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Das Schanzenviertel auf der Kippe

Der geplante Neubau eines Musical-Palastes in Hamburg weckt Befürchtungen um die Umstrukturierung eines Stadtviertels / Zunehmender Widerstand / Der Senat zieht die Erteilung der Baugenehmigung an sich  ■  Aus Hamburg Kai Fabig

Sichtbarstes Zeichen für die Zuspitzung des Konflikts sind der an Brokdorf erinnerende Metallgitterzaun um die Baustelle und die ständige Polizeipräsenz. Was mit soviel Aufwand geschützt wird, bestimmt seit einigen Monaten trotz neuem Bürgermeister und Senatsumbildung die Schlagzeilen in Hamburg. Im Schanzenviertel nahe der Innenstadt soll eine Musical-„Abspielstätte“ - so das korrekte Beamtendeutsch für 2.000 Besucher entstehen. 30 Millionen Mark kostet der Neubau hinter der neoklassizistischen Fassade des ehemaligen „Konzerthaus Flora“. Weitere 12 Millionen Mark werden in die Produktion des Musicals „Phantom der Oper“ gesteckt. Diese Zahlen und die Erfahrungen mit dem Musical „Cats“, das in der vergangenen Woche die millionste Besucherin feierte, reichten dem Senat aus, das neueste Projekt des Musical -Papstes Fritz Kurz zum „standortpolitisch wichtigen kulturellen Impuls“ zu erheben.

Während sich die eine Seite an Zahlen berauschte, formierte sich auf der anderen der Widerstand gegen die Musicalfabrik. Das Schanzenviertel ist einer jener bunten Stadtteile, in dem nicht gerade die geballte Kaufkraft, sondern viel „Szene“, AusländerInnen und alte Menschen wohnen. Aufgrund seiner großen Kneipendichte schon immer auch ein Vergnügungsviertel, hatte der Stadtteil im letzten Jahrzehnt eine Entwicklung vom typischen Arbeiterviertel zu einem Quartier durchgemacht, in dem einerseits viele Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose leben, andererseits aber auch Leute, die es vom „Bettelstudenten“ zur gutbezahlten ABM- oder gar Festanstellung gebracht haben. Veränderungen gab es also in der Vergangenheit schon.

In Zusammenhang mit dem neuen „Flora“ allerdings fürchten viele Anwohner einen radikalen Schnitt, denn gleichzeitig ist das Viertel jetzt Sanierungsgebiet, und die wenigen verbliebenen gewerblichen Arbeitsplätze gehen durch den Wegzug einer großen Gewürzfabrik und des Füllerherstellers Montblanc auch noch verloren. Da sich die Folgen einer Sanierung für die Bevölkerungsstruktur erst in Jahren zeigen, ist der geplante Musical-Palast zum Symbol für die befürchtete Umstrukturierung des Viertels, das heißt die Vertreibung „cityuntypischer Innenstadtbewohner“ geworden.

So wechselten in den vergangenen Monaten Besetzungsaktionen, Straßenfeste und Demonstrationen einander ab. Nach dem Abriß des alten Gebäudes schützte die Polizei wochenlang die Schuttberge; fast allabendlich kam es zu kleineren Scharmützeln zwischen Gegnern des Projekts und überstundengeplagten Polizisten. Waren diese Auseinandersetzungen noch hauptsächlich von der „Szene“ bestimmt, so brachte der jetzt errichtete Metallgitterzaun sowie das widerrechtliche Abholzen hundertjähriger Linden jetzt auch andere Bevölkerungsteile auf die Barrikaden. Just in diesem Moment allerdings entdeckt die Springer-Presse eine „zweite Hafenstraße“ im Schanzenviertel.

Gleichzeitig allerdings beginnt man seitens des Senats aus den „Standort-Träumen“ zu erwachen. Ganz offensichtlich fürchtet Neu-Bürgermeister Voscherau, daß angesichts des Widerstands die Investoren abspringen könnten. Wenn der Senat anstelle der eigentlich zuständigen Bezirksversammlung - die dies verweigert hat - die Baugenehmigung erteile, müsse auch tatsächlich gebaut werden, ließ Voscherau wissen. Es dürfe keine „April-April-Situation in Hamburg entstehen“. Gleichzeitig schickt Betreiber Kurz den Alt-Rocker Udo Lindenberg als Vermittler ins Gefecht. Sein Vorschlag, die Musical-Fabrik statt um ein Restaurant einen musikalischen Talentschuppen zu ergänzen, dürfte allerdings eher in die Rubrik „Sommerloch“ fallen.

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