: „Der Staat muß ihn aus Gründen der Menschlichkeit entlassen“
Der Münchner Studentenpfarrer Hans Löhr besucht Bernd Rössner regelmäßig in der JVA Straubing und hat jetzt einen Antrag auf Haftverschonung für ihn gestellt ■ I N T E R V I E W
taz: Sie haben Bernd Rössner mehrfach in Straubing besucht. Was sind Ihre Motive, mit welchem Ziel machen Sie das?
Hans Löhr: Letzter Anlaß für mich war der Brief der Familie von Braunmühl „an die Mörder unseres Bruders“. Bis dahin gab es nur die Konfrontation Bundesanwaltschaft oder Staatsgewalt auf der einen, RAF auf der anderen Seite. Das führte zum Austausch von Geschossen, aber nie zum Austausch von Argumenten. Die Familie von Braunmühl hat die operierenden Gruppen und die Inhaftierten auf ihre Fähigkeit zu denken und zu argumentieren, auch auf ihre Gefühle angesprochen. Diese Initiative wollte der Arbeitskreis der ESG München, dem ich angehöre, unterstützen.
Welchen Eindruck hat Bernd Rössner nach 13 Jahren Haft auf Sie gemacht?
Das war zunächst eine schockierende Begegnung, weil vor mir ein offensichtlich sehr kranker Mann stand. Auch im Gespräch waren die Spuren der Haft, wahrscheinlich auch die Spuren der Hunger- und Dreckstreiks unübersehbar. Die Folgen sind so, daß er nur mit größter Anstrengung seine Identität bewahren kann. Mein erster Eindruck hat sich während der nachfolgenden Besuche bestätigt. Bernd Rössner ist haftunfähig, nicht nur in physischer Hinsicht.
Ist Bernd Rössner in medizinischer Behandlung?
Soviel ich weiß, hat er keine besondere medizinische Betreuung. Er selbst stellt auch keine Anträge auf eine medizinische Behandlung.
Von Bernd Rössner ist bekannt, daß er eine „individuelle Lösung“ für sich ablehnt, solange es keine Geamtlösung für alle Gefangenen gibt. Kann es Haftverschonung auch geben, ohne daß der Gefangene selbst initiativ wird?
Jemand, von dem man den Eindruck der Haftunfähigkeit hat, muß schlicht und einfach aus Gründen der Menschlichkeit entlassen werden. Sonst wird der Strafvollzug zu einer Lebensverkürzung auf Raten. Meines Erachtens wäre es in einem Rechtsstaat Aufgabe der Justizbehörden, sich die Frage der Haftverschonung immer wieder auch von sich aus zu stellen, wenn ein Gefangener in einem solchen Zustand ist.
Bernd Rössner gehört nicht zu den ehemaligen RAF -Mitgliedern, die sich vom bewaffneten Kampf öffentlich abgewandt haben ...
Ich denke, daß die Haftbedingungen und die Perspektivlosigkeit, die im Augenblick herrscht, dazu beitragen, daß eine Loslösung, wie bei Klaus Jünschke, normalerweise so nicht erfolgen kann. Das ist eher die Ausnahme, eher ein Wunder, als die Regel. Ein Gefangener kann dadurch unter den gegebenen Bedingungen nur seine alte politische Identität verlieren. Nach seinem Selbstverständnis ist er ein Freiheitskämpfer, der mit Gewalt gegen den gewalttätigen Imperialismus gekämpft hat. Wenn er sich davon distanziert, gibt es erstmal nichts, was er stattdessen gewinnt. Die Sinnlosigkeit des gesamten bisherigen Unterfangens wäre offensichtlich, der Gefangene würde den Kontakt zu den anderen Inhaftierten der RAF verlieren und damit das Gefühl, zu einer „verschworenen Gemeinschaft“ zu gehören. Das ist das Hauptproblem. Da wäre zu befürchten, daß es zum totalen Zusammenbruch des Gefangenen kommt, möglicherweise bis hin zum Suizid.
Inwieweit ist Bernd Rössner darüber informiert, was Sie und Ihr Arbeitskreis außerhalb der Gefängnismauern für ihn unternehmen?
Ich habe mit ihm über die Aktivitäten unseres Arbeitskreises gesprochen, auch über die Initiative zur Haftverschonung und dieses Interview mit der taz. Bernd Rössner geht es darum, daß nicht die individuelle Komponente im Vordergrund steht, sondern das Ganze vorrangig als politische Frage verstanden wird. Nach seiner Auffassung muß der Staat eine Amnestie für alle, wie er sagt, politischen Gefangenen verfügen. Dafür gebe es objektive politische Gründe. Außerdem sei der gesundheitliche Zustand der Gefangenen den Verantwortlichen ja bekannt. Ich sehe für eine politische Amnestie in absehbarer Zeit keine Chance. Wir machen da - wie bei anderen Themen auch - aus unseren Meinungsverschiedenheiten keinen Hehl.
Sie haben Rössner bisher fünfmal besucht. Sind weitere Begegnungen geplant?
Weitere Besuche sind geplant. Die Initiative dazu überlasse ich aber dem Gefangenen. Er muß entscheiden, ob er die Besuche weiter will. Ich will ihm die Gespräche oder ihren Inhalt nicht aufdrücken. Man muß sehen, daß es die gesamte Atmosphäre in einer vergitterten Besucherzelle - mit dem „Charme“ einer bayerischen Justizvollzugsanstalt - sehr mühsam macht, in ein normales zwischenmenschliches Gespräch einzutreten. Da sitzt ja auch jedesmal ein Beamter dabei, der wahrscheinlich über den Verlauf des Gesprächs Mitteilungen machen muß. Vermutlich sind manchmal die Gedanken nach so einem Gespräch wichtiger als das, was in der sehr schwierigen Gesprächssituation gesagt werden kann.
Bernd Rössner befindet sich in seinem vierzehnten Haftjahr. Nach fünfzehn Jahren ist für „Lebenslängliche“ auch eine Begnadigung möglich, wie im Falle von Klaus Jünschke geschehen. Sehen Sie auf diesem Weg auch Chancen für Bernd Rössner?
Augenblicklich sehe ich da keine Chancen, auch nicht für die anderen RAF-Gefangenen, die sich nicht offiziell und öffentlich von den Zielen der RAF distanziert haben. Dabei würde der Staat mit einer Haftentlassung etwa nach 15 Jahren auch gegenüber denjenigen ein Zeichen setzen, die heute mit der RAF sympathisieren, vielleicht auf dem Absprung in die Illegalität sind oder sich bereits dort befinden. Die Haftbedingungen und die Perspektivlosigkeit haben entscheidend dazu beigetragen, daß die RAF nach der Verhaftung ihrer ersten Generation wieder neuen Zulauf gefunden hat. Ich denke, im Fall von Bernd Rössner gibt es nur eine Chance: auf die offenkundige Haftunfähigkeit hinzuweisen. Ein Rechtsstaat kann seine Stärke nicht mit Polizeiknüppeln, der Dauer von Haftstrafen oder der Wiederbelebung des Sühnegedankens beweisen. Er muß auf jeden Einzelfall reagieren und menschliche Maßstäbe anlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen