipst. Eine Schwingtür führte auf den Flur, wo der zentrale Hausaufzug mündete und Berge schmutziger Wäsche, das tägliche Essen sowie der gesamte Besucherverkehr durchbugsiert wurden. Während sich Nebenkläger Janke und kritische Prozeßbeobachter nun also fragen, ob nicht allein schon der Umstand, unter so infektiösen Bedingungen operiert zu haben, den Tatbestand der „fahrlässigen Körperverletzung“ erfüllt, dreht der vom Gericht als Sachverständige bestellte Hamburger Prof.Heinz Mittelmeier (60) den Spieß einfach um: „Es ist die Tragödie des Prof.Bernbeck, daß er zeitlebens nicht in den Genuß von Operationsräumen mit einer guten Hygiene gekommen ist.“ Im Gegenteil, es sei geradezu das Verdienst des Angeklagten, daß sich die Zustände im Barmbeker OP inzwischen gebessert hätten. Der Vorsitzende Richter Röhse verabschiedete seinen Gutachter schließlich mit einem milden Lächeln: „Sie haben den Verteidigern sicher schon einiges vorweggenommen.“ Doch selbst Mittelmeier konnte nichts Positives mehr an der Infektionsbehandlung finden, die Bernbeck nach Auftreten eindeutiger Entzündungssymptome seinem Patienten angedeihen ließ. Obwohl die Leukozytenzahl sich nach wenigen Tagen drastisch erhöhte, Fieber auftrat und schließlich aus den faulenden Wunden unter der Bettdecke dem Krankenzimmernachbarn ein süßlicher Geruch in die Nase stieg (an dieser Stelle der Janke-Schilderung mußte die Gerichtsprotokollantin aschgrau im Gesicht den Saal verlassen), blieb der Patient praktisch unbehandelt. Er erhielt weder Antibiotika noch eine dringend erforderliche Nachoperation - auch nicht, als der Chef nach zweieinhalb Monaten zu einer Persienreise startete. Mit der Begründung: „An die Bernbeck-Patienten gehe ich nicht ran“, drückte sich der nächstzuständige Operateur um die Verantwortung herum. Alle übrigen Bernbeck-Untergebenen hatten insgeheim längst beschlossen, die Behandlung Jankes niederzulegen und nur noch auf „direkte Anweisung“ des prominenten Chefarztes zu handeln. Die junge, unerfahrene Stationsärztin, die längst eine „tiefere Infektion“ vermutete, begründete ihre damalige Zurückhaltung so: „Durch die Fragen, die man ihm stellte, konnte man sich nur seine eigene Dummheit und Unfähigkeit bescheinigen lassen.“ Und sein damaliger persönlicher Assistent, längst selbst ergraut und immer noch Bernbeck-hörig, demonstrierte vor Gericht soviel kindliche Hilflosigkeit, daß die Richter ihn mit Fragen bald in Ruhe ließen. Heute steht jener Mann, den der Angeklagte während der Verhandlung lobend „unseren lebenden Roboter“ nennt, in Diensten der Hamburger Gesundheitsbehörde - als Leiter der Orthopädischen Versorgungsstelle, wo er verpfuschten Patienten wie Janke Rollstühle und Krücken verpaßt.
Den traurigsten Eindruck im Zeugenstand hinterließ bisher aber wohl der Bernbeck-Mitarbeiter, der dem verzweifelnden Patienten Janke nach einem halben Jahr heimlich zur Verlegung in eine andere Klinik verholfen hatte. Obwohl er damals quasi hinter dem Rücken seines Bosses intrigierte und von sich aus Kontakt zu Jankes Schwester aufgenommen hatte, kann er sich heute buchstäblich an nichts mehr erinnern. Wie das möglich ist, darauf mochte die letzte an ihn gestellte Richterfrage einen Hinweis geben: „Sind Sie schon einmal von Prof.Bernbeck beurteilt worden? Und hat Ihnen das Zeugnis ihres früheren Chefs gefallen?“ Die Antwort war bloß ein Stottern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen