: Humanitäre Hilfe als Sanktionsmittel?
Interview mit Rupert Neudeck, Vorsitzender vom Komitee Cap Anamur / Deutsche Notärzte ■ I N T E R V I E W
taz: Bei einem Angriff äthiopischer Kampfflugzeuge und -hubschrauber auf die Stadt Hauzien sollen am 22.Juni mehr als 600 Zivilisten umgekommen sein. Sie hielten sich im Mai in Tigre und Eritrea auf, wie reagiert die Bevölkerung auf diese Terrorangriffe?
Neudeck: Die Regierung setzt jetzt die eigene Luftwaffe, d.h. die MIGs ein, denen die Befreiungsfront nichts entgegenzusetzen hat. Wenn man in so einem Graben vor Afabet liegt, und die MIGs sich zwei Stunden auf die Zivilbevölkerung herabstürzen, wünscht man sich wirklich auch wenn man wie ich Pazifist ist -, daß sie ein oder zwei Stinger haben würden, um diesem entsetzlichen Morden der Zivilbevölkerung ein Ende zu bereiten. Als ich den Chef der eritreischen Befreiungsfront darauf ansprach, meinte er nur ganz nüchtern: „Wir haben mit den USA nichts am Hut.“ Die USA haben in Eritra sowieso ein sehr schlechtes Renommee, weil sie ihre strategischen Interessen in Äthiopien immer vor das Wohl der Bevölkerung gestellt haben. Die Eritreer werden nicht den Canossagang nach Washington antreten und wie der Chef der afghanischen Rebellen, Hekmatiar, um Stinger-Raketen bitten.
Wie beurteilen Sie die Fortsetzung der Hungerhilfe, nachdem Mengistu die Parole „Everyone to the warfront“ ausgegeben hat?
In Äthiopien findet im Moment etwas statt, das unter humanitären Gesichtspunkten gar nicht auszudenken ist. Hier wird die Hungerhilfe, die jetzt die dringlichste wäre, einfach abgebrochen und ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung geführt. Das ist unter Menschenrechtsgesichtspunkten, die ja sonst immer so feierlich betont werden, nicht zu tolerieren. Deshalb, meine ich, müßte die EG als Hauptlieferant Konsequenzen ziehen, wenn sie ihrem Anspruch, humanitär zu wirken, noch gerecht werden will.
Begegnen Sie nun Mengistus Aushungerungsstrategie, indem Sie humanitäre Hilfe als Druckmittel einsetzen?
Wir hätten schon 1983/84 nicht zulassen dürfen, daß die von uns bezahlten Nahrungsmittelkonvois militärisch eskortiert werden. Das hat schon damals zu einer ohnmächtigen Wut auch bei unseren Krankenschwestern und Ärzten geführt. Wenn die Armee solche Konvois begleitet, darf man sich nicht wundern, daß ebendies zur Gefährdung der Transporte führt. Sollte es nochmals zu einem Hilfeschrei an die Weltöffentlichkeit kommen, muß klar sein, daß die Hilfsoperationen unbewaffnet in die Gebiete dringen können. Wenn man dies nicht gewährleisten kann, dann soll man die Hilfe erst einmal sein lassen.
Insofern teilen Sie also die Haltung des IKRK, die Hilfsgüter vorerst einzuschließen?
Ich finde, daß das IKRK in dieser Frage zurecht stur geblieben ist. Es mußte so reagieren, wenn man Hunderttausenden Hilfe leisten will, muß diese Operation humanitär geschehen, müssen beide Seiten über Hilfskonvois informiert werden, denen dann natürlich auch nichts geschieht. Hilfe ohne militärische Begleitung zu leisten, ist ein Prinzip des Roten Kreuz, das gar nicht hoch genug gehalten werden kann.
Welche außenpolitische Bedeutung hat Mengistus Weigerung, sich auf diese Forderung einzulassen und was heißt das für die Zukunft der Nordprovinzen?
Ich halte das für einen spezifisch äthiopischen Skandal. Äthiopien schwimmt in einer Welle von Konfliktlösungsbestrebungen gegen den Strom. In Kambodscha, Nikaragua, Afghanistan, Angola und Mosambik, überall kommt es dazu, daß sich Regierungen und Befreiungsbewegungen, nachdem sie die Welt jahrelang in Atem gehalten haben, jetzt an einen Tisch setzen und miteinander reden. Dazu hat natürlich die Entwicklung in der Sowjetunion und ihr Beharren auf solchen Verhandlungslösungen stark beigetragen. Deshalb kann man sich für Äthiopien nur wünschen, daß die UdSSR hier ähnlich reagiert und Druck auf die Regierung in Addis Abeba ausübt. Seit 27 Jahren haben die Eritreer bewiesen, daß sie in der Lage sind, ein eigenes Gemeinwesen zu organisieren. Dazu halten sie noch einen UN-Titel von 1953 in der Hand, der ihnen eine gewisse Unabhängigkeit und Nationalität garantiert, wenn auch innerhalb eines konföderativen Systems. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht auch in Äthiopien mit Druck von außen, zumal vom Waffenlieferant Sowjetunion, die Parteien an einen Tisch zu bringen wären. Äthiopien darf die Geduld der Weltöffentlichkeit nicht länger überstrapazieren.
Interview: Simone Lenz
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